Ich bin bei Rendez-vous immer zu früh. Immer. Das gehört zu meiner DNA. So auch bei meinem Besuch des Migros-Markts. Bereits um 5.15 Uhr (wenn schon, denn schon) stehe ich beim Hintereingang des Migros-Markts. Ich bin Shiva Kumar Subba zugeteilt, Chef-Magaziner, ursprünglich aus Nepal stammend, seit 1996 in der Schweiz und seit 22 Jahren bei der Migros angestellt.
Nach den Gästen richten
Um 5.15 Uhr regnet es in Strömen, der erste Aufleger mit Fischprodukten für den MM steht seit einer Viertelstunde abladebereit an der Rampe. Punkt 5.25 Uhr holt mich Shiva Kumar Subba beim Personaleingang ab, nur fünf Minuten später erscheint Sue Bonetti auf der Fläche. Sie ist zum Zeitpunkt unseres Besuches für die Filiale verantwortlich, in der Zwischenzeit Stellvertreterin des neuen Geschäftsführers.
Der erste Arbeitsgang führt Subba und mich jedoch nicht auf die Ladefläche, sondern quasi in die Backstube, wo der gebürtige Nepalese Gipfeli & Co – am Vorabend vorbereitet – in den Ofen schiebt, um sie anschliessend genau nach Plan goldbraun abkühlen zu lassen. Die Brötli kommen nicht bloss in den Offenverkauf, sondern zum Teil direkt ins M-Restaurant, das offiziell um 8 Uhr öffnet. Heute verlangt der erste Kunde jedoch bereits um… 6.30 Uhr Kaffee und Gipfeli. «Das ist normal», sagt uns Denise Egger, «viele Gäste kommen noch vor sieben Uhr. Es git, was es denn scho het.»
Pendeln zwischen EG und UG
Der Chefmagaziner pendelt in dieser Zeit zwischen Backstube, Aufleger und Laden, zieht Paletten heraus, stellt sie auf die Ladenfläche, wo seine Kolleginnen und Kollegen weit vor 7 Uhr mit der Feinverteilung beginnen. Ich mache mich nützlich. Zumindest versuche ich es, indem ich ebenfalls Paletten aus dem Aufleger ziehe, zuerst mit relativ mässigem Erfolg, weil mir gewisse Tricks nicht bekannt sind. Sue Bonetti schmunzelt wortlos, als sie an mir vorbeiläuft…
Punkt 7.30 Uhr geht es darum, sämtliche leeren Gebinde aus dem Laden in die Hinterräume zu verschieben, damit sich der Laden eine halbe Stunde später von seiner besten Seite zeigen kann. Bis dies soweit ist, dreht Shiva Kumar Subba nicht die Daumen, er macht sich nützlich, mit Aufgaben, die nicht in seinem Pflichtenheft stehen. «Ich schätze es auch, wenn die Kollegen an meinem freien Tag tiptop arbeiten und ich am nächsten Morgen gleich weiterfahren kann», sagt er und meint zum Beispiel die Getränke, für die er verantwortlich ist. Von Mineralwasser bis hin zu In-Getränken. Und das im EG und im UG. Die Zeit bis zum Eintreffen des nächsten Sattelschleppers nützt er, um sich umzuschauen, wo was später nachgefüllt werden muss.
Koordination unerlässlich
Die Camions werden jeweils von der Zentrale angekündigt, auf die Minute genau. Das heisst, wenn auf den Strassen alles rundläuft, sonst kann es passieren, dass zwei Chauffeure gleichzeitig andocken wollen, was für sie kein Problem darstellt, da es zwei Stationen gibt. Passiert zum Beispiel am Tag meines Einsatzes. Nur: Hinter den Kulissen gleicht die Arbeit einem Bienenhaus, wenn plötzlich bis zu 30 Paletten sozusagen gleichzeitig ausgeladen werden müssen, vor allem, wenn der Chauffeur nach Bethlehem noch eine weitere Verkaufsstelle anfahren muss. Hektik? Nein, die «Bienen» sind augenfällig aufeinander eingespielt, kein böses Wort ist zu hören. In diesem Moment nehme ich mich aus dem Spiel, sonst stehe ich nur im Weg.
Schweiz und Nepal
Fünf bis sechs Anlieferungen sind pro Tag die Regel, frisches Brot aus der Jowa, das nicht in der Filiale fertiggebacken wird und Tiefkühlprodukte inklusive. Shiva Kumar Subba hat seinen Job im Griff, immer wieder füllt er zwischen zwei Anlieferungen seine Getränkeregale auf und stellt Kundenbestellungen zur Seite, auf dass sie am «Tag X» von den Kundinnen und Kunden abgeholt werden können, heute zum Beispiel vier Kartons IPA Zero mit alkoholfreiem Bier.
Will er denn einmal nach seiner Pension nach Nepal zurück, frage ich ihn. «Jein», sagt er, «Nepal und die Schweiz sind mir beide wichtig.» Ideal wäre es für ihn, ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort zu wohnen, nicht zuletzt, weil seine Tochter und sein Sohn «ihren Weg machen, ganz toll, beide in der Schweiz». Und ich selber will Ihnen nicht verheimlichen, dass ich vom Palettziehen e chly Muskelkater hatte…