Serie zum Frauentag: Was Velos mit der Emanzipation von Frauen zu tun haben

Eine Fahrt zu neuen Möglichkeiten

Nadia Berger
Von Nadia Berger - Redaktorin
Velomechanikerin Awa Ilboudo.

Foto: zvg/Karim Rouamba

Einfach erklärt

Weil am 8. März der internationale Tag der Frau war, publizieren wir hier drei Artikel über Frauen. In diesen geht es um Velos, die Mädchen und Frauen den Alltag in Burkina Faso und Tansania erleichtern.

Günstig, unkompliziert und schnell von A nach B kommen. Während das Velo hier vorwiegend aus praktischen Gründen genutzt wird, wirkt es in anderen Ländern als sozialer Motor und bringt mehr Sicherheit. Insbesondere Frauen wird der Alltag damit um einiges erleichtert.

Die 24-jährige Awa Ilboudo aus Burkina Faso brennt für ein Thema, das weitgehend noch von Männern dominiert ist: das Velo und seine Mechanik. Noch während ihrer Lehre zur Velomechanikerin bei Faso Velo, einem Partnerbetrieb von Velafrica aus Köniz, nahm sie an Kursen für zukünftige Lehrpersonen in Velomechanik teil – als Jüngste und als einzige Frau, die sogar das zweitbeste Prüfungsresultat erzielte. «Awa ist eine wahre Überfliegerin», strahlt Deborah Bieri. Der Stolz, Frauen solche Erlebnisse zu ermöglichen, und die Hoffnung auf weitere Erfolgsgeschichten sind ihr ins Gesicht geschrieben.

Viele Vorteile

Stolz vor allem deshalb, weil Bieri vor fünf Jahren zusammen mit Velafrica ihre Masterarbeit zu nachhaltiger Entwicklung schrieb, schliesslich eine Festanstellung erhielt, seither in der Kommunikation und Projektfinanzierung arbeitet und somit bereits viele Projekte von Velafrica begleiten durfte. In ihrer Arbeit untersuchte sie, inwiefern das Fahrrad das Wohlergehen junger Mädchen und Frauen steigert. Die Erkenntnisse daraus waren so logisch wie erfreulich. Frauen mit einem Velo kommen nicht nur schneller, sondern auch sicherer und erholter in der meist weit entfernten Schule an. «Die Mädchen, die Zuhause oft bei Geschwistern und Haushalt aushelfen, gewinnen durch die Zeitersparnis auf ihrem Schulweg wertvolle Zeit, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Und wenn sie pünktlich im Unterricht sind, bleiben ihnen die meist körperlichen Bestrafungen durch Lehrpersonen erspart», weiss Bieri.

Viermal schneller

Mit dem Velo sind die Mädchen unabhängiger, brauchen halb so viel Zeit für ihren Schulweg, sind nicht auf Ressourcen wie Geld für Benzin oder Busticket angewiesen und können Lasten einfacher und gesundheitsschonender transportieren. «In der Subsahara ist es traditionell noch Frauenaufgabe, Feuerholz zu sammeln und Waren zum Markt zu bringen. Mit dem Velo können sie dreimal mehr Lasten viermal schneller als zu Fuss transportieren», so Bieri. Es ergeben sich also nicht nur neue wirtschaftliche und soziale Möglichkeiten, sondern auch ein besserer und schnellerer Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und Geburtskliniken. Ohne Velo sind die Mädchen oft in einem schonungslosen Teufelskreis gefangen. Mangels Alternative bleibt häufig keine andere Möglichkeit, als sich von Männern mit dem Velo- oder Moto-Taxi mitnehmen zu lassen. Aus Geldmangel bezahlen sie mit Geschlechtsverkehr. Und werden im schlimmsten Fall schwanger. «Viele sind schlecht aufgeklärt und wissen nicht, wie man schwanger wird.» Dazu kommen die Gefahren von Wildtieren, da der Weg zu Fuss oft vor Tagesanbruch in der Dunkelheit beginnt.

Verbilligt, aber nicht gratis

Velafrica exportiert Velos aus der Schweiz und neu auch aus Deutschland nach Südafrika, Tansania, Burkina Faso, Ghana, Gambia, Madagaskar und in die Elfenbeinküste. Die Organisation arbeitet mit lokalen Partnern zusammen – mit Veloläden und Velozentren. In Tansania, Madagaskar und Burkina Faso setzen die Velozentren das Projekt «Bike to school» um, durch das Velos an Schülerinnen vermittelt werden. Zwar zu einem günstigen Preis, jedoch nicht gratis. «Wenn wir Velos kostenlos abgeben, wissen wir nicht, ob vor Ort wirklich Bedarf besteht. Deshalb braucht es eine Minimalinvestition. Die Familien der Mädchen tätigen diese nur, wenn ihre Tochter das Velo wirklich braucht», erklärt Bieri. Ausserdem gebe es nur Rabatt, wenn das Kind einen Schulweg von mindestens eineinhalb Stunden habe.

Viele «Tröpfli» führen zum Fluss

In den Velozentren werden nicht nur Velos vertrieben, sondern auch zukünftige Mechanikerinnen und Mechaniker ausgebildet und Velomechanik-Grundkurse an Schulen angeboten. «Bei einer Projektreise letzten Frühling beobachtete ich, dass sich immer riesige Trauben von Schülerinnen und Schülern um die Velomechaniker bildeten. «Das Interesse war riesig», stellt Bieri lächelnd fest. Im letzten Jahr konnte Velafrica 25’000 Velos exportieren. Davon gingen rund 10 % an das Projekt «Bike to school». «Unser Ziel für die nächsten drei Jahre ist, mindestens 7500 Schülerinnen mit Velos mobil zu machen», rechnet die Kommunikationsexpertin vor. «Denn die Nachfrage ist riesig. Velos werden hier oft als selbstverständlich betrachtet, verstauben im Keller oder in der Garage. Währenddessen warten in unseren Partnerländern viele Menschen auf ein Velo und somit auf neue Perspektiven», so Bieri. Dass ihre Arbeit ein Tropfen auf den heissen Stein darstellt, dessen sind sie sich bewusst. «Aber es gibt viele Tröpfli. Und am Schluss werden sie zu einem Fluss, der den Stein abkühlt.»

Vorreiterinnen der Emanzipation

Rosa Mayreder, eine bekannte österreichische Frauenrechtlerin, die um 1900 in Wien lebte, meinte einst, dass das Fahrrad mehr zur Emanzipation der Frau beigetragen habe als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen. Dass das Velo schon im 19. Jahrhundert bedeutend für die Rechte der Frau war, bestätigt ein Blick in die Geschichtsbücher Europas. Damals nutzten Anhängerinnen der Frauenbewegung immer häufiger das Velo. Und zwar nicht mehr nur zu Trainingszwecken, sondern immer mehr als Fortbewegungsmittel in der Öffentlichkeit. Zu dieser Zeit als provokative Aussenseiterinnen geltend, waren diese Frauen wichtige Schrittmacherinnen der Emanzipation. Durch das Velo konnten sie ihren Bewegungsradius massgeblich erweitern, waren selbstbestimmter – und passten ihre Kleidung an. Was bis dahin ein absolutes Tabu war, wurde nun gebrochen. «Dass wir heute Hosen tragen, verdanken wir unter anderem diesen Frauen», sagt Bieri.

Zurück nun aber zu den Frauen, denen das Velo auch heute noch eine Fahrt zu neuen Möglichkeiten bietet. Diesmal zu Clara James Edward aus Tansania. Ursprünglich mit dem Wunsch, Krankenschwester zu werden, war die 30-Jährige nach einer zweijährigen Ausbildung zunächst Verkäuferin im Laden des Velafrica Partnerbetriebs ABC Bicycle Company. Heute leitet sie eine eigene Zweigstelle, während sie in ihrer Freizeit an Velorennen teilnimmt. «Clara ist in ihrem Job richtig aufgeblüht und nun ein Vorbild für viele junge Frauen», sagt Bieri, wieder mit dem gleichen strahlenden Gesichtsausdruck, der sich schon über ihr Gesicht breit machte, als sie zu Beginn von Awa Ilboudo sprach.

Tag der Frau
Am 8. März war der internationale Tag der Frau. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in unseren Titeln Könizer Zeitung | Der Sensetaler, Gantrisch Zeitung und BümplizWochen drei ausführlichere Artikel zu Themen, die Frauen besonders betreffen.

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