Neutrale Berichterstattung dank Schweizer Beteiligung

Wahlen in der Türkei, Beobachter aus Bern West

PD
Von PD
Hasim Sancar und Thomas Gerber (beides Grüne) sind als Wahlbeobachter in die Türkei gereist.

Foto: Fotos: zvg

Einfach erklärt
Einfach erklärt: Thomas Gerber und Hasim Sancar sind Berner Politiker. Sie reisten in die Türkei. Dort schauten sie, ob bei den Wahlen alles korrekt läuft. Sie bemerkten nichts Falsches. 
Die Republik Türkei wird von den internationalen Organisationen kritisch hinterfragt, wenn es um demokratische Wahlen geht. Türkische Parteien laden deshalb Politiker aus verschiedenen Ländern ein, um die Wahlen vor Ort zu verfolgen. Dieses Jahr sind der Einladung der ADP aus der Provinz Diyarbakir, in der Nähe zur syrischen Grenze zwei Mitglieder der Grünen Partei Bern gefolgt: Thomas Gerber und Hasim Sancar.

Sie reisten auf eigene Kosten am Vortag der Hauptwahlen an, verfolgten in Städten und kleineren Dörfern die Wahlen und flogen am darauffolgenden Montag wieder zurück. Was brachte die beiden Berner Politiker dazu, in ihrer Freizeit und auf ihre Kosten in die Türkei zu reisen, und was haben sie an diesem Wahltag erlebt? Die BümplizWochen treffen sich mit Gerber und Sancar nach der letzten Grossratssitzung der Sommersaison in einem Café.

Als die beiden Grünen-Politiker in der Stadt des Kupfers landen, gibt es keinen Empfang. Ein Taxi bringt sie ins Hotel. In der Stadt ist es auffallend ruhig, so als könnte demnächst etwas geschehen. Am Sonntag treffen sie sich mit weiteren inoffiziellen Wahlbeobachtern. Die Gruppe findet nirgendwo Wahlplakate. Es herrscht Propaganda-Verbot, es gibt keine Hochrechnungen, keine Zwischenresultate. Anwohner berichten, dass es vor zwei Tagen in der Stadt noch Unruhen und Probleme mit der Armee gegeben hätte. Nun kreisen Armee-Helikopter über der Stadt und an manchen Strassenecken ist ein gepanzertes Fahrzeug zu sehen. Die Wahllokale befinden sich in den Schulhäusern. Hier finden sich weder Polizisten noch Soldaten. Der sogenannte Wahlvorsteher, ein höherer Beamter, hat das Sagen. Er wird durch einen Sekretär und Vertreter der politischen Parteien unterstützt. Die Wähler zeigen ihren Personalausweis, erhalten einen riesigen Bogen mit den sich zur Wahl stellenden Parteien und einen Bogen mit den Bildern der möglichen Präsidenten. In der Kabine liegt ein Stempel bereit, mit dem in den Kreis die Stimme für die gewählte Partei und den Präsidenten abgegeben wird. Aufgepasst, dass es nicht schmiert, sonst ist der Stimmzettel ungültig. Wie der Hinterkappeler Gerber und der Stadtberner Sancar bestätigen, verlaufen die Wahlen ruhig und beide können keine Gefahren von Wahlfälschung feststellen. In einem Bergdorf wird eine höhere Militärpräsenz festgestellt. Bei der Bevölkerung herrscht deshalb eine gewisse Verunsicherung.

Szenenwechsel. In einem anderen Café mit vielen Türken, die teilweise ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht haben, manche den Schweizer Pass besitzen, im Herzen aber Türken geblieben sind, startet der Versuch einer Einordnung der Geschehnisse. Ein Kurde erzählt folgende Geschichte: «Ein Politiker war zu Besuch in einem Dorf. Die Tradition verlangt, dass dem Gast ein Lamm geschenkt wird. In Ankara liess er für das Lamm eine Wiese einzäunen und bestellte einen Hirten. Für die Erfassung der Kosten bestellte er eine Bürokraft. Da er nun zwei Mitarbeiter hatte, stellte er einen Teamleiter ein. Das Projekt nahm an Grösse zu, also benötigte er einen Projekt-Manager. Dieser beantragte einen Buchhalter, eine Reinigungskraft und einen Mitarbeiter am Empfang. Der Politiker ernannte einen Geschäftsführer, der ihm direkt berichtet. Draussen auf der Weide wurde das Lamm zum Schaf und drinnen in den Büros sorgten acht Personen dafür, dass alles für das Schaf stimmte.» Bürokratischer Irrsinn an einem Beispiel erklärt. Deshalb erstaunt es nicht, dass es unisono heisst: «Wir alle waren abstimmen. Bei der Hauptwahl haben wir bis zu drei Stunden gewartet. Als wir bei der Stichwahl merkten, dass es eng wird, sind wir in Bussen zu den Wahllokalen gefahren und haben erneut gegen Erdogan abgestimmt. Wir wollen keine Diktatur, wir wollen Demokratie.» Heute wissen wir: Erdogan wurde wiedergewählt. Wie kann das sein, wenn gefühlt fast alle gegen den türkischen Machthaber sind? «Vielleicht, weil die Opposition aus verschiedenen und unterschiedlichen Richtungen zusammengestellt ist. Und weil Erdogan in den vergangenen Monaten die Renten zweimal der Teuerung anpasste und dem Volk pünktlich zur Wahl ein Geschenk macht; oder weil niemand weiss, wo vier Millionen der Stimmen geografisch herkommen. Es gibt inhaltliche und logische Gründe», so Hasim Sancar.

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