Stadt Bern will für einen öffentlichen Grünraum ein Grundstück für 3,7 Mio. Franken für kaufen

Spiel mir das Lied vom Spielplatz

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
In gelb das Kaufgrundstück.

Foto: Foto: zvg

Einfach erklärt
Einfach erklärt: Im Untermattquartier gibt es einen grossen Parkplatz. Für 3,7 Mio. Franken kann man dieses Land kaufen. Die Stadt Bern möchte das gerne tun und darauf einen Sipelplatz sowie eine Grünfläche bauen.
Es macht keine Rutschbahn wett: Im Untermattquartier prallen Welten aufeinander. Viele Kinder und Familien bahnen sich den Weg durch dicht befahrene Strassen, Industriebauten und 40-Tönner. Seit Jahren. Ein neuer Spielplatz soll nun eine Entlastung bringen.

Das zumindest glaubt die Stadt Bern, deren Parlament dem Kauf der Parzelle 248/VI zugestimmt hat. Für stolze 3,7 Mio. Franken. Zwischen Untermattweg und Loslistrasse liegt eine Parzelle, die der Galexis AG (Galenica-Gruppe) gehört. Auf diesen rund 2300 m2 sollen nicht nur Kinder spielen können, sondern auch eine Begegnungszone entstehen. Ein Stücklein Freiraum mitten in einer Betonwüste.

Referendum steht

«Diese Lage ist gänzlich ungeeignet. Ein Begegnungsort zwischen Betonwänden und noch dazu einer, wo man kaum sein eigenes Wort versteht», ärgert sich Grossrat und Stadt-
parlamentarier Thomas Fuchs (SVP). Er ergriff daraufhin das Referendum, um das Vorhaben vors Volk zu bringen. Mit dem Titel «Nein zum teuersten Spielplatz der Welt» sammelte er in den vergangenen Wochen die nötigen 1500 Unterschriften. Die Klingel an seinem Haus in Oberbottigen summt regelmässig. «Manche Menschen bringen mir die Unterschriften sogar persönlich vorbei», freut sich der Politiker. Er wehrt sich mit Erfolg gegen den Grundstückskauf und hat längst die nötigen Unterschriften zusammen. Es wird im Verlaufe des Jahres zu einer Abstimmung kommen.

Dringlichkeit gegeben

Doch das Stadtparlament hat den Entscheid keinesfalls leichtsinnig gefällt. Es stellt fest, dass im Untermattquartier seit Jahren eine Unterversorgung an Spielplätzen und Begegnungszonen besteht. Im besagten Geschäft steht deshalb: «So sieht die Quartierplanung Stadtteil VI Bümpliz/Bethlehem/Bottigen/Riedbach von 2005 für das Untermattquartier mit der Massnahme ‹Verbesserung des Wohnumfelds› eine Verbesserung der Kinderspielangebote vor». Fraktionssprecher Chandru Somasundaram (SP) fasst es wie folgt zusammen: «Gerade das Untermattquartier weist eine besondere Sozialstruktur auf. Hier leben viele Menschen ohne Schweizer Pass, viele Arbeiterinnen und Arbeiter sowie junge Familien mit niedrigen Einkommen. Zu alle dem kommt, dass der Stadtteil VI den grössten Anteil der 7- bis 15-Jährigen aufweist. 28,1 % aller Bernerinnen und Berner dieser Altersklasse wohnen in diesem Stadtteil. Nicht selten leben gerade im Untermattquartier Kinder in engen Wohnungen und sind auf Spiel- und Begegnungsorte im Quartier angewiesen.

Mangel an Alternativen

Die Linke Seite des Stadtparlaments erkennt die Notwendigkeit zu handeln, um so mehr lange Zeit nichts in diese Richtung lief. «Es fehlen schlicht die Alternativen. Wenn die Abstimmung fehl schlägt, lassen wir  die Kinder wortwörtlich weiterhin in der Stube hocken», befürchtet Ursina Anderegg, Stadträtin und Co-Präsidentin vom Grünen Bündnis. Eine Not aus jahrelanger Alternativlosigkeit begründet den Kauf einer Parzelle mit dem stolzen Preis von 3,7 Mio. Franken. Dem widerspricht Fuchs: «500 m entfernt ist das Erholungsgebiet Weyermannshaus. Dort ist eine grosse Überbauung geplant, die ebenfalls Spielplätze vorsieht. In drei bis vier Jahren wäre das Problem also gelöst. Zudem gibt es 300 m weiter einen bestehenden Spielplatz im Besitz der Burgeremeinde. Die Nutzung ist zeitlich begrenzt, aber da sehe ich duchaus Verhandlungspotential.» Anderegg kennt die genannten Alternativen, beurteilt die Sachlage aber gänzlich anders: «Im Areal Weyermannshaus West entstehen 800 – 1000 neue Wohnungen, dort wird es zusätzlichen Freiraum brauchen. Und beim bestehenden Spielplatz liegt die Betonung auf mühsam wiederkehrend erkämpftes Provisorium. Es ist doch nicht zuviel verlangt, wenn in einem kinderreichen Quartier nach 20 Jahren Unterversorgung endlich eine langfristige Lösung für  für Familien entstehen soll.»

Um jeden Preis

Man mag den Gedanken der Grünen Politikerin folgen, das flaue Gefühl im Magen bleibt aber, hinsichtlich der hohen Kosten. Zur Erinnerung: Bern hat ein Defizit von 23 Mio. Franken für das laufende Jahr budgetiert und schiebt einen Schuldenhaufen von rund 1,4 Mrd. Franken vor sich her. «Überall muss man sparen, da verstehe ich eine solch hohe Investition für einen Spielplatz ehrlich gesagt nicht ganz», so Fuchs weiter. Der Kaufpreis entspricht einem Quadratmeterpreis von 1600 Franken. «Das ist durchaus ein gängiger Marktwert», überrascht Somasundaram. Die Parzelle ist als Bauland eingestuft und unterliegt somit dem Marktwert von bebaubaren Flächen. «Und sie soll weiterhin als Wohnzone erhalten bleiben und nicht in eine Zone der öffentlichen Nutzung umgezont werden. So bleibt gewährleistet, dass zu einem späteren Zeitpunkt Wohnungen gebaut werden können, wenn Bedarf besteht. Die Investition ist auch aus finanzieller Sicht sinnvoll, da Bauland auf lange Sicht eine wertvolle Landreserve in öffentlicher Hand darstellt», meint Somasundaram. Das unterstreicht auch Anderegg und ergänzt: «Der Wert des Bodens bleibt ja erhalten. Das ist aktive Bodenpolitik, um mehr Handlungsspielraum zu erhalten, damit die Stadt mehr Handlunhsspielraum erhält. Freiraumplanung wird wichtiger denn je.» 

Die Abwägung

Etwas gar viel Aktionismus für den Geschmack von Thomas Fuchs: «Wenn denn wirklich geein Mehrfamilienhaus gebaut würde, könnte man vielleicht von einem Marktwert sprechen. Aber machen wir uns doch nichts vor: Steht erstmal ein Spielplatz, bleibt dieser bestehen und kann nicht mehr so ohne Weiteres wieder entfernt werden.» Für städtebauliche Entwicklungen hätte Bern zude einen Fond für Liegenschaften. Der wäre geäuffnet, um den Wohnungsbau zu finanzieren, nicht aber für einen Spielplatz.

Vielleicht müsste die Abwägung sich aber auch nicht zu stark auf Sandkasten, Rutschbahn und Co. konzentrieren, sondern auf den Freiraum: «Der Begriff «Spielplatz» greift in diesem Zusammenhang zu kurz. Es geht um Frei- und Grünräume für Quartierbewohnende. Gerade für Kinder sind solche zentral für eine gesunde Entwicklung: Kinder, die sich selbstständig draussen bewegen, anderen begegnen und frei spielen können, sind erwiesenermassen gesünder. Diese Möglichkeit fehlt den Kindern seit Jahren in der Untermatt. Die Rhetorik vom teuersten Spielplatz der Welt finde ich deshalb zynisch. Kinder haben ein Recht auf Spielräume und die Stadt wiederum ist verpflichtet, diese zur Verfügung zu stellen.»  

Wer hat nun recht? Thomas Fuchs der das Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen 3,7 Mio. Franken und einem Spielraum mitten im Industriegebiet bezweifelt und Alternativen im Weyerli oder auf dem befristeten Spielplatz sieht oder aber die rot-grüne Mehrheit der Stadt Bern, die den Werterhalt des Baulands ins Feld zieht und die Notwendigkeit in diesem kinderreichen Quartier für dringlich erachtet, zumal es in ihrer Verpflichtung steht, für Freiräume zu sorgen? Unter Einbezug der Meinungen von Thomas Fuchs (SVP), Ursina Anderegg (GB) und Chandru Somasundaram (SP) könnte man die Frage aber auch etwas anders formulieren: Will sich die Stadt Bern etwas teures für ein armes Quartier leisten? Die melancholischen Klänge von Enrico Morricone skizzieren den ungewissen Ausgang eines Duells. Im Wilden Westen von Bern heisst dieselbe Melodie in diesen Wochen: Spiel mir das Lied vom Spielplatz. Ob das Vorhaben überlebt oder letztendlich stirbt, das entscheiden keine Revolverhelden, sondern die Bernerinnen und Berner mit ihren Stimmcouverts.

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