Trotz Zugehörigkeit zur Stadt bleibt Oberbottigen ein Dorf

Ländliches Leben im grössten Stadtteil

Martin Jost
Siedlungen, Bauernhäuser – und ein starker Kontrast im Hintergrund.

Foto: zvg/MJ

Einfach erklärt
Oberbottigen ist der ländlichste Teil der Stadt Bern und gehört zum Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen. Trotz ihrer Nähe haben sich die beiden Gebiete unterschiedlich entwickelt. Auch deshalb, weil hier weniger gebaut wurde. 
Bümpliz-Oberbottigen ist einer der sechs Berner Stadtteile. Dass Oberbottigen überhaupt zur Stadt gehört, ist für viele Menschen unverständlich. Das gilt für solche aus der Stadt wie auch für solche aus Oberbottigen.

Seit 30 Jahren lebt Stefan Ramseier als reformierter Pfarrer in Oberbottigen und er weiss eigentlich alles über die Geschichte seines Wohnortes. Aber jetzt lässt er sich doch etwas Zeit
mit der Antwort. Auf die Frage nämlich, ob die Oberbottiger eigentlich zur Stadt gehören wollen, antwortet er: «Eher nicht, glaube ich. Die Orientierung zum Ländlichen ist hier gross, vor allem bei den Alteingesessenen.» Bümpliz war lange Zeit ein stilles Bauerndorf, etwas grösser als die umliegenden Weiler, zu denen Oberbottigen gehörte. Da Bümpliz und diese Weiler schon seit der Reformation eine Kirchgemeinde waren, wurden sie 1832 auch zu einer Einwohnergemeinde. 

Entfremdung durch Industrialisierung

«Die Industrialisierung brachte starke Veränderungen», sagt der Pfarrer, «viele Arbeiter kamen nach Bümpliz, es entstanden Arbeiterquartiere und die Bevölkerung wuchs rasant. Das führte zu einer Entfremdung zwischen der Bevölkerung von Bümpliz und derjenigen im ländlichen Gemeindegebiet.» Dass die Oberbottiger trotz ihrer Zugehörigkeit zur Kirchgemeinde Bümpliz ein Kirchgemeindehaus bauten, das aussah wie eine Kirche und später tatsächlich auch eine wurde, ist wohl ein Indiz für die gewünschte Eigenständigkeit fern von städtischen Verhältnissen. Durch die Eingemeindung von Bümpliz in die Stadt im Jahr 1919 wurde auch Oberbottigen zu einem Teil der Stadt. Diese Fusion war  keine Liebesheirat; es war ein Zweckbündnis, weil Bern Landreserven wollte und Bümpliz tief verschuldet war. Die unterschiedliche Entwicklung der Gemeindeteile Bümpliz und Oberbottigen hielt an, wofür Ramseier mehrere Gründe nennt: «Bümpliz war näher an der Stadt und erhielt viel früher als Riedbach einen Bahnhof. Ein wesentlicher Grund war auch, dass die Bümplizer Politiker wollten, dass die Gemeinde wächst, dass gebaut wird.» 

Keine intensive Bautätigkeit wegen fehlendem Wassernetz

Der entscheidende Faktor zur geringen Bautätigkeit im ländlichen Teil sei jedoch ein anderer, sagt Ramseier: «Bis 1970 gab es hier kein Wassernetz. Bis dahin konnte nur bauen, wer eine
eigene Quelle oder vertragliche Wasserrechte besass.» Da die bereits ansässige Bevölkerung über genügend eigenes Wasser verfügte, gab es kaum Interesse an einer gemeinsamen Wasserversorgung. Der fehlende Anschluss an ein Wassernetz hatte weitreichende Konsequenzen; eine davon ist die, dass Oberbottigen vor intensiver Bautätigkeit verschont blieb. Kaum war die Wasserversorgung realisiert, entstanden mehrere Siedlungen und Stefan Ramseier vermutet, dass mit einem früheren Wasseranschluss viel mehr Land überbaut worden wäre. 

Ruhe, aber auch wenig Leben

Die vergangenen Jahrzehnte waren stark geprägt von politischen und juristischen Auseinandersetzungen um die weitere Entwicklung von Oberbottigen. Es kamen zwar neue Siedlungen hinzu, mehrere Weiler verbleiben jedoch in der Landwirtschaftszone und weitere Gebiete wurden mit Bauverboten belegt. Die rund 1400 Menschen in Oberbottigen haben viel Platz und das wird so bleiben. Weil auch seitens der städtischen Behörden kein Interesse an der Zersiedelung dieses intakten Landschaftsraums besteht. Stefan Ramseier ist optimistisch, weist jedoch auch auf Nachteile hin: «Es gibt ein Beizensterben und ein Lädelisterben, wir müssen unsere Bedürfnisse ausserhalb des Dorfes abdecken. Das ist der Preis für ländliches, unberührtes Wohnen in Stadtnähe.»

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