Auf der Weide grasen Schafe, Ziegen und Rinder, im Stall dösen Schweine und gackern Hühner: Ja, das Institut für Virologie und Immunologie IVI, Referenzlabor des Bundes für die Diagnose, Überwachung und Kontrolle hochansteckender Tierseuchen, gilt offiziell auch als Landwirtschaftsbetrieb. Doch auf diesem Betrieb in Mittelhäusern werden die Kühe nicht gemolken – stattdessen entnimmt man ihnen und den anderen Tieren regelmässig Blut. Insbesondere ihre weissen Blutkörperchen dienen nebenan, im Labortrakt, der Erforschung hochansteckender Tierseuchen und Zoonosen.
Acht Versuchstierarten
«Der Grossteil der Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit Viren im Tier wird mit Primärzellen gemacht, die wir aus dem Blut gewinnen», erklärt Dr. med. vet. Nicolas Ruggli. Der Tierarzt und Virologe ist auch Tierschutzverantwortlicher am IVI und als solcher zuständig für sämtliche Tierversuche, die hier durchgeführt werden. Wenn man sich nun Schimpansen oder Beagles mit Hirnimplantaten vorstellt, kann man aufatmen – am IVI kommt nichts dergleichen vor. Das Gros der Versuche sind die erwähnten Blutentnahmen, die als Tierversuch Schweregrad 0 gelten. Sie unterstehen, wie alle Versuche, strengen Kriterien und müssen in einem langwierigen Prozess bewilligt werden. Nebst den «Bauernhoftieren» leben am IVI mit Kaninchen, Meerschweinchen und Mäusen auch Versuchstiere im Labortrakt mit den Hochsicherheitslabors. Um sämtliche acht Tierarten kümmert sich ein Team von sechs Tierpflegenden.
Für das übergeordnete Gute
Wer Tierpflegerin oder Tierpfleger EFZ werden will, muss sich für eine der drei Fachrichtungen Heimtiere, Wildtiere oder Versuchstiere entscheiden. Am IVI, das international renommierte Forschung betreibt und im Bundesauftrag arbeitet, spielen die Tierpflegenden eine wichtige Rolle. Denn, so betont Nicolas Ruggli: «Das Tierwohl ist bei uns oberstes Gebot.» Dies mag im Zusammenhang mit Tierversuchen erstaunen, denn auch am Forschungsplatz in Mittelhäusern gibt es mehr als nur Blutentnahmen, auch Versuche bis zum höchsten Schweregrad 3. Wichtig ist Ruggli und seinem Team deshalb, das «Warum» zu kennen. Denn wenn Forschende hier Viren oder Impfstoffe an den Schweinen oder Hühnern testen, dann aus diesem Grund: Krankheiten wie die Afrikanische Schweinepest oder die Vogelgrippe bedrohen die Gesundheit und das Leben von Tausenden Tieren in Landwirtschaftsbetrieben, in Tierparks oder in der Wildnis. «Ja, wir müssen manchmal Tiere krank werden lassen. Das schafft man nur dann, wenn man versteht, dass dies schlussendlich zu etwas Gutem führt», fasst es Ruggli zusammen. Tatsächlich kamen aus den IVI-Laboren schon einige Erfolge, die aufhorchen lassen. So konnten Zootiere in Bern und Basel dank einem am IVI entwickelten Vogelgrippe-Impfstoff den vergangenen Winter unbeschadet draussen verbringen, während viele ihrer Artgenossen in anderen Zoos, aufgrund der Ansteckungsgefahr, wochenlang in Ställen ausharren mussten. «Wenn wir Tierpflegende den Sinn hinter einem Versuch sehen, dann leisten wir auch gern gute Arbeit», betont der Veterinär.
Mehr als Mindeststandards
Tatsächlich gibt sich das Team nicht mit Mindeststandards zufrieden. Regelmässig können sie mit kreativen Ansätzen die Lebensbedingungen der ihnen anvertrauten Lebewesen verbessern. So durften Hühner zum Beispiel für gewisse Versuche für kurze Zeit in Käfigen auf Gitterrost gehalten werden. Dies vor allem aus hygienischen Gründen, weil mit hochansteckenden Viren gearbeitet wurde. «Wir hinterfragten dies jedoch und realisierten bessere Lösungen», erzählt Ruggli. Stroh etwa kann autoklaviert, also sterilisiert werden. Sitzstangen können anstatt aus Holz auch aus Kunststoff und damit desinfizierbar sein. Eine Gruppenhaltung in einem mit Stroh ausgelegten und mit Sitzstangen ausgestatteten grösseren Gehege wurde somit auch für Infektionsversuche möglich – den höheren Arbeitsaufwand nehmen die Pflegenden und Versuchsleitenden gerne auf sich. Schöner Nebeneffekt: «Je natürlicher sich die Tiere verhalten, umso besser lassen sich die Krankheitssymptome beobachten.» Virologinnen und Virologen dürfen Tierversuche gemäss Gesetz erst dann in Betracht ziehen, wenn sich ihre wissenschaftliche Fragestellung nicht anders, zum Beispiel anhand von Zellkulturen, beantworten lässt und wenn keine Kollegen andernorts schon entsprechende Resultate veröffentlicht haben. Es darf kein Tier zu viel eingeplant werden, egal, ob es sich um ein Kaninchen oder um eine Maus handelt. Erkrankt ein Tier im Versuch stark, wird der Versuch nach genau vordefinierten Kriterien abgebrochen und das Tier euthanasiert.
Lernende willkommen
Die Ausbildung zur Tierpflegerin oder zum Tierpfleger dauert bei allen Fachrichtungen drei Jahre. Bei den Versuchstieren ist der Umgang mit Mäusen und Ratten Teil des obligatorischen Curriculums. Hier gehört auch ihre Tötung zum Prüfungsstoff. Die Lernenden wählen weiter entweder Kaninchen oder Meerschweinchen aus sowie eine zusätzliche Tierart. In Universitäts- oder Pharmalaboren komme es häufig vor, dass fast ausschliesslich mit Mäusen und Ratten gearbeitet wird. «Mit acht Tierarten bieten wir eine breite Palette und somit einen abwechslungsreichen Berufsalltag», macht Ruggli Werbung für seinen Betrieb. Das Team ist sowohl im Hochsicherheitsbereich wie auch draussen oder in den Stallungen tätig. Je nach Einsatzort ist eine Quarantänezeit einzuhalten. Zudem muss «hinein- oder hinausgeduscht» werden. «Wer die Arbeit in der Tierpflege bei uns kennenlernen möchte, kann sich für Schnuppertage melden», sagt er. Nächsten Sommer möchte er eine Lernende oder einen Lernenden am IVI willkommen heissen. Und sie oder ihn im Team haben, wenn es gilt, sich trotz der Realität von Krankheiten und Impf-Versuchen gut um die Mäuse, Schafe oder Rinder zu kümmern – denn hier können gerade die Tierpflegenden den entscheidenden Unterschied machen.