Bethlehemer Hilfsorganisation feiert Jubiläum

Für mehr Frauengesundheit

Nadia Berger
Von Nadia Berger - Redaktorin
Zwei schwangere Tschaderinnen vor den Maternitées.

Foto: zvg/Salomon Djekorgee Dainyoo/WHI/Fairpicture

Einfach erklärt

Die Hilfsorganisation Women’s Hope International aus Bethlehem gibt es seit 20 Jahren. Sie setzt sich für Frauen und ihre Gesundheit in den Ländern Tschad, Afghanistan, Bangladesch und Äthiopien ein.

Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Women's Hope International mit Sitz im Stöckacker feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. In Afghanistan, Äthiopien, Bangladesch und im Tschad setzt sich das internationale Team für sichere Schwangerschaften und Geburten von Mädchen und Frauen ein. Ein Einblick in zwei Jahrzehnte Entwicklungszusammenarbeit.

«Wir haben gerade Erdnüsse von lokalen Partnern, die uns kürzlich aus dem Tschad besuchten, erhalten – süsse und salzige. Nehmt euch gerne ein paar davon», beginnt Noemi Grossen das Gespräch im Büro an der Looslistrasse 15 in Bethlehem. Seit einem Jahr ist sie bei der NGO Geschäftsleiterin und Programmverantwortliche für Afghanistan, zuvor war sie bei der UNO und bei verschiedenen kleineren Hilfsorganisationen tätig. Etwas versetzt neben ihr sitzt Matthias Lüscher. Er ist seit 2003 – seit der Gründung Organisation – im Vorstand von Women‘s Hope International. Beide haben einen Tee vor sich, der an diesem nassen Novembertag etwas Wärme bringen soll.

Blick zurück

Alles begann im Jahr 2000, als das Ehepaar Martin und Claudia Leimgruber aus Bümpliz im Tschad als Arzt und Hebamme arbeitete. Dort wurden sie das erste Mal mit einem Leiden konfrontiert, das in Europa nicht bekannt ist. Sogenannte Fisteln, eine Verletzung, die bei einem stark verzögerten Geburtsverlauf ohne medizinische Betreuung entstehen kann. Das Ungeborene drückt dabei auf das Gewebe der Mutter, was ein Loch zwischen Blase und Scheide und somit Inkontinenz zur Folge hat. «Die Betroffenen entkommen nicht nur knapp dem Tod, sondern verlieren auch ihr eigenes Kind und leben danach durch Stigmatisierung meist isoliert von der Dorfgemeinschaft», erklärt Grossen. Zurück in der Schweiz gründeten Leimgrubers mit Freunden Women‘s Hope International. «Wir begannen sehr klein, nur mit dem Vorstand und mit 37′000 Franken Budget. Mittlerweile sind es jährlich knapp 2,5 Millionen», weiss Lüscher.

Von Klein zu Gross

Heute besteht das Team aus dem 5-köpfigen, ehrenamtlich tätigen Vorstand und einem 13-köpfigen professionellem Team, das seine Arbeit in Bern und  den Projektländern in verschiedene Teilzeitpensen aufteilt. Seit 2019 erhält die NGO einen Programmbeitrag der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), was ihr viel mehr Möglichkeiten bietet. Waren sie erst nur im Tschad tätig, so umfasst die Arbeit von Women‘s Hope International heute drei weitere Länder: Afghanistan, Äthiopien und Bangladesch. «Wir gehen nach dem Armutsindex der UNO. Diese drei Länder sind arm, weisen eine sehr hohe Müttersterblichkeit auf und die Gesundheitsversorgung ist mangelhaft», erklärt Grossen.

Aufklärung für Männer

Neben der Behandlung von Fistelpatientinnen, etwa in Form von Operationen, setzt die Hilfsorganisation auf Prävention sowie Information und bietet betroffenen Frauen Ausbildungen als Fisteln-Aufklärerinnen an. Somit können sie nach ihrer Genesung ein eigenes Einkommen generieren, werden meist wieder anerkannt von der Dorfgemeinschaft und können sich wieder in die Gesellschaft eingliedern. «Wir leisten ausserdem auch Aufklärungsarbeit für männliche Jugendliche und Männer, da Fisteln vor allem die Folge von früher Verheiratung und Schwangerschaft und teilweise Unterernährung der Mädchen sind», so Grossen. Die Mädchen hätten oft noch gar nicht den Körper dazu und kämen nicht rechtzeitig vor der Geburt zur Klinik, da sie zu weit weg wohnen. «Deshalb haben wir Wartezonen neben Spitälern errichtet, in denen schwangere Frauen frühzeitig vor der Geburt wohnen können und somit bereits in der Nähe von medizinischer Versorgung sind», ergänzt Lüscher. Weiter hätten sie im Tschad «Maternitées», kühle Lehmbauten für die Geburt, errichtet, in denen Schwangere durch eine Hebamme unterstützt werden. Neben der Fistelnbehandlung, setzt sich Women‘s Hope International ausserdem gegen Beschneidungen, geschlechterbasierte Gewalt und Kinderheirat ein und investiert in die Ausbildungen von medizinischem Fachpersonal.

Bleibt denn noch Hoffnung?

Durch die Klimakrise, Erdbeben, politische Konflikte, Kriege und davor fliehende Menschen wird es auch für die Entwicklungszusammenarbeit immer schwieriger. «Unsere Arbeit ist heute geprägter durch staatliche Kontrollen, etwa in Afghanistan durch die Taliban. Der Druck auf Nichtregierungsorganisationen steigt, die Vorgaben, die sie erfüllen sollen, nehmen zu», ordnet Grossen ein. Ausserdem beinhalte ihre Arbeit Themen, die in diesen Ländern nicht zuoberst auf der Agenda stehen. Und dennoch: Trotz des Leides und den immer schwierigeren Bedingungen, etwas dagegen zu unternehmen, gibt es Hoffnung. «Die Wichtigkeit unserer Arbeit motiviert mich» meint die Geschäftsleiterin nach kurzem Überlegen. Weiter helfe es, sich vor Augen zu führen, was man bei Einzelschicksalen bewirken könne. «Genau», sagt Lüscher. Am ehesten sehe man dies bei Operationen, die für die betroffenen Frauen lebensverändernd seien. Oder bei den errichteten Wartezonen in den Spitälern. «Dort spürt man direkt, dass man etwas bewirken kann.»

Nachhaltiges Arbeiten

Westliche Hilfe in Ländern des globalen Südens wird heute kritischer betrachtet als noch vor 20 Jahren. Zu Recht, findet Grossen. Heute arbeite man holistischer, weiss sie. Man schicke nicht einfach medizinisches Personal aus der Schweiz in diese Länder, sondern ziehe lokale Fachkräfte und Betroffene mit ein. «Die Hilfe wird so nachhaltiger. Man kann etwas erreichen, das weiterläuft, wenn man sich zurückzieht.» Women‘s Hope International arbeitet bewusst mit  lokalen Mitarbeitenden und Partnerorganisationen. «Die lokale Verankerung ist essentiell, damit Bedarf und Unterstützung optimal zusammenpassen», sagt Grossen. Ein- bis zweimal pro Jahr reisen die jeweiligen Programmverantwortlichen ins entsprechende Land, umgekehrt besuchen lokale Partner sie in Bethlehem. «Nach dem Besuch aus dem Tschad kommen bald zwei Mitarbeiterinnen aus Äthiopien, ich hoffe es ist dann schöneres Wetter», sagt Grossen und lacht, bevor sie den letzten Schluck Tee nimmt.

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