Und das kommt an. Einen Beweis liefern die Mitgliederzahlen. Die SP wächst und zählt heute 248 Mitglieder in Bümpliz/Bethlehem – ein Plus von 24 Mitgliedern. Wo in vielen Partei-Generalversammlungen auf lokaler Ebene leere Stühle und die ewig gleichen Gesichter ein tristes Bild zeichnen, herrscht in Berns Westen Aufbruchstimmung. Wenngleich eines gesagt sein muss: Graue Haare und lebenserfahrene Gesichter hinter einer Lesebrille halten die Mehrheit.
Anspruch auf Ehre
Doch dahinter verbergen sich Revoluzzer, Frauen, die Geschichte geschrieben haben, unbeugsame Querdenker, Vorkämpfer und stille Schaffer. Hans-Rudolf Fischer etwa; er konnte nicht mehr persönlich an der GV teilnehmen, erfuhr aber eine Ehrung, weil er seit nunmehr 75 Jahren Mitglied der SP Bümpliz/Bethlehem ist. Stolze 60 Jahre dabei ist Madeleine Renner. Hinter ihrer ruhigen Fassade verbirgt sich noch immer die Wildheit längst vergangener Tage, als sie auf der Strasse fürs Frauenstimmrecht und weitere, heute als selbstverständlich zu erachtende Errungenschaften, gekämpft hat.
Anspruch als Volkspartei
Die neuen Co-Präsidenten übernehmen eine Kommunalpartei mit einer weitreichenden Geschichte. Doch das wissen sie. Conrad Krausche spricht so schnell wie er denkt, damit all seine Hinweise, Ideen und Informationen Platz finden, ohne die GV unnötig zu verlängern. «Vorwärts gehts», sagt er und ballt unter Applaus die Faust. Michael Spahr ist der geborene Kommunikator und stellt fest: «Eigentlich sind wir die Volkspartei und setzen uns für die wichtigen Belange aller Menschen im Stadtteil VI ein.» Auch ihm ist der Applaus gewiss. Die beiden Präsidenten haben einen Gewerkschaftshintergrund. Das spürt man. Sie verbinden die reich befrachtete Vergangenheit ihrer Partei mit den Bestrebungen von heute. Noch etwas deutlicher machte dies der neu gewählte Kassier Alexander Zeller, als er sich vorzustellen hatte: «Ich bin Kommunist und Anarchist, das reicht, oder?» Der Applaus bestätige seine Vermutung auf dem Fusse. Kurzerhand kombinierte Spahr, dass es gut sei, wenn jemand die Kasse führe, der etwas von Planwirtschaft verstünde.
Anspruch als Bundesrat
Viele klingende Namen begannen ihre Polikarriere im Berner Stadtrat. Ruth Dreifuss etwa, die 1999 die erste Bundesratspräsidentin der Schweiz wurde. Von 1989 bis 1993 war sie im Berner Stadtrat. Auf welchem Stuhl sie sass und ob dieser noch heute von einem der Mitglieder der SP Bümpliz/Bethlehem belegt sei, das war eine Frage, die nur die älteren Semester in ihren Reihen beim anschliessenden Bier herauszufinden versuchten. Eine Bundesrätin oder ein Bundesrat aus ihren Reihen? Die Vorstellung erhellt die Gesichter. Doch so weit hergeholt ist das gar nicht. Noch heute sitzen zahlreiche Stadträte oder etwa Grossrätin Meret Schindler, Vizepräsidentin der SP Kanton Bern, in ihren Reihen. Dass dies weiterhin so bleibt, dafür sorgen die bevorstehenden Nationalratswahlen, an denen etwa Chandru Somasundaram antreten wird.
Feierlich übergeben die beiden Stadträte Nicole Silvestri und Chandru Somasundaram die rote Standarte aus dem Jahr 1928 an das neue Copräsidium. Feierlich singen die Mitglieder «die Internationale», feierlich beklatschen und befragen die Sozaldemokraten ihre ältesten Mitglieder nach dem Gestern, Heute und Morgen. Die Moral der Geschichte? Anarchismus war, ist und wird der unbequeme Schulteklopfer der heutigen Geselllschaft sein. Seit 1848 kämpft die SP als grosse Partei und trotzdem stets in der Minderheit für die sozialen Anliegen der Schweiz. Frauenstimmrecht, AHV und viele weitere heute selbstverständliche Errungenschaften verdankt die Eidgenossenschaft diesem Kampf. Einer, an dessen Spitze regelmässig Vertreterinnen und Vertreter der SP Bümpliz/Bethlehem stehen. Zwei Anarchisten für den Stadtteil VI? Wieso nicht.