Kurzkrimi

«Bisch sicher, ischs kei Luftmatratze?»

Thomas Bornhauser
Unter dem ersten Brückenpfeiler lag der Tote. Vom Schilf teilweise verdeckt.

Foto: Foto: BO

Einfach erklärt
Einfach erklärt: Immer mal wieder ereilen Krimiautor Thomas Bornhauser Ideen über mögliche Kriminalfälle im Verteilgebiet dieser Zeitung. In diesem Kurzkrimi geht es um einen Leichenfund in der Aare, den Reini vom Apéro aus sah.
Es war geng wie geng, um 17 Uhr auf der Terrasse des Ristorante Lago in Hinterkappelen. Um das Wochenende gebührlich einzuläuten, sassen zweimal Dänu, einer davon Pöstler, Clödu, Buber, Andrea, Hänu, Renate, Reini und Irene am Stammtisch. Selbstverständlich war die Formel 1 Thema, wie üblich, aber auch YB.

Nichts deutete zu Beginn des frühen Abends darauf hin, dass dieser Freitag nicht ganz so wie alle anderen verlaufen würde. Klar, Bier und Prosecco wurden wie jede Woche für eine erste Runde bestellt. Dann aber machte sich Aufregung bei gewissen Spaziergängern am See unterhalb der Terrasse bemerkbar. Leise, anfänglich noch unverständliche Stimmen wurden plötzlich lauter, bis einzelne Worte zu verstehen waren, danach kurze Sätze. «Da liegt einer!», hallte es zur Terrasse hinauf, gefolgt von «Dä isch äuä tot!». Wie bitte, lag da jemand im Wasser, womöglich noch in Bauchlage? «Ig gange mau gho luege», liess Andrea die Runde wissen, um nach knapp zwei Minuten leicht blass im Gesicht zum Tisch zurückzukehren. «Da liegt würklech eine tot im Wasser…», sagte sie mit zittriger Stimme. Clödu wollte auf Nummer sicher gehen: «Bisch sicher, ischs kei Luftmatratze?»

Opfer ohne Ausweispapiere

Reini gab sich abgeklärt und wählte Nummer 117 auf seinem Handy. Dies, nachdem er sich selber vom regungslos im Wasser liegenden Körper überzeugt hatte, der halbwegs im Schilf lag, unter einem Pfeiler der Kappelenbrücke nahe des Ufers. Reini wusste, dass die Seepolizei dafür zuständig war, sagte es am Telefon jedoch nicht, er wollte nicht als Alleswisser brillieren. «Danke, bleiben Sie vor Ort, und schauen Sie bitte, dass am Ufer niemand mögliche Spuren zertrampelt. Die Seepolizei kommt.» 

Zehn Minuten später hatten die Beamten den Fundort grossräumig abgesperrt und den Körper geborgen, der nun auf dem Rücken lag, hinter einer weissen Sichtschutzfolie. Nur: Von der Terrasse aus konnte man den Mann erkennen. Alle vom Stammtisch, jetzt am Rand der Terrasse stehend, blickten hinunter, auch Alessandro, Fabrizio und Claudio vom Lago. Weil kein aufgedunsener Körper, lag die Vermutung nahe, dass der Tote nicht sehr lange im Wasser gelegen hatte. Wie aber wurde er angeschwemmt? Die Strömung hätte ihn von weiter oben auf die andere Flussseite getragen. 

Inzwischen hatte sich das ganze Rösslispiel der Kapo Bern – Staatsanwalt und Mediensprecherin inklusive – vor Ort eingefunden. Dezernatsleiter Viktor Kneubühl wollte von Rechtsmedizinerin Esther Hasler etwas zu den Umständen wissen. «Fige, eine erste Analyse: Der Mann wurde erschossen, dann erst ins Wasser geworfen. Näheres nach…» – «…der Obduktion, danke, Esther.» Der Tote, so Konrad Schneider vom KTD, hatte keine Papiere bei sich, keine Brieftasche, kein Handy. Ein Raubmord?

Einsatz im Chappelering

Kneubühl dreht sich zackig in Richtung Terrasse um, als er hörte, dass jemand sagte: «Dä kenn ig!».  Sofort lief er hinauf, fragte, wer von den Anwesenden – er vermied das Wort «Schaulustige» – wisse, um wen es sich handle. Dänu, der Pöstler war es. «Ich habe ihn zweimal oben in Wohlen gesehen, mit einem gewissen Adam Brzezinski, der aber im Chappelering wohnt.» Dänu nannte auch die Hausnummer, so dass Kneubühl nur Minuten später an der entsprechenden Haustüre im zweiten Stock läutete. «Niemand zuhause?», wunderte er sich, obwohl drinnen Musik und Stimmen zu hören waren, so dass die Klingel ein zweites Mal gedrückt wurde, was zwar die Stimmen verstummen liess, ohne dass die Türe allerdings geöffnet worden wäre. Also schlug Kneubühl mit den Fäusten gegen die Türe, mit einem lauten «Polizei, aufmachen!». Zehn Sekunden später öffnete sich die Türe einen Spalt breit. «Herr Brzezinski?» Dieser bejahte, im Hintergund sah Kneubühl gerade noch, wie jemand vom Balkon auf den Rasen sprang, so dass der Kriminalist sofort die Treppe hinunterrannte, um in den Garten zu gelangen. Er hätte sich jedoch nicht sonderlich beeilen müssen, unten lag ein Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Wie sich später auf der Bewachungsstation des Inselspitals herausstellte, handelte es sich beim Verletzten um den international zur Fahndung ausgeschriebenen Andrzej Filipowski, wegen Wirtschaftsdelikten im Bereich getürkter Sportwetten gesucht. Da er frische Schmauchspuren an der rechten Hand aufwies, war es in den folgenden Stunden ein Leichtes, ihm den Mord an einem Landsmann nachzuweisen, der von einem Schiff aus anschlies-send in den See gekippt wurde.

Wieder auf der Terrasse angekommen, wurde Kneubühl von Pöstler Dänu gefragt, ob eine Belohnung für die schnelle Aufklärung ausgesetzt wurde. «Das nicht, das ging dann doch zu schnell», schmunzelte Kneubühl, «aber die nächste Runde übernehme ich.» Ob persönlich oder die Kapo, das liess Kneubühl offen.

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