Individualverkehr: Elektro, Hybrid, Wasserstoff oder Pedelec?

Wenn sie nicht gestorben sind, rollen sie noch heute

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Was oft in den Diskussionen vergessen geht: Auto-Mobilität hat auch mit Freiheit zu tun.

Foto: zvg

Einfach erklärt
Was ist besser: das E-Auto, der Hybrid, Wasserstoff oder gar kein Auto? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Auf den Wohnort sowie die Bedürfnisse. Heute kann man genau das Richtige für sich finden.
Egal wie viele Bodenwellen, 30er-Zonen oder Einbahnstrassen Bern noch baut, Autos wird es immer benötigen. Die stinkende Blechlawine voller Autos mit nur einem Passagier mag zurecht hinterfragt werden, doch die rauchenden Auspuffe werden seltener. Kaum eine Branche, welche den technischen Fortschritt weg von den fossilen Brennstoffen so geprägt und vorangetrieben hat wie die Autoindustrie.

Es waren einmal viele laute und rauchende Karren. Tagtäglich suchten sie sich ihren Weg durch die Häuserschluchten, um Luft und Umwelt zu verpesten. Diese Sichtweise gehört schon in wenigen Jahren in die Abteilung der Märchen. Nicht, weil es dann keinen Individualverkehr mehr geben würde. Mitnichten. Oder wie soll der Handwerker die Leitungsrohre ersetzen, der Krankenwagen den Verunfallten bergen oder die Feuerwehr den Brand löschen? Oder schreibt man den Menschen zukünftig vor, sie dürfen nur noch in Ballungszentren leben, bis jede Landgemeinde verrottet – es sei denn, sie muss am Wochenende und in den Sportferien noch ein paar Touristen aus der Stadt bespassen? Bleiben dürfen dann nur noch ein paar Landwirte, die ihre Felder wieder mit den Pferden bestellen? Das sind Szenarien, wie sie Aldous Huxley schon in den 1920er-Jahren in seinem Buch «Brave New World» (Schöne neue Welt) mit viel Ironie und Gesellschaftskritik beschrieben hat. Ein Horroszenario, aber kein Märchen. Dabei haben die Autohersteller in Rekordzeit die Abkehr von fossilen Brennstoffen vorangetrieben. Ist jetzt nur noch elektrisch toll oder verlagern sich nur die Probleme an einen anderen Ort? Wohin geht die Entwicklung? Was setzt sich durch, was steht noch an, wie harmonieren Individualverkehr und öffentlicher Verker besser?

E-Mobilität als Katalysator

«Mir ist einfach nicht wohl mit einem Elektroauto, gerade wenn ich grössere Distanzen absolviere.» So oder ähnlich klingen viele Menschen, wenn sie darüber nachdenken, rein elektrisch «herumzusummen». Ganz abgesehen davon, dass der Energiebedarf eines Elektroautos beträchtlich sein kann. Zumindest, wenn man nahezu drei Tonnen SUV elektrisch von A nach B bewegt. Frohlocken kann, wer ländlich wohnt und öV-Anschlüsse nutzen müsste, deren Fahrpläne eher an einen Lückentext erinnern als an eine Anbindung. Solarstrom auf dem Dach und ein Auto vor dem Haus, mit dem es an die Arbeit oder zum Einkaufen geht. Die Reichweiten werden besser, das Ladeangebot ebenfalls, so dass auch Ausflüge noch drin sind. Klar, die graue Energie eines Neuwagens ist beträchtlich, der Lithium-Abbau ein Problem. Doch auch daran arbeitet die Autoindustrie auf Hochtouren. Die Autohersteller recyclen immer mehr Stoffe. Kreislaufwirtschaft heisst auch hier das Ziel, auf das die Fahrzeughersteller hinarbeiten. Die E-Autos sind wie eine Speerspitze im Wandel und befeuern die Weiterentwicklung in anderen Branchen.

Weder Fisch noch Vogel?

Es muss aber nicht unbedingt ein Auto sein, dass den einzelnen Menschen mit einem Fünfplätzer zur Arbeit trägt. Pedelecs erfreuen sich steigender Beliebtheit. Jene Fahrräder, die mit 45 km/h vielerorts zum effizientesten Verkehrsmittel avanciert sind. Die Elektromobilität – ob auf zwei oder vier Rädern – wird zur sauberen Möglichkeit, an die Arbeit zu kommen. Zumindest so lange Frau Holle nicht ihre Kissen schüttelt. Das Dach über dem reisenden Kopf oder Finger, die nicht nach wenigen Fahrminuten einfrieren, sind dann halt schon verlockend schöne Gedanken. Doch zu den fahrenden Individualisten gesellen sich auch solche Autos hinzu, auf deren Heck der Aufdruck «Hybrid» prangt. Ein Wort, das in Mode gekommen ist. Es gibt in der Wirtschaft, in der Politik und im Sozialwesen mittlerweile sogenannte hybride Lösungen. Gemeint ist die Kombination zweier Systeme zu einem grossen Ganzen. Bei den Autos arbeiten ein Verbrennungsmotor und ein Elektromotor zusammen. Je nach Grösse der Batterie und elektrischer Reichweite gibt es Plug-in-Hybride (die man einstecken und aufladen kann), welche den Arbeitsweg elektrisch absolvieren, aber dank des Verbrennungsmotors kann man auch jederzeit ohne Halt weite Strecken anpeilen. Daneben gibt es Vollhybride, also Autos mit kleiner Batterie, die sich selbst aufladen und Energie während der Fahrt dazugewinnen, um so immer wieder elektrische Fahrmeter zu generieren. Dieses System verbraucht immer noch CO2, hat aber aufgrund der kleinen Batterie eine weitaus tiefere graue Energiebilanz. Hybride sind also nicht unbedingt die schlechtere Lösung, sondern eine, die mit weniger Herstellungsaufwand im Verkauf landet. Eine gute Wahl für alle Vielfahrer.

Ausspielen als Irrweg

Darf man den reinen Verbrennungsmotor noch in eine solche Aufzählung mit reinpacken? Immerhin verkünden die ersten Länder, ab wann keine reinen Verbrennungsmotoren mehr in den Verkauf gehen dürfen. Oh doch, unbedingt gehört der Verbrennungsmotor in diese Auflistung. Schauen wir auf ein Beispiel: Jemand nähert sich mit einem möglichst alten, möglichst verbrauchten Auto einer Tesla-Ladestation und lenkt das Gespräch Richtung Umweltfreundlichkeit. Jede Wette: Der wartende Tesla-Fahrer wird der Überzeugung sein, das Richtige für die Umwelt zu tun, und den Altauto-Fahrer für eine Umweltsau halten. Leider ist es etwas komplizierter und die graue Energie eines Teslas bedingt zirka 130‘000 km Fahrt, bis sie in der gesamten Energiebilanz einen Verbrenner wirklich ablöst. Und genau hier kommt nun alles zusammen. Das E-Auto ist kein Königsweg, der Pedelec für viele kein Ganzjahresvergnügen, der Hybrid hext auch nicht alle Probleme weg und der Verbrenner ist nicht nur der böse Wolf. Je nach Situation ist eben ein E-Auto besser, der Hybrid geeigneter oder der alte Verbrenner unbedingt noch weiterzufahren. Und dabei fehlt nun noch der Blick auf die Wasserstofftechnologie. Sie dürfte die Vorteile des Verbrenners ablösen und übernehmen. Lastwagen und Busse mit Wasserstoff werden zunehmen. Private können überschüssige Solarenergie in Wasserstoff umwandeln und zuhause tanken, das System winkt mit vielen Vorteilen. Welche Antriebsform ist für wen geeignet? Das wird in jedem Einzelfall womöglich ein wenig anders entschieden. Passend heisst es ja schliesslich auch Individualverkehr. Die Zukunft der Mobilität wird wohl so aussehen: Man kombiniert verschiedene Möglichkeiten und setzt das passendste für sich und seinen Bedarf ein. Vielleicht auch deshalb wird es immer Individualverkehr geben. Ein Besuch beim Garagisten ist zukünftig noch wichtiger als je zuvor. Die Experten können ihre Bedürfnisse abklären und das geeignete Auto für sie finden. In dieser breiten Palette an Möglichkeiten, wird Beratung der Schlüssel zum erfolgreichen Autofahren. Denn Mobilität ist in zweierlei Sicht ein Märchen. Einerseits weil viele Märchen erzählt werden; und zwar von jenen, die einseitige Interessen haben. Anderseits weil die Bandbreite an Antriebsformen heute wahrhaftig märchenhaft ist. Es braucht alle Systeme, um sich zu wandeln, sich zu bewegen. Selbst die Verbrenner. Bei diesen heisst es aber: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann rollen sie noch heute.

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