Kunsttherapie

Muster übermalen und Spielraum erweitern

Salome Guida
Von Salome Guida - Redaktorin
Céline Fluri im Atelier des GPZ in Bümpliz.

Foto: Foto: zvg/Phil Wenger Photography

Einfach erklärt
Céline Fluri ist Kunsttherapeutin in einer psychiatrischen Tagesklinik in Bümpliz. Sie begleitet Menschen in Krisen. Die Menschen können bei ihr Bilder malen. So passiert viel Veränderung bei den Menschen.
Sie arbeiten in eigenen Praxen, psychiatrischen Kliniken, Sonderschulen oder Spitälern. Kunsttherapeutinnen und Kunsttherapeuten wie Céline Fluri bieten dabei einen Zugang, um wichtige Themen zu bearbeiten und bestärkende Erfahrungen zu machen.

Malen, zeichnen, gestalten – und dabei, beinahe nebenbei, grosse Lebensthemen behandeln und verändert herauskommen: So salopp zusammengefasst könnte Kunsttherapie umschrieben werden. Sie wird in Ateliers angeboten, gehört zum Alltag vieler heilpädagogischer oder sozialer Institute, ist aber auch fester Bestandteil im klinischen Bereich. So etwa im Gemeindepsychiatrischen Zentrum GPZ der Universitären psychiatrischen Dienste (UPD) Bern AG. An der Morgenstrasse 83, unweit des Bahnhofs Bümpliz Süd, ist Céline Fluri tätig. Die Kunsttherapeutin mit Fachrichtung Mal- und Gestaltungstherapie war lange als selbständige Grafikerin tätig, doch das Arbeiten mit Menschen war schon seit langer Zeit ein Wunsch. Vor rund dreieinhalb Jahren schliesslich nahm sie die Ausbildung am Institut für humanistische Kunsttherapie in Angriff. 

Kunsttherapeutin oder Kunsttherapeut ED ist ein relativ neuer Beruf. Angehende Therapeutinnen besuchen verschiedene Module und absolvieren Praktika. Das war auch Fluris Weg. Sie erlernte Therapiemethoden, vertiefte sich in Psychopathologie, eignete sich pädagogische und psychologische Fähigkeiten an. «Ein Vorteil ist, dass man die Module einzeln buchen und sich so die Ausbildung individuell zusammenstellen kann», sagt sie rückblickend. Nach Praktika in der UPD, im Schlossgarten Riggisberg und bei einer Kunsttherapeutin in der Länggasse ist die 38-Jährige nun im GPZ tätig, auf nächses Jahr hin wird sie ihr eigenes Atelier eröffnen.

Das Werk steht im Fokus

«Mit der Kunst können wir einen Zugang auf eine andere Art anbieten», so Fluri. Das Bild steht dabei im Fokus, es brauche nur ein Minimum an Verbalem. Dies sei auch ein Vorteil bei Menschen mit einer anderen Muttersprache. «Ich schaue jeweils am Anfang, ob die Person bereits Vorkenntnisse hat», erklärt sie. Es sei erstaunlich, wie viele zuhause gestalterisch oder kreativ tätig sind. Doch auch ohne künstlerisches Flair lasse sich gut zusammenarbeiten. Am Anfang steht nämlich keine konkrete Idee, die es umzusetzen gilt. Stattdessen folge man Impulsen und Farben: «Man muss im Moment präsent sein und lernen, mit dem ständigen Nichtwissen umzugehen.»

Schwarz ist nicht gleich böse

In Fluris Therapiesitzungen haben Klischees keinen Platz. Die Farbe schwarz etwa stehe nicht für etwas Düsteres oder Schlechtes, eine Schnecke nicht für Langsamkeit – «wir interpretieren nicht.» Es komme immer wieder vor, dass Emotionen hochkochen. «Wenn es Wut ist, wollen Klienten häufig viel rote Farbe aufs Bild schmieren. Doch das bringt nichts.» Sie schlägt dann etwa vor, der Wut eine geometrische Form zu geben. So entstehe schliesslich vielleicht ein schlichter roter Kreis, «und die Wut hat sich wieder beruhigt, damit am Bild weitergearbeitet werden kann.» Gerne arbeitet sie in Gruppen, dort aber individuell mit jedem einzelnen. «Meist herrscht Ruhe und Konzentration vor, aber manchmal wird auch zusammen gelacht oder sich kurz ausgetauscht.» 

Muster übermalen

Die Therapeutin stellt den einzelnen Menschen ins Zentrum und nicht die Diagnose. «Themen kommen aber schnell zum Vorschein – manchmal fast zu schnell.» Im Prozess des Malens tauchen etwa Muster auf, die die Beteiligten auch aus ihrem Leben kennen. Ein Klient etwa wollte immer «extra anders» malen, mit ungewohnten Farben und störenden Flecken. Schliesslich stellte sich heraus, dass er auch im Alltag fast krampfhaft versuchte, Normalität zu verhindern – obwohl er sich eigentlich nach dieser Ruhe sehnte. In der Maltherapie begann er nun, solche Flecken zu übermalen, den Objekten einen gewohnten Hintergrund zu geben. Und fand dadurch auch im grösseren Kontext den Mut, nicht immer herausstehen zu müssen. Für andere Klientinnen ist es ein Erfolgserlebnis, sich zwei Stunden lang auf eine Malarbeit fokussieren zu können, anstatt dem krankhaften Gedankenkarussell ausgeliefert zu sein. Manche wiederum schaffen es kaum aus dem Bett – und freuen sich, wenn sie sich im Atelier handelnd erleben. «Das kann ein wichtiger Schritt sein, der den Anstoss für etwas Weiteres gibt», weiss Fluri. In jedem Fall machten die Teilnehmenden die wichtige Erfahrung, dass sie mit kreativem Schaffen ihren Handlungsspielraum erweitern können.

Die Maltherapeutin gibt den Rahmen vor, hält sich mit Anweisungen zurück, gibt aber auch Impulse, wenn es ihr nötig erscheint. «Dabei geht es nicht um meine Ideen, sondern darum, was das Bild braucht.» Die Voraussetzung dafür sei, dass eine Beziehung aufgebaut wurde, dass sich die Leute wohlfühlen. «Dann kann ich Begleiterin für die Bilder sein, sie entstehen lassen und begleitend dabeisein.» «Manchmal aber», schmunzelt sie, «wenn die Malenden einem Bild zu viel aufbürden wollen und dem Prozess keinen Raum lassen, komme ich mir eher vor wie eine Anwältin des Bildes.»

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