Zufällig getroffen

«Ich habe die Liebe zur Natur entdeckt»

Thomas Bornhauser
Ruedi Schneeberger: Trotz Befürchtungen um den Neubau ein aufgestellter Zeitgenosse.

Foto: BO

Einfach erklärt
Ruedi Schneeberger wohnt in seinem ehemaligen Elternhaus am Asylweg in Bethlehem. Er war Elektroingenieur, interessiert sich aber schon lange für Vögel und Botanik. 
Wie sich bei unserem Gespräch herausstellt, wohnt Ruedi Schneeberger (75) heute im gleichen Haus wie als Kind. Am Asylweg. Nur eben – einiges hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Zu Beginn der 50er-Jahre befand sich der Stadtrand von Bern noch ungefähr einen Kilometer entfernt, bis die grossen Überbauungen im Westen von Bern realisiert wurden, als letztes Beispiel Bern-Brünnen.

Wir stören Ruedi Schneeberger gerade beim Zeitungslesen. Er erklärt sich dennoch bereit, sich dabei unterbrechen zu lassen.

Ruedi Schneeberger, was ist denn heute so zu lesen?
Nicht viel Positives, leider. Irgendwie kommt man nicht um den Eindruck herum, dass die Welt aus den Fugen gerät. Denken Sie nur an Blatten, um in der Schweiz zu bleiben. Die Natur ist stärker als wir, so sollten wir zu ihr Sorge tragen. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke…

Denken Sie ruhig darüber nach.
(Mit einem Seufzer) Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Bruder in einem abgeernteten Weizenfeld nahe unserem Haus Wellensittiche eingefangen habe, welche von zuhause ausgebüxt waren. Diese Zeit wird nie mehr kommen, die Unbeschwertheit jener Tage, ohne weltumspannende Nachrichten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ich beneide die heutige Generation nicht, die mehr mit anderem, als mit sich selber beschäftigt ist. Meine Kindheit hat mich geprägt.

 Inwiefern?
Als Elektroingenieur habe ich zum Ausgleich meine Liebe zur Natur entdeckt, vor allem zur Ornithologie und Botanik. Zwei Beispiele: Von bisher 58 im Garten beobachteten Vogelarten brütet hier dieses Jahr die 21. Art! Es sind zwei Ringeltauben. Ich hoffe sehr, dass die Brut ohne Probleme in den Alltag fliegen kann. In diesem Garten findet sich eine grosse Biodiversität, nebst vielen vorkommenden Tierarten wachsen ungefähr 500 Arten von Pflanzen. Ein kleiner botanischer Garten, in dem ich mich glücklich fühle.

Und diese Begeisterung teilen Sie mit anderen Leuten?
Ich habe sie vor allem mit meiner Frau geteilt, die vor sieben Jahren gestorben ist. Für das Floreninventar Bern FLIB haben wir während vier Jahren in unserem Quadratkilometer ungefähr 680 wilde Pflanzenarten kartiert. Auch heute engagiere ich mich nach wie vor für die Natur und kartiere auf Wanderungen seltene Pflanzen. Bis vor kurzem hat mich meine kleine und treue Hundedame Ivy dabei begleitet.

Kartieren?
Ja, Koordinaten, wo sie wachsen aufnehmen, nachweisen, wenn Sie so wollen, von 2012 bis 2016. Ich bin jetzt gespannt, ob dieses von der Stadt angeregte Werk einmal erscheinen wird (schmunzelt). Nichtsdestotrotz: Die Natur bleibt für mich wichtig, ich bin in verschiedenen Vereinen im Vorstand tätig, unter anderem bei der Bernischen Botanischen Gesellschaft und von Pro Flora für den botanischen Garten.

Apropos Stadt. Der noch nicht veröffentlichte Floren-Atlas ist nicht der einzige Schnittpunkt mit der Stadt, der Sie nicht so ganz zufriedenstellt.
Ja, das ist so. Leider. Wie ich zu Beginn gesagt habe: Ich wohne jetzt wieder im ehemaligen Elternhaus am Asylweg. Wie bekannt ist, bekomme ich eine gros-
se Überbauung quasi vor die Türe gestellt, die mich regelrecht bedroht und einsargen wird.

Wie ist das zu verstehen?
Mit der neuen Überbauung verliere ich viel Sonnenlicht, der Schattenwurf trifft mich extrem.

 Haben Sie nicht interveniert?
(Energisch) Oh doch, das habe ich! Ich habe zum Beispiel nicht verstanden, weshalb mir seitens der Stadt keine Einsicht gegeben wurde, inwieweit meine Stellungnahmen in der Mitwirkung zu diversen Dokumenten und Planungsgrundlagen berücksichtigt wurden, da mich das als nicht direkt involvierter Eigentümer gegenwärtig nichts angehe. Ich bin aber direkt betroffen und habe mich auch engagiert in der Mitwirkung. Auch wurde ein umfangreicher Umweltbericht – 93 Seiten – einer Basler Firma erstellt, der einige seltsame Passagen enthält. Man verwechselt Ost mit West, verniedlicht den Schattenwurf während des ganzen Vormittags, erwähnt kleinere Gebäudehöhen, welche in Wirklichkeit nach der Abstufung höher sind und durch minimierte Baulinien zum bedrohlichen Gegenüber werden. Der Bericht geht auch auf die Umwelt ein, in Sachen Botanik teils nicht korrekt.
Mir ginge es eigentlich nur darum, das gegenüberliegende Gebäude fünf, sechs Meter nach Norden zu verschieben, damit ich weiterhin auch vormittags die Sonnenstrahlen geniessen kann.

 Es ist ja eine Migros-Überbauung, mit Geschäften und Wohnungen. Keinen Groll auf die Migros?
Nein, überhaupt nicht, ich hatte stets ein gutnachbarliches Verhältnis. Und, herausragend: das Migros-Restaurant Bethlehem hat sich über Jahre hinweg grossartig verhalten. Meine Mutter war über mehrere Jahre nicht mehr in der Lage, einen normalen Alltag zu führen. Mitarbeitende haben ihr täglich das jeweilige Tagesmenü «über die Strasse» nach Hause gebracht. Was für eine soziale Einstellung!

Überhaupt scheinen Sie mit Ihrem Anliegen um etwas mehr Sonnenschein nicht auf Provokation zu gehen.
Bewusst nicht, das bringt niemandem etwas. Besser wäre, Optimierungen des Projekts gemeinsam anzugehen.

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