Kurzkrimi

Durch die Zahnstellung identifiziert

Thomas Bornhauser
Absperrung im Parking des Westsides.

Foto: BO

Einfach erklärt
Für diese Ausgabe hat unser freier Autor Thomas Bornhauser wieder einen Kurzkrimi geschrieben. Darin geht es um eine Leiche, die in einem Auto im Westside gefunden wurde.
Es war ein eher ungewohntes Bild, das Kundinnen und Kunden des Freizeit- und Einkaufcenters Westside im Westen von Bern am frühen Montagmorgen zu sehen bekamen. Eine grössere Parkfläche im zweiten Untergeschoss wurde optisch nämlich abgesperrt – und das mit einem ganz normalem Kunststoffband. Weshalb? Unklar. Die Parkfelder dahinter waren leer, kein Fahrzeug zu sehen. Erst später ersetzten Polizisten die handelsüblichen Banderolen mit offiziellem Absperrband, damit niemand auf den Gedanken kam, das Band falsch zu verstehen.

«Wann genau ist Ihnen der Wagen aufgefallen?» Wer das wissen wollte, war Viktor «Fige» Kneubühl, Dezernatsleiter Leib und Leben der Kantonspolizei Bern. «Heute morgen erst, weil ich am Samstag und Sonntag frei hatte», antwortete Jürg Ryser vom Hausdienst des Zentrums. Es sei nicht ungewöhnlich, so Ryser weiter, dass Fahrzeuge über mehrere Tage stehen gelassen würden, vor allem, wenn die Parkgebühren beruflich abgerechnet werden können. Auffallend bloss : Der ältere Ford Mondeo – der kaum sichtbar in einer Ecke stand – war am vergangenen Freitagabend bei der Genfer Polizei als gestohlen gemeldet worden. Das konnte Urs Rütimann vom Kriminaltechnischen Dienst KTD der Kapo Bern innert weniger Minuten feststellen, weil noch mit den originalen Kontrollschildern GE bestückt.

Nichts für schwache Nerven

Man brauchte auch kein Spezialist zu sein, um zu riechen, dass sich im Kofferraum etwas befand, das über das übliche Notfall-Reserverad hinausging. Der Verwesungsgeruch war beissend, erst recht, als Rütimann den Kofferraumdeckel öffnete, worauf alle Herumstehenden einige Schritte zurückwichen. Eine halbe Stunde später gab es erste Ergebnisse von Esther Hasler, Leiterin des Instituts für Rechtsmedizin im Berner Länggass-Quartier, nur einige Kilometer vom Westside entfernt. 

Die Leiche des ungefähr 50 Jährigen – kein schöner Anblick, Kneubühls Mitarbeiterin Regula Bürki entfernte sich mit einer leeren Papiertüte vom Fundort – lag schon mehrere Tage im Kofferraum, wo sie zu Lebzeiten kaum freiwillig eingestiegen war. «Ich gehe davon aus, dass die Tötung am Freitag stattgefunden hat, also am Tag, als das Auto als gestohlen gemeldet wurde.» Hasler wollte sich Kneubühl gegenüber jedoch nicht festlegen, ob der Tod bereits vor dem «Einlagern», wie sie wenig gefühlsvoll sagte, eingetreten sei. «Gut möglich, dass er im Auto erstickt ist.» – «Einzelheiten wie üblich nach der Autopsie?» «Einzelheiten wie üblich nach der Autopsie. Richtig, Fige.» Die Leiche wies Spuren von Gewalt auf, dem Toten wurden sämtliche Ausweise abgenommen.

«Ici, la France»

«Ich sehe, dass die Hallen mit Video überwacht werden», stellte Kneubühl Ryser gegenüber fest, «während welcher Zeitspanne kann man auf die Bänder zurückgreifen?» Ryser flüsterte dem Ermittler die Antwort zu, damit es niemand verstehen konnte – von wegen Datenschutz. Dritte konnten anhand des Gesichtsausdrucks von Kneubühl aus Distanz nicht feststellen, ob er mit der Antwort zufrieden war – oder nicht.

Das alles spielte für den Moment ohnehin keine Rolle, denn am Nachmittag konnte Esther Hasler bereits mit der Identifizierung des Toten aufwarten. Festgestellt durch eine markante Zahnstellung, die nie behandelt wurde. «Fige, der Mann heisst Pascal Bannel, Franzose, der KTD ist bereits am Abgleichen mit den internationalen Datenbanken.» Keine halbe Stunde später der Anruf von Urs Rütimann. Bannels Name wurde in verschiedenen Datenbanken geführt, nicht bloss in einer französischen. Mit anderen Worten: schweres Kaliber. Am Dienstag lösten sich fast alle Fragen auf. Der Police nationale, die direkt dem französischen Innenministerium unterstellt ist, war am Wochenende mit der Festnahme von drei Bandenmitgliedern ein Schlag gegen das organisierte Verbrechen gelungen. Einer der Verdächtigen sagte von sich aus, dass Bannel als Verräter «neutralisiert» und ins Ausland abgeschoben wurde. Weshalb ausgerechnet tot und ins Westside, das mussten die nächste Tage der Interrogationen bei den Franzosen ergeben. Immerhin: Die Kapo Bern konnte die Causa Bannel schliessen. 

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