Berner Original

Von Heinzelmännchen und dem Tscharniblues

Thomas Bornhauser
1980 am Sulgenrain in Bern.

Foto: zvg

Einfach erklärt
Einfach Erklärt – Chlöisu Friedli wuchs im Bethlehemacher auf. – Er sah Heinzelmännchen und andere Fabelwesen. – Er machte Musik und schrieb Texte.  – Nun erscheint sein Buch neu.
«Das Gesetz des Waldes» ist ein grossartiges Buch, das die berührende Lebensgeschichte von Chlöisu Friedli (1949 – 1981) erzählt, 1993 erstmals veröffentlicht. Urs Hostettler hat es mit seinem Fata Morgana Verlag kürzlich in zweiter Auflage publiziert. Auch 42 Jahre nach seinem Ableben sind die Gedanken des ehemaligen Musikers – der eine enge Beziehung zu Berns Westen hatte – es wert, dass man während des Lesens innehält und dessen Gedanken für einige Augenblicke auf unsere heutige Welt fokussiert.

Es wäre anmassend, die vielen philosophischen und melancholischen Gedanken von Chlöisu Friedli als Kulturkritiker analysieren oder hinterfragen zu wollen. Die Äusserungen stehen für sich selbst, benötigen keine Interpretationen von Dritten. 

Vom fantastievollen Leben…

Das Buch beginnt mit dem Erlebnis zweier Schulfreunde, beide achtjährig, Walter und Markus, die ab und zu in einem der beiden Estriche ihrer Eltern spielen, weil sie dort ihre Fantasien ausleben können. Eines Tages entdecken sie einen kleinen Buben mit grüner Hautfarbe. Er stellt sich als Aldi vor. Er wohne im Wald, deshalb seine Hautfarbe als Tarnung. Aldi ist aus einer Blume herausgewachsen, wurde von einer Waldfee grossgezogen. Mit der Stadt kann das Kerlchen nichts anfangen: «Die Leute in der Stadt leben nicht mehr richtig. Sie rennen von einen zum andern. Sie beginnen alles Mögliche und machen nichts fertig. Sie haben keine Zeit für einander und lassen sich ständig ablenken. Die Tiere und die Wesen im Wald im Wald leben nach dem Gesetz des Waldes.» Fabelwesen wie Aldi werden Chlöisu Friedli sein ganzes Leben lang begleiten, so auch an der Adria, wohin Chlöisu als 18-Jähriger per Autostopp reist. Dieses Mal sind es Meerheinzelmännchen, die Ertrinkende aus dem Wasser retten. Später sibirische Heinzelmännchen: Unter Führung von Nitscho retten sie Iwan Born, der vor fünf Jahren wegen antisowjetischer Propaganda zu lebenslänglicher Haft in einem sibirischen Arbeitslager verurteilt wurde.

…in die Realität

Geboren wird Chlöisu am Pfingstmontag 1949 in Bern. In den 50er-Jahren wohnt Familie Friedli in einem aneinandergebauten, zweistöckigen Holzhäuschen im Bethlehemacker. Bereits als Achtjähriger nimmt er bei Frau Gertsch Klavierunterricht. Seine Begabung und das spätere autodidaktische Üben am Instrument führen dazu, dass er 1968 zusammen mit Pesche, Ueli, Tommy, Mario und Jonny die legendäre Longstreet-Jazzband gründet, die auch einmal zusammen mit Albert Nicolas und Champion Jack Dupree als «Special guests» auftritt. Die Band gibt es noch heute.

Chlöisu Friedli schliesst eine KV-Lehre im Konsum ab, jobbt danach in den verschiedensten Berufen, zum Beispiel als Betonbrenner, anschliessend im Service im Gambrinus, auch in einem Lager für Schreibmaschinen ist er beschäftigt. Er heiratet, wohnt mit Frau und Tochter später in Zimlisberg bei Rapperswil/BE. Bekannt wurde er als Musiker auch durch zwei seiner Kompositionen, dem «Sünneliblues» und dem «Tscharniblues». Nicht zu vergessen ist Chlöisus poetische Ader als stiller Beobachter des absurden Alltags, dem Erzähler von kurzen Geschichten, die zum Beispiel im «Tscharniblues» münden. Die Heinzelmännchen-Stories wiederum machen einen Grossteil des Buches aus. Mit 25 leidet Chlöisu erstmals an Depressionen, wird deshalb auch mehrfach in eine Psychiatrische Klinik eingeliefert, letztmals 1981, wo er am 3. Juli in der Kurve hinter der Waldau unter den Zug geht, mit seinem Habersack und seinem Büchlein samt der Heinzelmännchengeschichten.

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