Kurzkrimi

Tatort: Speed-Dating

Thomas Bornhauser
Ziel des Speed-Datings: Wider der gemeinsamen Einsamkeit.

Foto: BO

Einfach erklärt
In diesem frei erfundenen Krimi geht es um Speed-Dating für 60+. Dabei lernen sich Unbekannte in 5-Minuten-Gespräche kennen. In der Pause findet man einen Toten.
Es war ein in jeder Beziehung ungewöhnlicher Einsatz, den das Team um Dezernatsleiter Leib und Leben Viktor Kneubühl bei der Kantonspolizei Bern zu leiten hatte. Eine superprovisorische Verfügung der Staatsanwaltschaft untersagte es ihnen sogar, den Tatort mit Namen zu nennen. Nur soviel: Es handelte sich um ein Restaurant mit Theatersaal.

Grosse Augen bei jenen Leuten, welche Details zur Veranstaltung gelesen hatten: Pro Senectute hatte Senioren aus der Region zu einem…Speed-Dating mit Gleichaltrigen aufgefordert. Hallo? Speed-Dating für Oldies? Ist Speed für Senioren nicht ein Widerspruch in sich? Wie auch immer: Es hatten sich jeweils gegen 25 Frauen wie auch Männer angemeldet und tatsächlich eingefunden.

Unüberhörbares Fluchen
Die Dialoge wurden im 5-Minuten-Takt an Zweiertischen geführt und von sinnigen Songs wie «Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben» beendet, so dass 60 Sekunden später die nächste Runde des Sich-Kennenlernens eingeläutet wurde. Nach ungefähr eineinhalb Stunden ging es in die Pause, wobei laut Organisatorin Claudia «sich viele Leute zu kennen schienen und sich gut gelaunt miteinander unterhielten». Zu Beginn der zweiten Halbzeit des Speed-Datings fehlte ein Teilnehmer. Hatte er kalte Füsse bekommen? Oder eine Frau gesehen, auf deren Anwesenheit er – aus welchen Gründen auch immer – keinen Wert legte? Diese ungestellten Fragen wurden auf einen Schlag mit einem unüberhörbaren männlichen Fluchen – «Verdammi!» – aus dem Untergeschoss beantwortet. Unter einer geschlossenen, aber nicht abgeschlossen Türe der Männertoilette floss Blut. Die Türe liess sich nur einige Zentimeter aufstossen, diese genügten jedoch, um festzustellen, dass sich dahinter ein Mann befand, der sich nicht mehr bewegte.

Stich in die Halsschlagader
Claudia lief als Erste die Treppe runter, um umgehend 117 in ihr Handy einzutippen. Noch am Telefon hiess es aufgrund der geschilderten Umstände, dass alle Anwesenden vor Ort zu bleiben hatten. Claudia begab sich wieder in den Theatersaal, ein Mitarbeiter des Restaurants sperrte den Zugang zu den Herren-Toiletten. Wenige Minuten später war das ganze – Polizeijargon – «Rösslispiel» an der Arbeit: Das Dezernat Leib und Leben, die Rechtsmedizin, die Kriminaltechniker des KTD, die Staatsanwaltschaft. Regula Bürki und Susanne «Susu» Lüthi begannen im Theatersaal mit den Befragungen, Viktor «Fige» Kneubühl sowie KTD-Mann Urs Rütimann und Rechtsmedizinerin Esther Hasler beschäftigten sich mit dem Toten resp. mit der Spurensicherung. Nach wenigen Minuten gab es von Esther Hasler eine erste Zwischenbilanz: Der Mann – wenig später als Hans Kummer anhand seiner Anmeldung identifiziert –   wurde mit einem spitzigen Gegenstand wie einer Ahle mit einem einzigen Stich in die Halsschlagader umgebracht, deshalb auch das viele Blut.

Streit mit dem Immobilien-Hai
Es war für Kneubühl und sein Team keine Überraschung, dass sie sofort über Kummers Leben von Anwesenden informiert wurden, schliesslich kannten ihn viele «Speedies». Wittwer, ein «Immobilen-Hai» (wie ihn ein Teilnehmer bezeichnete), der anscheinend einige Leute über den Tisch gezogen und deshalb an den Rand des Ruins getrieben hatte. Also ging es darum, festzustellen, ob solche Opfer im Theatersaal zu finden waren, wozu die Ermittler Einzelgespräche angingen, zum Unmut des einen oder der anderen, die «nichts mit der Sache» zu tun hatten. Immerhin, nach zwei Stunden waren zwei angeblich von Kummer Betrogene ausgemacht, die seit Monaten im Streit mit ihm standen: Die Herren Nietlispach und Roth. Sie mussten für weitere Befragungen im Saal verweilen, allen anderen gestattete man nach Angabe ihrer Personalien, nach Hause zu gehen.

Unsachgemässe Entsorgung
Nietlispach und Roth besassen jedoch wasserdichte Alibis für die vermutete Tatzeit. Zum einen waren sie bekanntlich vor der Pause mit verschiedenen Damen beschäftigt oder aber während der Halbzeit im Gespräch mit anderen Teilnehmenden, von Zeugen beobachtet. Dennoch wurde der Fall ziemlich schnell gelöst. Einer Polizeipatrouille fiel am späteren Nachmittag während eines anderen Einsatzes in einem nahe gelegenen Hinterhof auf, dass ein Mann im Begriff war, einen weis-sen Plastiksack in einen Container zu werfen – und das ohne Abfallmarke… –,  der offensichtlich Blutflecken aufwies. Inhalt: Ein verblutetes Hemd. Die DNA liess dann keinen Zweifel darüber, wem das Blut zuzuordnen war. Der Täter sagte aus, Kummer habe ihn um sein ganzes Vermögen gebracht.

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