Wahlen der Stadt Bern: eine «bümplizische» Einordnung der Geschehnisse

SP steht wohl neu für Super-Partei

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Der neue Gemeinderat der Stadt Bern für die Legislatur 2025-2028: Matthias Aebischer (SP), Melanie Mettler (GLP), Ursina Anderegg (Grüne), Stadtpräsidentin Marieke Kruit (SP) und Alec von Graffenried (Grüne).

Foto: zvg

Einfach erklärt

Die Stadt Bern hat gewählt. Grosse Siegerin der Wahlen ist die SP. Sie stellt mit Marieke Kruit die erste Stadtpräsidentin. Der Stadtteil VI hat etwas anders gewählt als der Rest der Stadt.

Das Volk hat klar entschieden: Marieke Kruit heisst die neue Stadtpräsidentin. Etwas weniger klar ist die Sitzverteilung im Gemeinderat. Die Bürgerlichen verpassten den zweiten Sitz nur äusserst knapp.

Der Jubel war laut und anhaltend. Als Stadtschreiberin Claudia Mannhart die Resultate verkünden wollte, musste sie einige Male zuwarten, bis sich die Euphorie etwas gelegt hatte. Ganze vier Mal. Marieke Kruit (SP), 32’186 Stimmen. Und der Jubel bricht aus. Ursina Anderegg (Grüne), 30’791 Stimmen. Frenetische Freudenrufe im Rathaus. Matthias Aebischer (SP), 29’210 Stimmen. Applaus und Jubel vermengen sich. Alec von Graffenried (Grüne), 28’024 Stimmen. Nun gibt es bei den Linken kein Halten mehr. Anhand der Aufzählung ist  klar, die Sitzverteilung von vier zu eins zwischen Linken und Bürgerlichen bleibt bestehen. Nach einer kurzen Pause hört man die Stadtschreiberin sagen: «Gewählt ist mit 17’260 Stimmen: Melanie Mettler (GLP).»

Es war denkbar knapp

Mettler freut sich über das Resultat, doch weitaus leiser als die zuvor Genannten. Die Bürgerlichen verpassen den angestrebten zweiten Sitz, trotz erstmaliger Allianz «Meh Farb für Bärn» (GLP, EVP, die Mitte, FDP, SVP). Und was niemand schreibt: denkbar knapp. Die Bevölkerung hat insgesamt 206’000 Stimmen abgegeben. 138’116 gingen an RotGrünMitte (RGM), 68’390 an «Meh Farb für Bärn». Das entspricht 33,12 % der Stimmen. In der Stadt Bern wird die Regierung im Proporzwahlsystem (Verhältniswahl) ermittelt. Für einen Sitz bedarf es 16,67 % der Stimmen. Für zwei Sitze hätten die Bürgerlichen also 33,33 % benötigt. Gefehlt haben 0,28 %. In Stimmen umgerechnet hätte die Allianz «Meh Farb für Bärn» entweder 669 Stimmen mehr mobilisieren müssen oder 446 Stimmen von RGM erhalten müssen. Bei über 206’000 Stimmen ist das hauchdünn.

Verliert Bern ein Polit-Talent?

Besonders bitter ist dies für Florence Pärli (FDP). Sie erreichte hinter Melanie Mettler das zweitbeste Resultat bei den Bürgerlichen und hätte somit diesen zweiten Sitz gewonnen. Und es kommt für die junge Juristin aus der FDP noch dicker: Auch im Stadtrat verliert sie ihren Sitz. Die Frau, die ein besonders wachsames Auge auf die Finanzen warf, muss nun über die Bücher und darüber nachdenken, wie es weitergeht. «Bern ist nach den Wahlen noch linker geworden», schreibt etwa SRF. «Das bürgerliche und von den Medien weitergetragene Narrativ von der Stadt am Rand des finanziellen Zusammenbruchs hat nicht verfangen», kommentiert das Grüne Bündnis. Von einer grossen Niederlage der bürgerlichen Kräfte zu schreiben, greift allerdings zu kurz. Nicht nur wegen der knappen Ausgangslage im Gemeinderat. Hierzu genügt der Blick auf den Stadtrat. Während die SVP und die GLP je einen Sitz verlieren, behält die EVP ihre zwei Sitze, die Mitte und die FDP legen je um einen Sitz zu. Damit bleibt das Verhältnis im Stadtrat unverändert. Man kann aus bürgerlicher Sicht konstatieren: Es ist zumindest nicht noch schlimmer geworden und man ist an weiteren Sitzen nah dran.

Königin SP

Die lauten Jubelrufe im altehrwürdigen Rathaus, sie waren schon 90 Minuten vor Bekanntgabe der Gemeinderatssitze ohrenbetäubend laut. Stadtschreiberin Mannhart tritt erstmals vor die Menge und verkündet die Resultate der Wahlen zum Stadtpräsidium. «Stimmen haben erhalten, Marieke Kruit (SP), 19’912», Freudenlaute gehen mit Wow-Rufen einher. «Alec von Graffenried (GFL) 11’284 Stimmen, Melanie Mettler (GLP) 7595 Stimmen, Janosch Weyermann (SVP) 3997 Stimmen.» Kruit verpasst das absolute Mehr von 21’371 Stimmen relativ knapp. Der deutliche Vorsprung der Gemeinderätin bleibt nicht ohne Folgen. Von Graffenried ist klar, dass er gegen diesen Vorsprung nicht ankommen kann; er verzichtet genauso wie Melanie Mettler und Janosch Weyermann. So kommt es im Januar nicht zu einem zweiten Wahlgang. Marieke Kruit wird die erste Stadtpräsidentin von Bern. Nach 833 Jahren erstmals eine Frau. Die SP erobert damit ihren Stapi-Sitz nach acht Jahren wieder zurück. Es ist die Schlagzeile einer Nachricht, die von einem Grosserfolg der SP berichtet. Kruit und Aebischer erzielen im Gemeinderat beide ein Spitzenresultat. Doch der Paukenschlag folgt – erneut unter grossem Jubel – noch später in der Nacht, bei den Resultaten für den 70-köpfigen Stadtrat. Die SP legt um satte fünf Sitze zu. Schon zuvor war sie die stärkste Partei, nun baut sie diese Dominanz gar noch deutlich aus. Mehr als ein Drittel des Parlaments stellt die SP. Der Erfolg schwappt auch auf den Stadtteil VI über. Die SP ist im Stadtteil VI weniger stark als in anderen Stadtteilen. Doch auch in Bümpliz und Bethlehem macht die Partei Boden gut. Vermutlich nicht auf Kosten der im Stadtteil starken SVP, sondern wohl auf Kosten der Grünen Parteien, wie die Sitzverschiebungen im Stadtrat zeigen. Die drei Mitglieder Chandru Somasundaram, Mihalyi Szabolcs und Timur Akçasayar von der SP Bümpliz Bethlehem schafften die Wahl deutlich.

Bümpliz bleibt Bümpliz

Womit die Frage ansteht, wer jubelt im Stadtteil VI und wie laut? Sicherlich die SP mit ihrem Wachstum von zirka drei Prozent. Während die SVP insgesamt leicht verlor, konnte sie ihre Stärke im Stadtteil VI halten. In der restlichen Stadt hat die Volkspartei 7,9 % der Stimmen geholt. Ganz anders in Bümpliz Bethlehem, wo sie unverändert bei zirka 22 % der Stimmen liegt und damit hinter der SP zweitstärkste Partei bleibt. Andere Parteien haben im Stadtteil VI deutlich kleinere Anteile. Drittstärkste Kraft ist die Mitte mit rund 20 %. Die FDP hält ihre 8 % konstant. Ein Prozent weniger hat die GLP, sie hat stadtweit ein wenig eingebüsst. Die Grünen Parteien haben auch in Bümpliz und Bethlehem etwa 2 % verloren. Sie kommen zusammen auf 14 %. Addiert man die verschiedenen Anteile, so landen die rotgrünen Parteien bei 45 %. Die bürgerlichen und Mitte-Parteien teilen sich also mit 55 % die Mehrheit im Westen von Bern. Dieser ist und bleibt der einzige Stadtteil mit einer bürgerlichen Mehrheit, wobei die stärkste Partei die SP ist. Ein Stadtteil also, der ziemlich ausgewogen alle Interessen vereint. Stellvertretend steht da Janosch Weyermann. Seine Stimmen erhielt er grossmehrheitlich aus dem Westen Berns. Aufgeteilt in die Stadtteile erhielt er von allen bürgerlichen Kandidierenden im Stadtteil VI am meisten Stimmen. Er darf also durchaus zufrieden sein, wenn man bedenkt, dass die SVP in gewissen Quartieren kaum Anerkennung erhält.

Den lautesten Jubelschrei von allen darf die SP absetzen. In Bümpliz, Bethlehem und weit darüber hinaus. Die Sozialdemokraten legen kräftig zu und stellen mit Marieke Kruit die Stadtpräsidentin. In Bern darf man aus der Feierlaune heraus durchaus auf die Idee kommen, die Abkürzung SP noch für eine Weile lang mit Super-Partei auszuschreiben.

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