Normalerweise ist es umgekehrt: Der Mensch greift in die Natur ein und die Biodiversität verarmt. Doch als vor über 100 Jahren der Regierungsrat beschloss, die Aare für ein Kraftwerk anzustauen, und der Wohlensee entstand, verwandelte sich die Landschaft in ein Kleinod. Heute ist der 12 km lange und bis zu 700 m breite «Fluss-See» ein Naturparadies, das Mensch und Fauna, Vogel und Fisch erfreut. 2006 gibt der Kanton den Auftrag, ein Wegprojekt an der Hinterkappeler Inselrainbucht umzusetzen.
Die Vögel haben Vorrang
Damals kam Bänz Müller (SP) gerade frisch in den Gemeinderat. «Dieser kam zur Erkenntnis, dass er die Auflagen für dieses Wegprojekt nicht erfüllen kann. Die Bevölkerung war unterschiedlicher Meinung. Deshalb hat der Gemeinderat den Kanton gebeten, diese Auflage zu übernehmen», erinnert sich der heutige Gemeindepräsident und Grossrat. Das ist – wie der Wohlensee als künstliches Naturparadies – eine Ausnahme. Normalerweise übergibt eher der Kanton den Gemeinden die Aufträge und nicht umgekehrt. Doch hier willigte der Kanton Bern ein und verfolgte die Variante Nordufer. Diese verläuft relativ lange vor den Privatliegenschaften dem Ufer entlang und zieht erst dort nach oben, wo die Böschung zu steil wird. Das Projekt war bewilligt und reif für die Umsetzung, als die Anwohner sich dagegen wehrten. Bis vor das Bundesgericht. Diese letzte Instanz brachte 2022 das Vorhaben zu Fall. Nicht aber wegen den Privatbesitzern am Ufer, sondern wegen den Vögeln. «In dieser langen Zeit ist die Bucht zu einem nationalen Vogelschutzgebiet aufgewertet worden», erklärt Müller. Der See ist in diesem Bereich am Verlanden und es entstehen Brutmöglichkeiten, kleine Schilfinseln. Das Bundesgericht entschied, dass man hier keinen Weg mehr machen dürfe, der Eingriff wäre zu massiv. Und so übergibt der Kanton seine erfolglosen Bemühungen wieder der Gemeinde Wohlen bei Bern. «Wie beim Leiterlispiel sind wir wieder zurück auf Feld eins», meint der Gemeindepräsident.
Aus der Vogelperspektive
Ist das Projekt nun gestrandet und versandet? «Nein, wir haben im Sinn, das Problem ein für alle Mal zu lösen», überrascht der Gemeindepräsident. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, wie das wohl – mit Verlaub – vielerorts geschehen wäre, bleibt Bänz Müller besonnen, ja gar überzeugt. «Die Bevölkerung fordert die Umsetzung, die Privatbesitzer werden sich aber immer wehren», weiss er nur zu gut. Was sich nun geändert hat, ist aber, dass die Variante der Bucht entlang ohnehin nicht mehr möglich ist. Klar gebe es da noch zwei alte Varianten, die man wieder hervorkramen könnte. «Das wäre aber zu einfach», ist er sich sicher. Stattdessen nutzt er die Chancen, die sich ergeben, wenn man wieder bei Null beginnen muss. «Die Gemeinden rund um den Wohlensee, Frauenkappelen, Mühleberg, Kirchlindach, Bern und Wohlen bei Bern sitzen nun zusammen. Wir erstellen gemeinsam einen Masterplan Wohlensee. Der geht viel weiter als nur über einen Uferweg. Er stellt die Grundlagen zusammen, um den Wohlensee als Ganzes zu verstehen», verrät Müller. Die Nutzung des Sees ist massiv. Gerade die Freizeitnutzung betrifft alle Anstössergemeinden. «Wenn wir den Masterplan haben, ist das ein Dokument, welches uns als Basis dient, um Drittprojekte zu starten, etwa die Uferschutzplanung. Mit einer Gesamtsicht für den Erfolg der Teilprojekte. Und eines davon ist dann der Uferweg», fasst der Präsident zusammen.
An der Lösung brüten
Aus dieser Vogelperspektive den Wohlensee und seine «Nutzergemeinschaft» zu betrachten, eröffnet neue Perspektiven. Vielleicht kann der Uferweg auf der anderen Seite durchgehen? Von Frauenkappelen aus startet eine rund 18 km lange Etappe der Via Berna Richtung Stadt Bern. Ein längeres Teilstück führt dem Wohlensee entlang. Kann man auf diesen bestehenden Weg verweisen? Dank des Masterplans können die Gemeinden Lösungsansätze für verschiedene Probleme ausbrüten – gemeindeübergreifend. «Wir sind zuversichtlich, eine Lösung zu finden», so Müller.
Auf alten Pfaden kommt man nicht an neue Ziele. Deshalb sucht der Gemeinderat Wohlen nun gemeinsam mit seinen Kollegen der umliegenden Gemeinden nach neuen Wegen. Oder wie er es formuliert: «Es mag vielleicht nun ein Umweg sein, aber gut möglich, dass dieser schneller ist als er alte und direkte Weg.»
Sacha Jacqueroud