Man stelle sich vor, in der Schweiz bräche eine Tierseuche aus. Eine hochansteckende Krankheit, die Rinder, Schweine oder Hühner dahinrafft. Ganze Bestände betroffener Betriebe müssten gekeult werden. Der Export von Fleischprodukten würde eingeschränkt. Ein Drama für betroffene Betriebe, Schäden in vielfacher Millionenhöhe für die Schweizer Wirtschaft, dazu Verunsicherung bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Und im schlimmsten Fall: eine zoonotische Entwicklung; das Virus springt auf den Menschen über.
Seuchen in Nachbarländern
Ein hier hypothetisches Szenario ist weniger unwahrscheinlich, als man annehmen würde. Die Afrikanische Schweinepest ist nur ein Beispiel einer Krankheit, die bereits unsere Nachbarländer erreicht hat und in Europa grossen Schaden anrichtet. Am eidgenössischen Institut für Virologie und Immunologie (IVI) mit Standorten in Mittelhäusern und Bern arbeitet das Diagnostikteam tagtäglich daran, Verdachtsfälle in der Schweiz abzuklären – und auf eventuelle Tierseuchenausbrüche vorbereitet zu sein. Die Dia-gnostik des IVI deckt den Nachweis von verschiedenen meldepflichtigen viralen Tierseuchenerregern ab. In Mittelhäusern werden im Hochsicherheitslabor die hochansteckenden und andere gefährliche Seuchen diagnostiziert.
«Jede Probe könnte positiv sein»
«Bei allen meldepflichtigen Tierseuchen dürfen nur anerkannte Labore die Diagnostik durchführen», erklärt Karin Darpel. Die Tierärztin und Virologin ist für den Fachbereich hochansteckende Tierseuchen am IVI zuständig. Erfahrungen damit konnte sie durch langjährige Tätigkeit in der Forschung und Diagnostik an einem Hochsicherheitslabor in England sammeln. In der Schweiz darf nur das IVI auf die meisten hochansteckenden viralen Krankheiten testen – als Nationales Referenzlabor verfügt es über ein entsprechendes Labor, in dem die Mitarbeitenden Proben untersuchen, z. B. auf Maul- und Klauenseuche, Pest der kleinen Wiederkäuer oder die Afrikanische Schweinepest (ASP). Rund 30 Krankheiten können am IVI diagnostiziert werden. Proben mit Verdacht auf hochansteckende Viren behandeln die Involvierten nach sorgfältigen und strengen Vorgaben, vom Kurier übers Labor bis zur sicheren Entsorgung. Und obwohl ein positiver Befund nur selten vorkommt, bleiben die Mitarbeitenden bewusst wachsam. Denn: «Jede Probe könnte positiv sein.»
Ausbruch durch Sandwichrest
Die Globalisierung zeigt sich auch bei den Krankheiten; Viren kennen keine Grenzen. Die Vogelgrippe wird von ihren Trägern eingeflogen, bei der ASP sind auch Reisende ein Einschlepprisiko. Das für den Menschen ungefährliche Virus kann in Schinken oder Salami wochenlang überleben. Ein aus dem Fenster geworfener Sandwichrest wird gern von Wildschweinen verwertet und kann so einen weiteren Ausbruch auslösen – «Punkteintragung» nennt man solche Fälle rund um Autobahnraststätten. «Viele Krankheiten, die wir in der Schweiz schon lange nicht mehr oder noch nie hatten, kommen immer näher», weiss die Virologin. Schaf- und Ziegenpocken sind im letzten Jahr in Griechenland angelangt, die Maul- und Klauenseuche in Nordafrika, die Epizootische hämorrhagische Krankheit in Frankreich und Spanien. «Je früher wir etwas entdecken, desto besser», betont Darpel.
Vom Tupfer zum Genomsegment
Dem Erreger auf die Spur kommt das Diagnostikteam auf zwei Arten: Bei der molekularen Diagnostik wird das Virus-Genom direkt nachgewiesen, in der Serologie finden die Laborfachleute Antikörper. Wird ein Tupfer mit der Blut- oder Milzprobe angeliefert, schneiden die Mitarbeitenden in der Biosicherheitswerkbank ein Stückchen davon ab und geben es in eine Trägerflüssigkeit. Dann wird es homogenisiert oder, wie die Virologin es beschreibt: «schön geschüttelt». Anschliessend wird das Genom, je nach Virus die RNA oder DNA, ex-trahiert. Dies geschieht manuell oder per Roboter – letztere schaffen bis zu 94 Proben in einem Durchgang. Anschliessend stellen die Mitarbeitenden mit einem PCR-Verfahren fest, wie hoch die Viruslast ist. «Das hilft abzuschätzen, wo wir uns in der Infektionsdynamik befinden.» In einigen Fällen charakterisieren sie die Genome der Viren noch weiter. Bei der Vogelgrippe etwa schauen die Experten, mit welchem der «Hs» und «Ns» sie es zu tun haben, beispielswiese H5N1. Immer häufiger sequenzieren sie gar das ganze Genom, «denn wenn zwei Virenstämme der Vogelgrippe die gleiche Zelle infizieren, können sie Segmente austauschen». Die Resultate geben Hinweise darauf, wie pathogen – also krankmachend – das Virus ist und woher es kommen könnte. Die ersten Resultate kann das Diagnostikteam bereits nach einigen Stunden liefern.
«Wir arbeiten stets daran, unsere Testmethoden zu überprüfen und weiterzuentwickeln», so Darpel. Das Diagnostikteam des IVI hat auch Krankheiten auf dem Radar, die noch weit weg sind. Um die Testverfahren auch seltener meldepflichtiger Krankheiten zu überwachen, werden zum Beispiel europaweite Kompetenztests für alle Nationalen Referenzlabore durchgeführt. Hier versenden die jeweiligen europäischen Referenzlabore Probensets, die dann jedes Labor testet. Es ist und bleibt eine ständige Herausforderung, auf die nächste, vielleicht noch unbekannte, Tierseuche vorbereitet zu sein.