Zufällig getroffen

«Die Schule bildet die Grundlage für die Zukunft»

Thomas Bornhauser
Serhan Saritepe wünscht sich, dass Einheimische und Migrierte sich miteinander für Kinder einsetzen.

Foto: BO

Einfach erklärt
Serhan Seritepe stammt ursprünglich aus der Türkei. Heute ist er Lehrer im Schulhaus Schwabgut. Für ihn ist der Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen sehr wichtig.
Besuch im Schulhaus Schwabgut. Grosse Pause. Ideal also, um einen Lehrer zum Interview zu überrumpeln. Und so kommt es, dass heute Serhan Saritepe die Fragen gestellt bekommt.

Serhan Saritepe, Sie sagten soeben, dass Sie ursprünglich aus der Türkei kommen.

Genau, aus Elazig im Osten des Landes, auf über 1000 Meter über Meer gelegen. Es ist eine Stadt in der Nähe der Gegend, wo Euphrat und Tigris ihren Ursprung haben. 

Wie sind Sie aufgewachsen, in einer Grossfamilie?

Nein. Wir waren eine kleine Familie. Meine Eltern und mein Bruder, der heute übrigens auch Lehrer ist, in der Türkei. Ja, klar, früher wuchs man in Grossfamilien auf, heute eher nicht mehr. Mein Vater war Elektroniker, hatte dann einen Fernseh-Laden in Elazig.

Und – haben Sie auch in der Mi-gros eingekauft?

(Schallendes Lachen) Ja, sicher doch! Das ist eine bekannte Supermarktkette in der Türkei, sie geht auf Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler zurück, ist heute jedoch in anderen Händen. Die Migros hat in der Türkei einen sehr guten Ruf.

Was und wann war der Grund, dass Sie und Ihre Familie in die Schweiz gekommen sind? 

Wir sind aus Gründen, wie sie heute noch bestehen, in die Schweiz gekommen. Zuerst ins Asylzentrum Basel, anschlies-send wurden wir nach Bern verteilt. 

Wie haben Sie die Schweiz damals erlebt? 

Ich konnte kein Wort Deutsch, kannte nur zwei Verben und dazu kannte ich die Namen von 20 Früchten, die ich in Basel gelernt habe, das war alles. Nachdem wir zuerst kurz in Ostermundigen untergebracht wurden, kamen wir nach Bremgarten bei Bern. Ich habe dort von 1996 bis 2000 die Oberstufe besucht. 2008 sind wir dann nach Bümpliz gezogen. Meine Ausbildung zum Lehrer habe ich in der PH Bern im Marzili absolviert.

Sie sind Lehrer im Schwabgut. Es ist anzunehmen, dass Sie ein spezielles Verhältnis zu türkischen Schülerinnen und Schülern haben. Wie manifestiert sich das?

(Schmunzelt) Türkische Kinder und Jugendliche, die mich noch nicht kennen, aber hören, dass ich aus der Türkei stamme, kommen zu mir und wollen mein Türkisch testen. Wenn ich ihnen dann antworte, kichern sie und rennen davon. Aber das nur zu Beginn. Mit der Zeit entsteht ein echtes Vertrauensverhältnis.

Wie erleben Sie den Unterricht im Schwabgut?

Ich glaube sagen zu dürfen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, weil wir den Schülerinnen und Schülern Respekt, Empathie und Fairness beibringen – und auch vorleben. Es sind die drei Grundpfeiler unserer Arbeit, die auch für Erwachsene gelten. Will heis-
sen: Den Eltern gegenüber begegnen wir mit Transparenz und Ehrlichkeit, gehen auf ihre Anliegen ein, versuchen ihnen aufzuzeigen, wie das Schulsystem in der Schweiz funktioniert, das in vielen Fällen so anders ist als in ihren Herkunftsländern.

Zwischenfrage: Zivilstand?

Ich bin mit einer «Lozärnerin» verheiratet, wir haben zwei Kinder, 8 und 5 Jahre alt, die im Stapfenacker zur Schule respektive in den Kindergarten gehen.

Und wie steht es eigentlich mit dem sogenannten Lehrkörper?

Wir verstehen uns, harmonieren. Das kommt vielleicht auch davon, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen sich bewusst für das Multikulti-Schulhaus Schwabgut entscheiden, weil sie Kindern und Jugendlichen auf ihrem Lebensweg helfen, sie unterstützen wollen. Ich könnte mir kein besseres Kollegium vorstellen. 

Wie empfinden Sie die Schweiz heute im Vergleich zu den ersten Monaten hierzulande?

Logischerweise anders, weil ich sehr viel über Geschichte, Politik und Kultur gelernt habe. Und selbstverständlich interessiere ich mich nach wie vor, was in der Türkei passiert. Und noch etwas Lustiges (lacht): Ich war bei unserer Ankunft überrascht, dass nicht alle Schweizerinnen und Schweizer blonde Haare und blaue Augen haben und in einem Heidi-Land leben.

Die Schlussbemerkung dieses kurzen Gesprächs steht Ihnen zu: Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg ins noch fast neue Jahr geben?

Dass sich Einheimische und Migranten miteinander für ihre Kinder einsetzen, ganz gleich, welcher Herkunft. Klar, heute ist heute, aber in nicht mehr allzu ferner Zukunft werden wir alle zusammenleben. Ich denke, vor 100 Jahren wäre ein Schulbetrieb wie im Schwabgut undenkbar gewesen, heute ist er Tatsache. Das verpflichtet vor allem uns Erwachsene, denn die Schule ist die Grundlage für das künftige Leben. 

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