10 Jahre Femmes-Tische in Bern

Wertvolles Wissen – oder: Hilfe zur Selbsthilfe

Nadia Berger
Von Nadia Berger - Redaktorin
Anita Sempach vom VBG und Nanthini Murugaverl.

Foto: Foto: NB

Einfach erklärt
Femmes-Tische heisst ein Projekt, das seit 10 Jahren Frauen für Themen aller Art zusammenbringt. Die Moderatorinnen sprechen in ihren Muttersprachen. Nanthini Murugaverl betreibt den tamilischen Tisch.
Ist man neu in einem Land zuhause, erscheint erstmal alles unübersichtlich, anders und vielleicht auch überfordernd. Orientierung schafft dann die eigene Community. Oder spezielle darauf ausgerichtete Angebote. Von der Wichtigkeit solcher weiss Nanthini Murugaverl ein Lied zu singen. Seit das Projekt vor zehn Jahren das erste Mal in Bern durchgeführt wurde, moderiert sie die tamilischen Gesprächsrunden von Femmes-Tische in Bethlehem.

Austausch zu Ernährung, psychischer Gesundheit, Erziehung, Bildungssystem, Frauengesundheit, häuslicher Gewalt. An den regelmässig stattfindenden Runden gibt es keine Tabus. Frauen verschiedener Kulturen und Sprachen treffen sich jeweils bei einer Teilnehmerin aus der entsprechenden Community zuhause, im öffentlichen Raum oder im Treffpunkt Untermatt in Bethlehem, um sich kostenlos zu einem bestimmten Thema auszutauschen. Die Gastgeberin kümmert sich dann auch gleich um die Verpflegung der ganzen Gruppe. Eine geschulte Moderatorin, die die jeweilige Sprache als Muttersprache spricht, leitet die Gesprächsrunden, eine Person kümmert sich um die Kinder, damit die Teilnehmerinnen ungestört sind.

Von vier zu elf

Als das schweizweite Projekt 2013 in der Stadt Bern startete, wurde Femmes-Tische zunächst in Bern West, dann in Bern Nord und kurz darauf in Bern Holligen eingeführt. Mittlerweile finden die meisten in Bern West statt, seit 2021 gibt es auch ein Angebot in Bern Ost. «Wir starteten in vier Sprachen: Tamilisch, Türkisch, Albanisch und Arabisch», erklärt Nanthini Murugaverl, die seit 2005 in Bethlehem wohnt. Heute gibt es das Angebot in elf verschiedenen Sprachen. Murugaverl ist Tamilischlehrerin, interkulturelle Vermittlerin und Beraterin bei Infotime – einem weiteren Angebot für Migrantinnen und Migranten – und arbeitet in verschiedenen Projekten mit Frauen und Jugendlichen. Als Moderatorin der tamilischen Femmes-Tische-Runden in Bern West hat sie die Aufgabe, die Frauen im Quartier zu vernetzen, alltagsnahes Wissen zu vermitteln und das Selbstvertrauen der Frauen zu stärken. Ihre Arbeit beruht auf freiwilligem Engagement, die Spesen werden ihr entschädigt.

Gut vernetzt und zweisprachig

Die Moderatorinnen des Angebots werden eng und fachlich begleitet. Durch die Geschäftsstelle Femmes-Tische Schweiz und die Standortleitung in Bern gibt es jeweils eine Einführungsschulung, bei der neue Moderatorinnen sich mit ihrer Rolle auseinandersetzen und diverse Themen vertieft werden. Weiter nehmen sie regelmässig an Austauschsitzungen und viermal pro Jahr an Weiterbildungen teil. «Es ist ausserdem sehr wichtig, dass die Moderatorinnen in ihrer Community in Bern gut vernetzt und zweisprachig sind – neben ihrer Muttersprache also auch Deutsch sprechen können», so Murugaverl. Ihre Aufgabe sei es, jeweils herauszufinden, was die Frauen gerade beschäftigt, um dies beim nächsten Treffen zu besprechen. Pro Thema gibt es ein entsprechendes Kartenset mit deutschem Text dazu. Frauen, die der deutschen Sprache bereits mächtig sind, lesen den Text vor, Murugaverl übersetzt für die anderen. Diskutiert wird in diesem Fall anschliessend in Tamilisch. Pro Mal nehmen bei Murugaverl um die 10 Frauen teil. Viele machen ab und an mit, einige sind seit 2013 dabei und immer wieder kommen auch neue dazu. 

Schweizweit mehr als 20 Sprachen

Femmes-Tische wird in Bern durch die Vereinigung Berner Gemeinwesen (VBG) koordiniert. «Es ist ein geschütztes Programm, für das die VBG eine Lizenz besitzt», erklärt Anita Sempach, Quartierarbeiterin bei der VBG und bis Ende August Projektleiterin von Femmes-Tische. Ab September übernimmt diese Leitung eine Quartierarbeiterin des Quartierzentrums Tscharnergut. Seit 1996 werden in zahlreichen Regionen in der Schweiz und im Fürstentum Lichtenstein an über 30 Standorten Femmes-Tische-Runden in mehr als 20 Sprachen durchgeführt. Jährlich werden damit über 11’000 Menschen erreicht. «Die Gesprächsrunden dienen als Erfahrungs- und Informationsaustausch, denn es braucht Wissen, um sich gegenseitig austauschen und diskutieren zu können», erklärt sie. Ausserdem helfe das Angebot gegen Einsamkeit und sprachliche Isolation und diene oft nicht nur den Frauen selbst, sondern auch deren Familien. «Die Frauen lernen beispielsweise den Lernplan 21 zu verstehen, sprechen über die Lehrstellensuche ihrer Kinder und die angemessene Höhe von Taschengeld oder erfahren vom Angebot der Erziehungsberatung und leiten dies an ihre Männer weiter», nennt Murugaverl einige Beispiele.

Die Krankenkasse beschäftigt

«In den zehn Jahren, in denen ich nun als Moderatorin tätig bin, ist ein Thema der Dauerbrenner: die Krankenkasse», weiss die Moderatorin. Aufgrund der hohen Nachfrage sei sie mittlerweile selbsternannte Krankenkassenspezialistin. «Was ist eine Prämie? Was der Selbstbehalt und was die Franchise? Die Krankenkasse beschäftigt – immer wieder», schmunzelt sie. Doch egal, welches Thema besprochen oder in welcher Sprache gesprochen wird – das Ziel der verschiedenen Femmes-Tische-Runden ist stets das gleiche: sich in einem geschützten Rahmen auszutauschen, zu vernetzen, und an Informationen zu kommen. Oder wie es Anita Sempach kurz und knapp zusammenfasst: Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten.

 

Gesprächsrunden finden in Bern auf Tamilisch, Spanisch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Englisch, Albanisch, Französisch Tigrinya, Somalisch, Russisch und Deutsch statt. Wer Moderatorin werden möchte oder an einer Femmes-Tische-Runde teilnehmen will, findet hier weitere Informationen: www. femmestische-bern.ch

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