Selbst morgens an einem gewöhnlichen Wochentag ist der Bike Park belebt. Menschen bringen ihre Fahrräder, andere testen welche, weitere ziehen den Helm an, um ihre neu erworbene Mobilität nach Hause zu pedalen. Das Team mit den roten T-Shirts und dem Schriftzug «Thömus» hat alle Hände voll zu tun. Thomas Binggeli in diesem bunten Treiben zu finden ist gar nicht so einfach. Um so mehr, als er sich nicht von seinen Angestellten unterscheidet. Statt Anzug und Lackschuhe, Turnschuhe und T-Shirt; so wie alle andern auch.
Rastlos ruhig
Und alle wollen mit ihm sprechen, er ist sozusagen der Unternehmer der Stunde. «Thömus» ist im Grossraum Bern der klare Leader, wenn es um Zweirad-Mobilität geht. «Ein rollendes Rad fällt nicht», schmunzelt der Rastlose, als er kurz weg musste und sich dann wieder hinsetzt. Die Ruhe kann ihm offenbar weder Erfolg noch Erfindung nehmen. Fast müsste man für ihn einen neuen Begriff erfinden: der rastlose Ruhige. Das dürfte sich in der nahen Zukunft kaum ändern, denn mit dem «Twinner» bringt er ein Speed-Pedelec (Pedal Electric Cycle) auf den Markt, das in der Fahrradwelt eine ähnlich grosse Innovation darstellt wie der Tesla S, den Elon Musk 2012 präsentierte.
Ein Velo für die Verkehrswende
Ein Fahrrad mit Fahrzeugtechnologie und bisher unerreichten Reichweiten. Vom Carbon-Rahmen bis zur Kamera und der Lenkerheizung ist alles verbaut, was zwischen Waden und Gesäss möglich ist. Doch das Auge fährt mit. Gerade in der individuellen Mobilität ist die Ästhetik wichtig.Jahrzehntelang setzten die Automobilhersteller italienische Designer an, um die Fahrzeuge zu verschönern. Der Twinner setzt konsequenterweise ebenfalls ein klares Statement zur Eleganz. Aber eben nicht nur; genauso markiert er eine Verkehrswende. «Thömu» hat die Fahrradbranche schon mehrmals revolutioniert. Begonnen beim Stromer, weiter über das leichteste E-Mountainbike, den sogenannten Lightrider E Ultimate, bis nun zum Twinner. Was aber soll dieses elegante Hochleistungs-Pedelec revolutionieren? «Die Autoindustrie kennt hohe Qualitätsstandards und prozessoptimierte Produktion. Wer bisher auf diese Standards für die Mobilität setzte, speziell im Premiumbereich, der hat nun die Möglichkeit das Pendant auf zwei Rädern zu fahren.»
Effizient und nachhaltig
Dem Veloerfinder geht es nicht darum, Auto und Fahrrad gegeneinander auszuspielen, sondern eine sich verändernde Umwelt zu bedienen. Die Bevölkerung wächst, es wird verdichtet gebaut, zudem muss die versiegelte Fläche grüner werden; das Auto hat zunehmend weniger Platz. «Es geht darum die neuen Lebensformen zu definieren», fasst er zusammen. Herr und Frau Schweizer legen im Alltag im Schnitt 30 km zurück. «Genau in diesem Bereich hat das Velo, ganz speziell das Speed-Pedelec sein grösstes Potenzial. Die Effizienz des Velos ist hier unerreicht», sagt er nicht nur, sondern er weiss wovon er spricht. Seine Firma hat selbst viele Tests gemacht, um Fakten zu liefern. Ein Beispiel soll dies aufzeigen. Aus der Agglomeration Bern nach Zürich braucht der Velofahrer zirka eine Viertelstunde an den Bahnhof, danach 56 Minuten mit dem Zug und ist somit nach rund 75 Minuten in der grössten Stadt der Schweiz. Das schafft – mit Verlaub – ein Auto nur dann, wenn es sämtliche Blitzeranlagen auf der A1 testet und noch dazu den seltenen Moment ohne Staus erwischt. Oder etwas konkreter: nie.
Um das Pedelec ideal mit den anderen Verkehrsmöglichkeiten zu kombinieren, braucht es Mobilitätshubs, an denen die verschiedenen Verkehrsformen zusammenlaufen. Die Infrastruktur entsteht erst langsam. Doch Binggeli will noch etwas weiter gehen. Er spricht von Velobahnen, eigene Velostrassen, etwa neben den Autobahnen, auf leeren Bahntrassen. Mit einem Speed-Pedelec sind nämlich auch längere Distanzen erstaunlich effizient zu schaffen.
Vision oder Chance?
Ist es denn real ein schweizweites Velonetz für die Mobilität anzudenken? Durchaus, denn die genannten Optionen verbrauchen kein zusätzliches Kulturland, sondern nutzen bereits verbaute Flächen. Und macht die Politik da mit? «Wir haben in der Schweiz das Glück, dass die Politikerinnen und Politiker fassbar und nah sind. Man kann mit ihnen reden und die Verwaltung ist im Bereich Mobilität, wie etwa das ASTRA, sehr gut unterwegs. Dazu muss man nur mit den umliegenden Ländern vergleichen», lobt er das Schweizer System. Es mag etwas träge sein, dafür aber näher am Volk und den Unternehmungen als viele andere Systeme. Zudem ist «Thömu» schon heute bestens mit der Politik vernetzt und hat einen guten Draht zu den Entscheidungsträgern. Um es etwas mutig zusammenzufassen: Er liefert die Schweizer Lösungen, um genau die Verkehrswende einzuleiten, nach der die Politik fieberhaft sucht.
Swissness
Doch zur Effizienz gehört nicht nur die trockene Tatsache, dass ein Velo direkt kein CO2 ausstösst. Wenn – wie beim Auto – das meiste über verschiedene Kontinente transportiert werden muss. Eine möglichst schweizerische Lösung erhöht den Effekt. «Die Schweiz ist ein Dorf, wir haben die ETH, Techfirmen und damit viel Wissen im Land. Zudem ist das Land politisch stabil, es sind beste Voraussetzungen, um im Land zu produzieren. Genau diese Vorteile nutzt er, um den Twinner zu lancieren, «eine Schweizer Innovation, die nun neue Akzente setzt», so Binggeli. Ein Beispiel sind die Batterien. Diese werden nach Ablauf ihrer Lebenszeit recycelt. Die Leistung nimmt ab und eignet sich nicht mehr für die Mobilität, sehr wohl aber für das Speichern von Sonnenenergie. Auch hier geht das Unternehmen mit gutem Beispiel voran und nutzt die BfH, welche Systeme gefunden hat, um die Akkus so zu recyceln, dass die Firma an-
schliessend ihren eigenen Photovoltaikstrom über die ehemals alten Akkus speichern kann. «SecondLife-Lösungen» für Unternehmen sind kostengünstig und effizient», ist er sich sicher.
Gesellschaftstauglich
Pedelecs prägen seit geraumer Zeit das morgendliche Pendelverkehrsbild. Tendenz zunehmend. Doch das dürfte erst der Anfang sein, ist sich «Thömu» sicher. «Gerade Firmen und Verwaltungen haben hier noch ein Riesenpotenzial. Sie können noch viele Autos ersetzen», so Binggeli. Es brauche nun ein respektvolles Miteinander, eine Gesellschaft ist auf Innovation und Fortschritt angewiesen; sie muss aber auch bereit sein, diese zu nutzen. «Die Schweiz muss ein Bewusstsein entwickeln, dass Wohlstand und Luxus nicht einfach verfügbar sind», mahnt er zum Schluss.
Und wieder punktet das Velo. Es ist von Gepäckträger bis Klingel gesellschaftstauglich. Nach oder vor der Arbeit einige Kilometer an der frischen Luft, etwas Bewegung und den Kopf frei bekommen. Das tut gut. «Probleme löst man nicht im Sitzen, sondern in der Bewegung», sagt Thomas Binggeli. Wieder weiss er, wovon er spricht, denn mit einem Schmunzeln bestätigt er am Schluss: «Mir ist immer viel eingefallen, während ich Fahrrad fuhr.»