Serie zum Frauentag: Zwei Mütter, die ihre Berufung gefunden haben

«Wir dürfen mehr wollen!»

Miriam Schwarz
Von Miriam Schwarz - Redaktorin
«Wir haben uns selbst neu kennengelernt.» Wafaa Bazzi (links) und Yohana Gulay.

Foto: MS

Einfach erklärt

Yohana Gulay und Wafaa Bazzi haben beide mit Hilfe des Mütterzentrums ihren Einstieg ins Berufsleben gefunden. Das Zentrum hilft ihnen, Erwerbstätigkeit und das Leben als Mutter zu vereinbaren.

Yohana Gulay und Wafaa Bazzi sind Mamas mit Herz und Seele – und zwei Frauen, die sehr genau wissen, was sie wollen und was sie sich für ihre Zukunft wünschen. Das war aber nicht immer so. Wie ihnen mit Hilfe des Mütterzentrums Bern West der Wiedereinstieg ins Arbeitsleben gelang und wie sie ein ganz neues Selbstbewusstsein erlangten, davon erzählt dieser Bericht.

Es ist ein unscheinbarer, grauer Block am Strassenrand, mitten in Bern West. Das geschäftige Treiben des Alltags rauscht daran vorbei, über all den Strassenlärm setzt sich ab und zu ein helles Kinderlachen hinweg, welches mit jedem Schritt auf das Gebäude zu deutlicher hörbar wird. Regina Stucki, Leiterin des Mütterzentrums Bern West, kurz MüZe, erscheint im Eingang und öffnet der Autorin freudig die Türe.

Drinnen erschliesst sich eine ganz andere Welt, als noch vor wenigen Sekunden draussen herrschte. Stimmungsvolle, warme Lichter und ein feiner Kaffeeduft tauchen den Raum in eine gemütliche Atmosphäre, in der Raummitte sitzen sich einige Frauen gegenüber und tauschen sich angeregt untereinander aus. Mit einem grossen «Hallo!» wird die Neuankommende begrüsst, eine der Frauen bietet sogleich etwas zu trinken an, während erwartungsfreudige, wache Augenpaare auf die Autorin gerichtet sind. Zwei Augenpaare lösen sich aus der Gruppe und kommen auf sie zu. Wafaa Bazzi und Yohana Gulay haben sich dazu bereit erklärt, ihre Geschichte und, wie ihnen das Mütterzentrum dabei geholfen hat, nach der Geburt ihrer Kinder wieder Fuss in der Arbeitswelt zu fassen, zu teilen – denn in unserer Gesellschaft ist es für Frauen nach der Geburt eines Kindes nach wie vor schwer, wieder in den Berufsmarkt einzusteigen, geschweige denn, wenn diese Frauen kaum hierzulande verwurzelt sind und Dinge wie Sprache, Perspektivlosigkeit, Zugehörigkeitsgefühl und schlussendlich auch das eigene Selbstwertgefühl den  Einstieg zusätzlich erschweren.

«Die Schweiz ist unsere Heimat»

Es ist unschwer zu erkennen, dass Wafaa Bazzi eine Frohnatur ist. Ein breites Lachen schmückt fast immerzu ihr Gesicht und ihre Augen leuchten auf, wenn sie von ihren Kindern spricht: «Ich bin Mama von drei Kindern, zwei Buben und ein Mädchen. Meine Tochter macht eine KV-Lehre, während mein älterer Sohn gerade im Militär ist und der jüngere in der 8. Klasse vor der Berufswahl steht; er möchte auch etwas mit Autos machen, so wie der grosse Bruder eben», meint sie augenzwinkernd. Der ältere Sohn hat eine Ausbildung zum Automechaniker absolviert.

Seit 4 Jahren ist die Familie fest in der Schweiz zuhause. Ursprünglich stammt Wafaa Bazzi aus dem Libanon, sie war aber bereits früher einmal für einige Jahre in der Schweiz, wo sie auch ihre Kinder geboren hat. Danach kehrte sie gemeinsam mit ihrer Familie zurück in den Libanon, doch die Sehnsucht nach der Schweiz  war gross: «Meine Kinder vermissten ihre Freunde und ihr Umfeld stark, und auch ich wollte mir ein neues Leben aufbauen, Arbeit finden und neue Freundschaften knüpfen. So entschieden wir uns erneut für die Schweiz. Heute fühlen wir uns hier verwurzelt, wir sind angekommen und die Schweiz ist unsere Heimat.»

Die ganze Familie profitiert

Damals gestartet als Mitarbeiterin Empfang und Cafeteria des Mütterzentrums, arbeitet Wafaa Bazzi heute als Servicefachkraft im Restaurant der Stiftung Rossfeld, Bern – eine vielseitige Tätigkeit, die ihr viel Spass macht. «Meine Arbeit umfasst nicht nur das reine Servieren der Speisen, sondern ich bereite die Tische vor, helfe den Bewohnenden beim Essen und übernehme nach dem Service Putz- und Aufräumarbeiten.» Diese Stelle ist Bazzis erste, nachdem sie ihren ganz persönlichen Werdegang erfolgreich im Mütterzentrum durchlaufen hat.

Den Gedanken, dass sie auch, nachdem sie Mutter wurde, wieder arbeiten möchte, traute sich Wafaa Bazzi lange Zeit selbst nicht zu. Im geschützten Rahmen des MüZe hat sie dann Talente bei sich entdeckt, von denen sie bis dato selbst noch nichts wusste. «Die Frauen hier haben mir regelmässig Feedback gegeben, und so habe ich zum ersten Mal spüren können, was ich gut kann und wo meine Stärken liegen», so Bazzi. «Ich habe hier sehr viel Motivation und Willenskraft bekommen und, nachdem ich gesehen habe, was bei den anderen Frauen, die das MüZe besuchen, alles möglich ist, sagte ich mir: Warum nicht? Du kannst das auch!›»

Der Zusammenhalt unter den Frauen, die beim MüZe ein- und ausgehen, ist sehr gross. Im Gespräch mit Wafaa Bazzi wird deutlich, wie sehr sich die Frauen gegenseitig bestärken und Erfolge gemeinsam feiern. Bazzi hat noch heute Kontakt mit vielen Frauen, die sie damals kennengelernt hat und die zu guten Freundinnen wurden – mit der einen ist sie nun sogar in der gleichen ABU-Klasse – denn nach einem erfolgreichen Einstieg ins Arbeitsleben besucht Bazzi nun noch den Allgemeinbildungskurs für Erwachsene an der Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule Bern, kurz BFF. Dieser befähigt zum Absolvieren einer verkürzten EFZ-Ausbildung.

Auf ihre Zeit beim MüZe zurückblickend meint Wafaa Bazzi: «Nicht nur ich habe profitiert, sondern meine ganze Familie. Als mein Mann gesehen hat, wie ich in meinem Praktikum aufblühte, bestärkte er mich sehr in meiner Entscheidung, wieder zu arbeiten. Und auch meine Kinder waren glücklich, nun ihren Freunden erzählen zu können, dass auch ihre Mama einen Beruf ausübt.»

Ihr Herz schlägt für Kinder

Yohana Gulay kommt aus Äthiopien und ist seit fast 4 Jahren in Bümpliz-Bethlehem zuhause. Die Mutter eines kleinen Sohnes wirkt auf den ersten Blick etwas schüchtern und in sich gekehrt, doch ihr wacher Blick und ihr symphatisches Lächeln verraten ihr wahres Ich: Eine Frau, die bereits in jungen Jahren vieles erlebt und gesehen hat, aber dennoch oder gerade trotzdem eine unbändige Lebensfreude und eine grosse Willensstärke besitzt. Gulay kam damals regelmässig als Besucherin ins MüZe und startete bald darauf schon ihren Bildungsweg als freiwillige Mitarbeiterin. Heute ist sie fest als Kinderbetreuerin mit Stundenlohn im MüZe angestellt, hat sich für den Allgemeinbildungsunterricht angemeldet und möchte bald eine Ausbildung zur Kinderbetreuerin starten. «Man muss immer kreativ sein mit Kindern, das gefällt mir sehr. Ich liebe es, mit Kindern zu spielen, zu malen oder zu singen.»

Auch sie wusste, bevor sie ins MüZe kam, weder wo ihre Stärken noch ihre Ziele lagen. Heute sieht sie beides klar und deutlich: «Ich möchte gerne meine Sprachkenntnisse verbessern und einen Deutschkurs besuchen. Zudem weiss ich aber, dass meine geduldige und liebevolle Art, mit Kindern umzugehen, eine grosse Stärke von mir ist. Das herauszufinden, dabei haben auch mich die anderen Frauen im MüZe und die Mitarbeiterinnen stark unterstützt.» Der regelmässige Austausch mit den anderen Müttern habe ihr viel Kraft gegeben, denn es sei ihr nicht immer leicht gefallen, von sich aus stets dieselbe Motivation für einen Bildungsweg aufzubringen, von dem sie ja damals selbst noch nicht so genau wusste, wo dieser sie hinführen würde. «Im Arbeitsalltag wird ein hoher Grad an Selbstständigkeit vorausgesetzt. Wenn die anderen Frauen zur Arbeit im MüZe kommen, tauschen wir uns jeweils untereinander aus: Was sind deine Aufgaben heute? Was sind deine Tagesziele? Das gibt mir Motivation und hilft mir sehr, in die hiesige Arbeitskultur einzusteigen.»

Ein weiterer Punkt, den Yohana Gulay an ihrer Arbeit im MüZe besonders schätzt und der ihr auch hilft, sich weiter zu entwickeln, sei der Umgangston untereinander. «Ich habe einmal als Reinigungsfachfrau in einem Hotel gearbeitet. Dort pflegten die Mitarbeitenden untereinander kaum Kontakt und, wenn, dann waren es immer Streit oder Beschwerden. Das ist hier im MüZe ganz anders.» Dadurch, dass sie ihren Sohn zur Arbeit mitbringen könne, lerne sie ausserdem, in Ruhe, in Vertrauen und in ihrem ganz eigenen Tempo loszulassen; Am Tag dieses Interviews verbringt ihr Sohn das erste Mal ohne seine Mutter den Morgen in der KiTa.

«Die Mütter dürfen ihre Kinder jedoch immer zur Arbeit im MüZe mitbringen, das ist unser Konzept und das macht ihnen den Einstieg ins Berufsleben erst möglich», fügt Regina Stucki an.

Auch ihr Mann habe Gulay von Anfang bei der Arbeitsintegration unterstützt, doch brauchte es, anders als bei Wafaa Bazzi, ein bisschen weniger Überzeugungskraft: «Mein Mann hat bereits einen Deutschkurs und die Ausbildung zum Schreiner absolviert. Er unterstützte meinen Plan, dass ich arbeiten und nicht bloss Hausfrau und Mutter sein wollte, von Anfang an und wünscht sich nun auch für mich, dass ich eine Ausbildung machen kann.»

Zwei Frauen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Zielen im Leben. Und doch eint sie der Wunsch, mehr zu wollen. Beide sind von Herzen gerne Mutter, aber beide sind nach wie vor eigenständige, selbstbewusste Frauen, die ein Recht darauf haben, auch einer anderen Arbeit als ausschliesslich dem Mutter- und Hausfrau-Dasein nachzugehen, einer Arbeit, die sie begeistert, in der sie sich entfalten und weiterentwickeln dürfen und mit der sie am Ende des Tages auch ihr eigenes Geld verdienen. Und beide haben im Mütterzentrum gelernt: «Ich darf mehr wollen!»

Das Mütterzentrum Bern West leistet seit 30 Jahren einen wichtigen und einzigartigen Beitrag zur Förderung von Frauen, Müttern und deren Kindern. Das Angebot umfasst einen offenen Treffpunkt mit Caféteria, Kinderbetreuung, moderierte Gesprächsrunden und ca. 20 «Sprungbrettstellen» ins Arbeitsleben mit integrierter Kinderbetreuung. Unabhängig von ihrer Herkunft sind alle Frauen und ihre Kinder herzlich willkommen.

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