Berner Sportlerin und Sportler des Jahres 2023

Über Hürden und Hügel, von Podest zu Podest

Pierre Benoit
Kambundji an der Preisverleihung zur Schweizer Leichtathletin 2023

Foto: zvg/athletix.ch

Einfach erklärt

Ditaji Kambundji ist eine Leichtathletin. Matthias Kyburz ist Orientierungsläufer. Der Kanton Bern gab ihnen die Auszeichnung «Berner Sportlerin und Sportler des Jahres 2023». Im Interview erzählen sie von ihrem Sport.

Die 22-jährige Ditaji Kambundji und der 33-jährige Matthias Kyburz haben nur wenig Gemeinsamkeiten. Sie stammen beide aus Köniz und sind ausgezeichnet worden als «Berner Sportlerin des Jahres» und «Berner Sportler des Jahres». Doch während sich die Hürdenläuferin im Rampenlicht bewegt und kürzlich auch an der Wahl zur «Schweizer Sportlerin des Jahres» in den Top-3 rangierte, bewegt sich der weltbeste OL-Läufer beinahe unbemerkt in der Öffentlichkeit. Andere Sportart – andere Aufmerksamkeit.

Ditaji Kambundji:
«Sicher geht es noch schneller»

Ihre erzielten Fortschritte sind beeindruckend, weitere Höhenflüge scheinen nicht unmöglich zu sein. Im kommenden Jahr sind die Olympischen Sommerspiele in Paris das grosse Ziel, die Europameisterschaft in Rom ein wichtiger Zwischenschritt.

Herzliche Gratulation. Noch ein Titel: «Berner Sportlerin des Jahres». Was bedeutet das für Sie?

Ditaji Kambundji: Ich freue mich sehr, auch weil die Konkurrenz derzeit bei den Frauen sehr stark und ein solcher Titel nie selbstverständlich ist.

Am Citius-Meeting verbesserten Sie innerhalb von einer Stunde den Schweizerrekord auf unglaubliche 12,47 Sekunden. Wie schafften Sie es, sich nach dem ersten Rekordlauf innert so kurzer Zeit nochmals zu konzentrieren?

Ich habe zuerst gar nicht genau realisiert, was passiert ist. Ich habe mich zwar über die Zeit sehr gefreut, aber ich wusste, dass mir noch ein Final bevorsteht und versuchte, möglichst ruhig zu bleiben und mich auf den Final zu konzentrieren.

12,47 Sekunden – eine absolute Weltklassezeit. Geht es noch schneller?

Sicher geht es noch schneller. Hat man etwas erreicht, setzt man sich ein neues Ziel. Ich bin überzeugt davon, dass ich noch schneller laufen kann.

Welche Gedanken gehen Ihnen vor dem Start durch den Kopf?

Ich versuche immer, so wenig wie möglich zu studieren, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und alles andere auszu-
blenden.

Im Fokus steht jetzt Paris. Die Olympischen Spiele bilden den Höhepunkt der kommenden Saison. Nach EM-Bronze und einem WM-Finalplatz ist die Erwartungshaltung der Schweizer Leichtathletik-Fans hoch. Was erwarten Sie selbst von sich gegenüber dieser starken Konkurrenz?

Der Fokus ist voll auf Paris gerichtet. Ich habe an mich selbst hohe Erwartungen. Ich weiss, dass die Konkurrenz gerade in einem Olympiajahr sehr gross ist. Dennoch ist eine Finalteilnahme mein grosses Ziel.

Wie läuft Ihre Vorbereitung? Was machen Sie bis Paris? Welche Rennen stehen auf dem Programm?

Wir sind momentan im Training in der Vorbereitung und versuchen, auf den im letzten Jahr erzielten Fortschritten aufzubauen. Mit der Europameisterschaft in Rom steht vor den olympischen Spielen noch ein wichtiger Anlass auf dem Programm.

Sind Sie in Bern noch anzutreffen? Wo liegen Ihre Trainingsschwerpunkte?

Ich bin immer noch oft in Bern anzutreffen, hier liegt mein Trainingsschwerpunkt. Das technische Hürdentraining absolviere ich in Basel. Ich pendle also zwischen Bern und Basel.

Bleibt daneben noch Platz für etwas anderes?

Es bleibt noch Zeit für andere Sachen. Mir ist es sehr wichtig, dass ich einen Ausgleich habe und es Momente gibt, in denen es nicht allein um Leichtathletik geht und ich so ein gutes Gleichgewicht finde.

Sie sagten auch schon, dass Sie als Kind davon träumten, Sängerin, Tänzerin oder Schauspielerinzu werden. Ist der Hürdenlauf so etwas wie eine Kombination all dieser Kindheitsräume?

Ich hatte allgemein viele Kindheitsträume. Ich denke nicht, dass der Hürdenlauf eine Kombination von all dem ist, sondern dass sich das schliesslich einfach so ergeben hat.

Neben Ihnen wurde in Langnau Matthias Kyburz zum «Berner Sportler des Jahres» gewählt. Er ist der weltbeste Orientierungsläufer. Sind Sie auch schon einmal einen OL gelaufen?

Ich bin selbst auch schon OL gelaufen, aber nur im Schulsport. Eine spannende, anspruchsvolle Sache.

In Paris werden in 32 verschiedenen Sportarten insgesamt 329 Medaillensätze vergeben. Der Orientierungslauf zählt zu den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannten Sportarten, wird aber an Olympischen Spielen im Gegensatz beispielsweise zu Breakdance nicht ausgetragen. Was sagen Sie dazu?

Das ist schade. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Orientierungsläufer in unserem Olympiateam stehen und natürlich auch für die Schweiz Medaillen holen würden.

Sie haben in Magglingen die Sportler-RS absolviert und sind bereits Frau Gefreite. Wie haben Sie Ihren Militärdienst erlebt? Lässt sich eine RS problemlos mit Spitzensport kombinieren?

Das Militär war für mich eine sehr spannende Zeit. In der RS habe ich viele interessante Leute kennengerlernt. Ich profitierte von der Zeit in Magglingen, denn die Ausbildung lässt sich sehr gut mit dem Sport verbinden. Das Angebot, das Spitzensportler erhalten, ist optimal.

***

Ditaji «Didi» Kambundji

wurde am 20. Mai 2002 als jüngste von vier Schwestern in Bern geboren. Die Bestzeit der Schweizermeisterin 100 m Hürden liegt bei 12,47 (Schweizerrekord). «Didi» ist Mitglied des ST Bern. Sie gewann Gold an den Junioren-Europameisterschaften U20 und U23, an den Hallen-Europameisterschaften 2023 und an den Europameisterschaften 2022 Bronze. Nebst ihrer Wahl zur Berner Sportlerin des Jahres 2023 ist sie auch Schweizer Leichtathletin 2023 und landete zudem als eine von sechs nominierten Athlethinnen in der engeren Vorauswahl für die Swiss Sports Awards auf dem dritten Rang.

«Didi» II

Der Name «Didi», so der Kosename von Ditaji Kambundji, ist für allgemein interessierte Sportfans nichts Neues. In den Jahren 1958 und 1962 führte ein gewisser Didi die brasilianische Fussball-Nationalmannschaft zum WM-Titel. 1958 wurde Valdir Pereira, so sein eigentlicher Name, zum besten Spieler des Turniers ausgezeichnet, neben ihm spielte im Mittelfeld ein Mann namens Pele.

***

Matthias Kyburz: Im Marzilibad bleibt er unerkannt

Der achtfache OL-Weltmeister Matthias Kyburz ist der beste seines Fachs. Am Tag nach den Weltmeisterschaften in Laax, wo Kyburz zweimal Gold und einmal Silber gewann, leistete er sich einen trainingsfreien Tag, liess in Gedanken die letzten, erfolgreichen Tage passieren und sich vom Eichholz in der 22,9 Grad warmen Aare Richtung Schwellenmätteli hinuntertreiben. Erkannt hat ihn, den Superstar seiner Sportart, niemand.

Herzliche Gratulation. Noch ein Titel: «Berner Sportler des Jahres». Was bedeutet das für Sie?

Sehr viel, denn es ist auch der Lohn für eine extrem erfolgreiche Saison. Als OL-Läufer ist es nicht einfach, eine solche Auszeichnung zu gewinnen, weil unsere Sportart in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. So betrachtet, ist es nicht nur eine Anerkennung für meine Leistungen, sondern ebenso für die gesamte Sportart. Im OL muss man wirklich gut sein, um eine solche Ehrung zu erfahren.

An der Heim-WM in Laax holten Sie in diesem Jahr zweimal Gold und einmal Silber. Werden Siege bei Ihnen zur Gewohnheit und nehmen Sie diese Titel quasi im Vorbeigehen mit?

Nein, so einfach ist das nicht, das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir Schweizer OL-Läufer haben uns in einem Vierjahres-Projekt auf diese WM vorbereitet. Jeden Titel musste ich mir hart erarbeiten. Umso schöner, dass ich zuhause mit meiner Familie und meinen Freunden feiern durfte.

Sie wurden nicht nur Einzel-Weltmeister, sondern holten auch mit der Mannschaft Gold. Sind die Emotionen nach einem Sieg im Team grösser als nach einem Titel in einem Einzelrennen?

Eine schwierig zu beantwortende Frage. Normalerweise sind bei einem Mannschaftstitel die Emotionen grösser, auch weil alle OL-Interessierten diesem Tag entgegenfiebern. Diesmal war es deshalb etwas anders, weil ich mit einem Vorsprung auf die Schlussstrecke ging. Im Einzel hatte ich keine Ahnung, wie ich unterwegs war. Als mich dann kurz vor dem Ziel beim Einlauf die Zuschauerinnen und Zuschauer frenetisch jubelnd empfingen, war mir klar, dass ich Gold gewonnen hatte. Die letzten Meter gingen mir wirklich unter die Haut.

Sie haben sich von Februar bis Juni minutiös auf diese WM vorbereitet. Wie sah das Trainingsprogramm aus?

Ende Mai weilten wir während drei Wochen im Höhentraining in St. Moritz. Wir trainierten in alpinem Gelände möglichst wettkampfnah mit entsprechenden Steigungen und absolvierten auch Testwettkämpfe. Daneben lief das Training wie immer: zweimal täglich, pro Woche rund 16 Stunden oder 150 Kilometer.

Waren Sie auch oft in Laax? Kennen Sie dort jeden Baumstrunk?

Die Rennstrecke und das Laufgelände in Laax waren für uns tabu. Vor einer WM wird ein Gelände rund um die Strecke vom internationalen OL-Verband abgesperrt, wer trotzdem dort auftaucht, wird gesperrt. Wir trainierten rund um dieses Gebiet herum in relevanten Wäldern, daher kenne ich in Laax nicht jeden Baumstrunk und auch nicht jeden Wald auswendig.

Am meisten Respekt scheinen Sie vor der Langdistanz, die bis zu 15 Kilometer lang ist, zu haben. An der WM holten Sie Silber, waren über den zweiten Platz aber genauso glücklich wie über Gold in der Mitteldistanz. Weshalb?

Bisher ist es mir noch nicht gelungen, über 90 Minuten die erforderliche Konzentration hochzuhalten, das ist für mich die Knacknuss. Aber Silber ist ja auch nicht so schlecht…

Also ist die Goldmedaille über die Langdistanz das einzige Ziel, das Sie noch erreichen wollen.

Im nächsten Jahr stehen turnusgemäss nur Sprintstrecken auf dem WM-Programm. 2025 in Finnland ist die Langdistanz mein erklärtes Ziel.

Sie gewannen im letzten Jahr den Grand Prix von Bern. Dort liefen Sie nach 16,093 in 48:52 ins Ziel und erreichten trotz Aargauerstalden einen Schnitt von ziemlich genau drei Minuten pro Kilometer. An der Ausdauer kann es somit nicht liegen.

Je nach Saisonplanung bin ich gerne am Grand Prix dabei. Die Zeit ist auch davon abhängig, in welcher Aufbauphase ich mich befinde. 2022 hat das offensichtlich perfekt geklappt.

Neben Ihnen wurde die Hürdensprinterin Ditaji Kambundji als «Berner Sportlerin des Jahres» geehrt. Als OL-Läufer überspringen Sie im Wald auch Hürden, es geht über Baumstrünke, Sträucher und viele andere Hindernisse. Wie schnell wären Sie im 110-Meter-Hürdenlauf?

Da lasse ich lieber die Finger (und die Beine) davon. Ich bin im Hüftbereich zu steif. Der Hürdenlauf ist technisch kompliziert, deshalb auch meine Bewunderung für Ditajis Leistungen.

Worin sehen Sie persönlich den Unterschied zwischen den beiden Sportarten?

Im Gegensatz zum Hürdensprint kann man im OL auch einmal eine falsche Route einschlagen und so wertvolle Zeit verlieren.

Bei Ihnen passiert das sehr selten. Weshalb?

Da ist einmal die Erfahrung, das lernt man schon als Kind. Im Staffellauf an der WM machte ich am Schluss einen kleinen Umweg, doch der Vorsprung war glücklicherweise gross genug. Es gilt rund 30 Posten anzulaufen, das ist kaum perfekt möglich. Man muss immer rasch eine Entscheidung treffen. Gehe ich den direkten Weg, ist bei einem Hügel der Weg aussenrum schneller? Das und vieles andere gilt es abzuwägen. Da können sich auch bei einem Routinier hin und wieder kleine Fehler einschleichen.

Mit all Ihren Medaillen können Sie eine ganze Wohnung tapezieren. Was einzig fehlt, sind Olympiamedaillen. Im nächsten Sommer finden die Olympischen Spiele in Paris statt. Dort werden in 32 verschiedenen Sportarten insgesamt 329 Medaillensätze vergeben. Der Orientierungslauf zählt zu den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannten Sportarten, wird aber an Olympischen Spielen im Gegensatz beispielsweise zu Breakdance nicht ausgetragen. Was sagen Sie dazu?

Der OL wäre dazu prädestiniert, olympisch zu sein. Fairness, Sauberkeit, Ehrlichkeit, all diese Eigenschaften verkörpert der Orientierungslauf. Zwischen dem IOC und dem internationalen OL-Verband fanden Gespräche statt. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Werte hochhalten, uns nicht verbiegen, mit dem Entscheid, dass der OL-Verband nicht auf biegen und Brechen olympisch werden will, waren auch die Läuferinnen und Läufer einverstanden.

Wie geht es für Sie sportlich weiter, welche Ziele verfolgen Sie noch? Sie haben alles erreicht und werden im März 33. Bleiben Sie dem Orientierungslauf weiterhin treu?

Zuerst werde ich jetzt Ende Jahr Vater. Aber ich laufe vorderhand weiter, mein Erfolgshunger ist noch nicht gestillt.

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Matthias Kyburz

wurde am 5. März 1990 in Rheinfelden geboren. Er ist verheiratet mit der ehemaligen OL-Läuferin Sarina Kyburz-Jenzer. Kyburz ist einer der erfolgreichsten Schweizer OL-Läufer aller Zeiten. 8 WM-Titel, 9 EM-Titel, 6 Gesamtweltcupsiege, 23 Weltcupsiege und 21 Schweizermeistertitel hat er bisher errungen. Er ist OL-Profi und arbeitet zu 40 % bei den SBB im Nachhaltigkeitsbereich.

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«Didi» fragt «Kybi»

Wo erholst du dich nach einer langen und anstrengenden Saison? Zuhause oder in den Ferien? Hast du einen Lieblingsort?

Bis vor zwei Jahren habe ich nach der Saison nie auswärts Ferien gemacht. Ich habe es genossen, Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen und nicht ständig den Koffer packen zu müssen. In den letzten Jahren hat sich die Gelegenheit geboten, direkt nach dem Weltcupfinal noch ein paar Tage am Meer in Italien oder Kroatien zu verbringen. Das hatte durchaus seinen Reiz und dem bin ich ganz und gar nicht abgeneigt.

«Kybi» fragt «Didi»

Du hast mit Claudine Müller eine Basler Trainerin. Wie ist das als Bernerin in Basel zu trainieren? Kannst du mit dem Basler-Tempo mithalten? Nach einem Jahr «in Basel», Was ist dein Lieblingsausdruck in «Baseldytsch»?

Ich habe mich in Basel bestens eingelebt und bisher gelang es mir gut, mit dem Tempo in der Rheinstadt mitzuhalten. Mit baseldeutschen Ausdrücken bin ich noch wenig vertraut, aber mir fällt auf, dass wir Berner im korrekten Bärndütsch unterscheiden zwischen «drei Manne und drei Froue, aber drü Ching», in Basel aber ist das alles einfach «drü».

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