Psychische Belastung von Kindern und jugendlichen

Lange Wartelisten – es fehlt an Unterstützung

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Christian Ryser, Stiftung Berner Gesundheit.

Foto: zvg

Einfach erklärt
Einfach Erklärt – Heute leiden viel mehr Kinder und Jugendliche unter psychischer Belastung als vor ein paar Jahren. – Es gibt zu wenig Beratungs- und Therapieplätze. – Hilfe holen ist trotzdem wichtig.
Kinder und Jugendliche leiden zunehmend unter psychischen Belastungen. Die Stiftung Berner Gesundheit erarbeitete an einem Symposium mit rund 80 Fachkräften Forderungen an Politik und Behörden. Auch in Bümpliz ist man sich der Herausforderung bewusst.

Die Zahlen sind erschütternd: Zwischen 2017 und 2021, innerhalb von nur vier Jahren, hat sich der Anteil von Kindern und Jugendlichen, welche von psychischen Belastungen berichten und darunter leiden, schweizweit verdoppelt. Die Herausforderungen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch für das gesamte Umfeld, sind enorm, denn: Es fehlt an Unterstützungsangeboten. 

Zu wenig Therapieplätze

Die Wartelisten sind lang. Selbst wenn Jugendliche bereit sind, sich Hilfe zu holen, warten sie teilweise monatelang auf freie Therapie- und Beratungsplätze. Christian Ryser, Geschäftsführer der Stiftung Berner Gesundheit, spricht schonungslos von einer Versorgungskrise. «Leider ist das Bewusstsein nicht überall gleich vorhanden. Es ist schwierig zu akzeptieren, dass wir effektiv eine Versorgungskrise haben im Umgang mit psychisch belasteten Jugendlichen», macht er klar, «psychische Belastungen und Erkrankungen haben einfach keinen hohen Stellenwert. Würden alle mit Beinbrüchen herumlaufen, hätte man längst reagiert.» 

Die Forderungen, die am durchgeführten Symposium erarbeitet wurden, will die Stiftung Berner Gesundheit den entsprechenden Akteurinnen und Akteuren übermitteln, immer wieder auf die schwierige Situation betroffener Jugendlicher aufmerksam machen und Behörden und Politiker aufklären und für die Problematik sensibilisieren. 

«Es kann alle treffen»

Psychische Belastungen seien nicht per se eine Krankheit, können aber gemäss Christian Ryser je nach Umständen krank machend sein. Dabei lassen sich keine konkreten Ursachen festhalten, vielmehr hängt es von einer Reihe an Faktoren ab, ob Druck, Stress und Belastungen zu hohem psychischem Leidensdruck führen. «Es kann jede und jeden treffen», weiss Christian Ryser aus Erfahrung, «es gibt keine Unterscheidung, weder sozioökonomischer Status noch Herkunft oder Bildungsniveau spielen eine entscheidende Rolle.» Leidet ein Jugendlicher unter psychischen Belastungen, kann sich dies ganz unterschiedlich zeigen. Auffälliges Verhalten, etwa in Form von Aggressivität, komme etwa bei jungen Männern häufiger vor, bei jungen Frauen eher das Gegenteil, Rückzug und Depressivität. Beides ist schwierig für das Umfeld. 

Eine Multikrise

Wie die rasante Zunahme der Betroffenen zustande kommt, ist komplex. Ryser erklärt: «Es gibt nicht einen einzelnen Faktor, wir haben eine Multikrise.» Pandemie, Krieg, Klimawandel, Leistungsdruck der Gesellschaft – die Zeiten sind turbulent und psychische Krankheitsbilder sind nach wie vor stigmatisiert. Einem Grossteil der Jugendlichen gelingt es, diese Herausforderungen zu stemmen und trotz Belastungen gesund zu bleiben. «Wir sprechen immer noch von einer Minderheit, die betroffen ist», sagt Christian Ryser, «aber diese Minderheit ist in den letzten Jahren stark gewachsen.»

Leiden Jugendliche unter psychischen Belastungen, hat dies enorme Folgen nicht nur für das Individuum, sondern auch für’s Umfeld, das Gesundheitssystem und die -kosten sowie für die Gesellschaft als Ganzes. «Es ist immer das ganze System, das pro Fall auch belastet ist, man geht von fünf bis sieben Menschen aus, die direkt mitbetroffen sind. Es hat also eine grosse gesellschaftliche Bedeutung, wenn man feststellt, dass sich die Zahlen verdoppelt haben», erklärt Christian Ryser. 

Wichtige Prävention: ansprechen, nachfragen, zuhören

Eines der wichtigsten Mittel, um die Situation zu entschärfen, sieht er in der Prävention. Man müsse möglichst viel dafür tun, dass das Netz, in welchem sich Jugendliche bewegen, eng geknüpft sei. Da seien alle gefragt. Wichtig ist, dass man Kinder und Jugendliche anspricht, nachfragt, zuhört und wenn nötig Hilfe sucht. Fehlen passende Anlaufstellen und bekommen Betroffene keine Unterstützung, kann es vorkommen, dass Jugendliche anfangen, sich selbst zu «therapieren» – Medikamente und Suchtmittel sind dafür verbreitete Beispiele, aber auch Spielsucht oder übermässiger Medienkonsum. 

Mehr Schulsozialarbeit

Auch Sandra Geissler, Leiterin der Schulsozialarbeit Bern, beobachtet die Zunahme von Jugendlichen, die unter psychischen Belastungen leiden, mit Sorge. Sie spricht von einem Anstieg von
35 % von Beratungen in der Schulsozialarbeit seit 2021. Auch in Bümpliz sei eine Zunahme zu beobachten, die Begleitung ist eine Herausforderung. «Es ist schwierig, die Kinder weiterzuvermitteln, die Angebote fehlen und die Schulsozialarbeit ist ein beratendes, kein therapeutisches Angebot», erklärt sie. Um die Kinder und Jugendlichen angemessen zu begleiten und früh auf Probleme aufmerksam zu werden, bräuchte es mehr Schulsozialarbeitende. Denn die Kinder und Jugendlichen müssten die Schulsozialarbeitenden kennen, um sich tatsächlich Hilfe zu holen. Sonst sei die Hemmschwelle zu hoch. Aktuell betreuen zu wenig Sozialarbeitende zu viele Schülerinnen und Schüler, der persönliche Kontakt kommt so zu kurz. «Alles, was die Beziehung stärkt, ist präventiv und insbesondere die Schulsozialarbeit erreicht die Kinder und ihre Familien», ist sie überzeugt. 

Es besteht Handlungsbedarf, darin sind sich die Fachkräfte einig. In Politik und Behörden fehlt das Bewusstsein noch weitgehend. Christian Ryser weiss, dass noch ein langer Weg bevorsteht, aber: «Wir lassen nicht locker.»

Christa Pfanner

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www.bernergesundheit.ch

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