Bümplizerin forscht in Kolumbien

Die Liebe zum Schoggiosterhasen reflektieren

Nadia Berger
Von Nadia Berger - Redaktorin
«Schätze deine Schoggi», eine Message, die Salomé Günter sich selbst und anderen zu Ostern mitgeben möchte.

Foto: zvg/ John Fory

Einfach erklärt
Salomé Günter studiert Geografie. Für ihre Masterarbeit ging sie nach Kolumbien und lebte dort mit zwei Familien. Sie bauen Kakao an, der später zu Schokolade wird. Die Studentin erzählt, wie es dort war.
Kurz nach Weihnachten geht es in den Läden gleich weiter mit der angepriesenen Schokolade. Die Samichläuse weichen nun den Osterhasen und Eili. Diese kaufen und mampfen oder verschenken wir – selten im Bewusstsein, wer eigentlich genau dahinter steckt. «Was verdienen die Menschen ganz zu Beginn dieser Kette? Was haben sie für Geschichten? Die gehen oft verloren», sagt Salomé Günter. Die Bümplizerin befasst sich für ihre Masterarbeit seit über einem Jahr mit der Kakaoproduktion im Südwesten von Kolumbien. Der Kakao von dort landet zwar kaum in unserer Schoggi. Die Geschichten der Menschen dahinter aber dürften ähnlich sein.

Salomé Günter studiert Geografie an der Uni Bern. Geschichten von Menschen, die hinter den Produkten stecken, die wir kaufen und konsumieren, interessieren sie. So schrieb die 26-Jährige bereits ihre Bachelorarbeit über die Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitenden im biologischen Gemüseanbau und reiste für ihre Masterarbeit vor einem Jahr schliesslich nach Kolumbien. Ohne den Kakaokonsum zu verurteilen, will sie Bewusstsein schaffen. Auch für sich selbst. «Meine Arbeit ist eine Chance, meine grosse Liebe zu Schoggi und damit zu Kakao zu reflektieren. Ich frage mich immer wieder, wie es möglich ist, dass eine Tafel hier nur 2.10 Franken kosten kann. Wie viel verdient die Migros oder der Coop, wie viel die Kakaoproduzentin? Und wie viel alle Zwischenhhändler?» Heutzutage seien wir alle immer mehr von unseren Nahrungsmitteln entfremdet. «Doch hinter der Schoggi, die wir essen, stecken Menschen, wie diejenigen, die ich kennenlernen durfte und die unter bestimmten Bedingungen dafür arbeiten», meint die Studentin. 

«Ich bin keine Expertin»

Bei der Feldforschung für ihre Arbeit untersuchte sie die Lebensqualität und Arbeit der afrokolumbianischen Gemeinschaft auf Kakaoplantagen. «Mein Ziel war es, eine kritische ethnographische Fallstudie in einer Region durchzuführen, in der Kakao produziert wird.» Die Sprache vor Ort zu beherrschen, sei ihr ausserdem ein grosses Anliegen gewesen, fügt die Halb-Costaricanerin an. Da lateinamerikanischer Kakao, der nach Europa exportiert wird, vorwiegend aus Ecuador stamme, gebe es zum dortigen Kakaoanbau bereits viel Forschung. So kam es, dass die Bernerin schliesslich nach Kolumbien reiste und von Anfang März bis Ende Mai 2023 im südwestlichen Departement Cauca bei zwei Familien lebte. Dort arbeitete sie mit, beobachtete, machte Fotos, schrieb Feldtagebuch – und war sich stets bewusst: «Ich selbst bin keine Expertin, die Menschen vor Ort im Norden von Cauca sind es. Ich übermittle ihr Wissen lediglich in einen wissenschaftlichen Kontext. Das ist extrem wichtig.» Zumal dies in der Wissenschaft oft noch nicht gang und gäbe sei. «Menschen aus dem globalen Norden erforschen Themen des globalen Südens und sehen sich dabei oft als Expertinnen oder Experten», äussert sich Günter kritisch.

Grosse Resistenz

Bei beiden Familie, bei denen Günter wohnen durfte, sind vorwiegend die Ältesten auf der Kakaoplantage tätig. Am einen Ort arbeite nur noch die 72-jährige Mutter, am anderen wurde die Chefin gerade 102 Jahre alt, erklärt Günter. «Jeden Morgen holt die Frau zuerst Orangen, macht dann der Familie Frühstück, bevor sie sich mit ihren Kindern und einigen Grosskindern an die Arbeit auf der Plantage macht. Ihre Energie ist unglaublich.» Die Familien verkaufen ihre getrockneten Kakaobohnen an die «Nacional», die nationale Kakaosammelstelle Kolumbiens und produzieren daneben auch ihre  eigene Schokolade. «Mittels Social Media, Mundpropaganda und an Festen und Märkten wird diese dann verkauft», so Günter.

Wenige übrig

Doch um den Kakaoanbau im Norden von Cauca steht es schlecht, weiss die Geografiestudentin. «Dort sind es mittlerweile noch um die vier Familien, die vom Kakaoanbau leben. Vor hundert Jahren waren es tausende.» In der von Armut geprägten Region seien viele auf Zuckerrohr umgestiegen, das lukrativer zu sein scheint: weniger Aufwand, mehr Ertrag. «Zuckerrohr ist eine Monokultur, die du einmal im Jahr säen musst und nach einem Jahr ernten kannst. Es ist kompliziert, aber einfach gesagt: Da sind machtvolle Akteure der Zuckerindustrie, die gewinnen, während die lokale Bevölkerung ihr Zuhause und ihr Land verliert», beschreibt Günter eines der dominierenden Probleme vor Ort. Neben mehr Geld bringt der Zuckerrohranbau vor allem negative Auswirkungen für Mensch und Umwelt. «Die Zuckerrohrplantagen werden per Flugzeug mit Pestiziden und Fungiziden besprüht. Durch den Wind landet das Gift dann eben auch im Garten, auf den reifen, dadurch aber ungeniessbaren Früchten, auf den Kakaoplantagen und auf der Haut der Menschen.»

Wenn Gewalt Normalität wird

Cauca: eine Region, in der neben Zuckerrohr verschiedene strukturelle Probleme dominieren. Und eine Lebensrealität, deren Komplexität schwierig in Worte zu fassen ist. Es sei so viel, das im gleichen Raum und zu gleicher Zeit zusammenkomme, sagt Günter. «Auch wenn ich die Sprache beherrsche und durch meinen persönlichen Hintergrund vertraut mit der lateinamerikanischen Kultur bin, war es eine taffe Zeit für mich», sagt sie. Vor allem habe sie das vorherrschende Gewaltlevel beschäftigt. «In einem Städtchen so gross wie Murten werden dort sieben Menschen pro Tag erschossen oder erstochen. Die Familien, bei denen ich wohnen durfte, kennen pro Woche sicher einen davon.» Die Kontrolle haben in dieser Region seit langem Guerillagruppen, Banden und Drogenkartelle. «Du machst, was sie sagen, sonst bist du und deine Familie weg», fasst Günter die Lebensumstände vieler Menschen vor Ort zusammen. Machismo, häusliche Gewalt und Vergewaltigungen ziehen sich durch den Alltag von Frauen. «Zu Beginn sagte man mir, dass man sich irgendwann an diese Gewalt gewöhne. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Doch tatsächlich: Nach drei Monaten war ich abgestumpft. Die Gewalt wird irgendwie zur Normalität.» Ein weiteres Problem der Gegend stellt die hohe Jugendarbeitslosigkeit dar. Trotz hohem Bildungsniveau jüngerer Generationen sind sie der Perspektivlosigkeit ausgesetzt. Die Familien nehmen Kredite für ihre Kinder auf, damit sie an eine Uni in den Städten gehen können, stecken viel Hoffnung rein und werden bitter enttäuscht, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter dann aber trotzdem keine Arbeit findet und zurückkommt. Was den jungen Leuten bleibt, ist die Migration oder der Weg in die Prostitution für Frauen und in Banden für Männer. Die Arbeit auf den Plantagen ihrer Eltern oder Grosseltern sei oft keine Option. Zu hart die Arbeit, zu enttäuschend für die Familie, wenn die erste Generation mit Uniabschluss die gleiche Arbeit wie diese davor ausübt.

Was wir als Konsumierende tun können

Zustände, an die man meist nicht denkt, während man ein Stück Schoggi isst. Schwierige Lebensbedingungen, strukturelle Pro-bleme, harte Arbeit. Und trotzdem bleibt die Wertschöpfung nicht in den Ländern, aus denen der Kakao stammt, sondern bei den meist westlichen Herstellern. Dürfen wir denn überhaupt stolz auf unsere Schweizer Schoggi sein? «Es ist schwierig. Meiner Meinung nach nicht. Auf Kosten anderer profitieren – das ist das Motto des Kolonialismus, des Kapitalismus und ja, deshalb auch das Motto vieler grosser Schokoladenproduzenten. Aber es gibt natürlich auch in dieser Branche wirklich gute Dinge und Bemühungen zur Verbesserung», meint Günter. «Ich denke, wir alle könnten sensibilisierter konsumieren. Beim Kauf können wir schauen, von wo der Kakao stammt und uns auf Labels achten.» 

Eine aussergewöhnliche Arbeit

Nun sei sie wieder in der sicheren Schweiz, blicke zurück und schreibe ihre Arbeit, die sie im Mai, kurz bevor sie den Master abschliesst, abgeben wird. «Aber diese Leute sind immer noch dort. Es ist schwierig, mit diesem Privileg umzugehen», sagt sie gegen Ende des langen Gesprächs. Die Resistenz und Resilienz dieser Familien gegenüber Politik, Kartellen und der Zuckerrohrindustrie seien unglaublich. «Sie haben ihr ganzes Leben um ihr kleines Stück Land gekämpft, damit der Kakao in der Region überleben kann – und vielleicht auch noch zukunftsfähig ist», so Günter. Denn diese sei unter diesen Bedingungen ungewiss. Umso mehr findet sie: Wenn sie mit ihrer Arbeit nur schon zehn Menschen mitgeben könne, dass hinter dem Schoggiosterhasen Menschen stehen, die von verschiedensten Problemen geprägt sind, habe sie ein grosses Ziel erreicht. Eine Arbeit, die aufwändiger wurde, als angenommen. «Ich habe mich übertan. Das ganze beschäftigt mich mehr, als gedacht.» Doch sie sei in eine Region gegangen, für deren Menschen sich selten jemand aus der Forschung interessiere. «Ich durfte mit ihnen kochen, arbeiten, tanzen, lachen, weinen und trotz allem eine unglaubliche Herzlichkeit und Wärme spüren.» Neben einer Masterarbeit, die irgendwann mal in einer Schublade verstauben werde, konnte sie ihren Horizont erweitern und viel Wertvolles fürs Leben lernen. Das sei ihr wichtig, sagt Salomé Günter mit einem Lächeln, während sie den letzten Schluck Tee nimmt. «Es wird diese Menschen dort unglaublich freuen, wenn ich ihnen erzähle, dass sie hier in der Zeitung kommen.» Und das zähle für sie neben dem Reflektieren der eigenen Liebe zur Schoggi schlussendlich: den Menschen im Kleinen etwas zurückgeben können.

Fakten zum Kakao
Der Kakao für unsere Schokolade stammt vorwiegend aus afrikanischen Ländern wie der Elfenbeinküste und Ghana. «In diesen Ländern wächst der Kakao mehrheitlich in Monokulturen. Er ist also häufig billiger und qualitativ weniger hochwertig als der Edelkakao aus Lateinamerika», erklärt Günter. 

Drei Sorten dominieren
Es gibt rund 300 Kakaosorten, wovon drei den Markt bestimmen: Forastero, Criollo und Trinitario. Der Forastero ist die Lieblingssorte der meisten Kakaobauern, da sie als robust, ertragreich und aromatisch gilt. Vor allem in Westafrika bestehen die Kakaopflanzungen fast ausschließlich daraus. Dagegen gilt der Criollo als Edelkakao. Er wird vornehmlich in Kolumbien, Venezuela und Ecuador angebaut. Zum Edelkakao wird er vor allem wegen seines feinen, blumigen und leicht bitteren Geschmacks. Der zweite offizielle Edelkakao Trinitari ist eine natürliche Kreuzung der anderen beiden. Im Ergebnis ist er ertragreicher und widerstandsfähiger als Criollo und verfügt über ein besonderes Aroma, das als fruchtig-säuerlich und würzig beschrieben wird. Heute produzieren 22 Länder Edelkakaosorten, 10 davon sind in Mittelamerika.

Vom Kakao zum Hasen
Kakaobohnen können zweimal im Jahr geerntet werden. Die 30 cm lange Kakaofrucht wird von Hand, traditionellerweise mit Macheten, vom Baum getrennt, gesammelt und dann geöffnet. Darin sind weisse süsse Bohnen, die geschmacklich aber noch nichts mit Schoggi zu tun haben. Diese Bohnen werden anschliessend in verschlossenen Holzboxen ein paar Tage fermentiert und dann an der Sonne getrocknet. Diese beiden Schritte sind neben den Bodenbedingungen relevant für die Qualität des Kakaos und werden vor Ort durch die Produzierenden vorgenommen. Nun werden die Bohnen in Säcke verpackt und weiterverkauft oder selten auch von den Kakaobauern selbst weiterverarbeitet. Die Bohnen werden dann von Hand oder maschinell geschält, sortiert und geröstet. Die Kakaobohne ist nun bereit für die erste Mahlung, dabei entsteht Kakaobutter und Kakaomasse. Die Masse wird weitergemahlen, oft werden nun schon Zutaten wie Zucker, Milchpulver oder Vanille beigefügt. Die Masse wird nun veredelt, also stark erhitzt, wird dadurch glatt und leicht schmelzend, bevor sie in einem nächsten Schritt in Formen gegossen wird.

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