Die Mediensituation im Grossraum Bern

Gratiszeitungen übernehmen gratis Verantwortung

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Aus dem Blätterwald bleiben nur noch ein paar Blätterbäume.

Foto: SJ

Einfach erklärt
In Bern gibt es immer weniger Medien. Damit die Vielfalt bleibt, werden Gratiszeitungen immer wichtiger. Doch diese erhalten keinerlei Unterstützung. Sie gilt es zusehends zu schützen, damit die Medienvielfalt nicht stirbt.
Digitale Angebote schiessen aus dem Berner Kopfsteinpflaster wie Neophyten, Radios beträufeln ihre Zuhörerschaft mit Informationen und Unterhaltung, abonnierte Zeitungen füttern Einheitsbrei, andere sehen sich als Moralapostel und Analytiker des Weltgeschehens. Die Medienlandschaft im Grossraum Bern hat in den vergangenen Monaten viel Bewegung erfahren. Der Versuch einer Auslegeordnung.

Der Anzeiger der Stadt Bern: Einst Lieferant für 17 Gemeinden, heute noch für eine einzige. Dafür neu im Kleid einer Gratiszeitung und immer noch mit demselben Namen? Das ist der Versuch, ein totgeglaubtes Blatt nach vielen Jahren mit roten Zahlen am Leben zu erhalten. Ob das gelingen mag und wo sich der neue Anzeiger zwischen den tradi-
tionsreichen Regionalzeitungen BümplizWochen, Könizer Zeitung, Der Sensetaler, Anzeiger für das Nordquartier, Bantiger Post oder Bärner Bär genau positionieren will, bleibt derzeit gänzlich offen. Klar ist, dass all diese Gratiszeitungen die Medienvielfalt im Grossraum Bern am Leben erhalten. Würden nur noch Der Bund und Berner Zeitung verbleiben, es gäbe Berge von nennenswerten und wichtigen Informationen, die ungesehen abfliessen würden wie der Bach unter dem Sternensaal zu Bümpliz. Jene Gratiszeitungen, die sich ihrer zusehends wichtiger werdenden Informationsaufgabe bewusst werden, denen gehört die Zukunft. Oder sind Zeitungen letztendlich doch alte Zöpfe in einer kurzhaarigen Welt? Mitnichten. Kaum eine Studie, die nicht aufzeigt, dass die Filter der digitalen Kanäle grossmaschig sind. Halbwahrheiten, unrecherchierte Informationen oder einseitig beleuchtete finden in der schnelllebigen Bildschirmwelt leichter Zugang in die Öffentlichkeit. Die alten journalistischen Werte des «Gate Keepers», also jener Kontrollfunktion, die eine Information auf Wahrheit, Ausgewogenheit und Wichtigkeit hin überprüft, bleiben doch eher dem Print vorbehalten. Keine Regel ohne Ausnahme, wie die Hauptstadt zeigt. Qualitativ guten Journalismus gibt es auch digital, er ist aber doch eher die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Radios bewegen sich als eine Art Hybrid dazwischen. Schnelllebig, aber mit journalistischen Werten; gleichwohl aber auf das sogenannte «Infotainment» achtend, also auf einen gewissen Unterhaltungswert. Ziel von Print und Radio ist es also, unterhaltend und informativ in einem zu sein.

Bern ist die Hauptstadt der Schweiz und als solche auf eine gesunde Medienvielfalt angewiesen. Es dürfte aber «kein Bär vom Salzstein lecken», dass genau diese Vielfalt in den vergangenen Jahren stark gelitten hat. Die lokalen und regionalen Titel erhalten damit zunehmend eine zentrale Bedeutung für die Bundesstadt. Diese zu schützen, sichert Bern Vielfalt und Qualität. Wie wichtig das in Zukunft sein wird, das zeigt der Blick auf die Me-dienförderung. Während Radios und Fernsehen sowie die öffentlich-rechtlichen Stationen subventioniert werden, sind die Gratistitel wie die BümplizWochen auf sich alleine gestellt. Ihnen stehen Grossverlage und subventionierte Medien gegenüber und trotzdem übernehmen sie immer mehr Verantwortung und Informationsaufgaben. Doch mit diesen ungleich langen Spiessen noch nicht genug: Die Post verrechnet krankenkassenähnlich fortan höhere Preise für die Beförderung der Zeitungen. Selbst der Preisüberwacher kämpft gegen das Gebahren der Post – mit bescheidenem Erfolg. Es seien Werbeeinnahmen, die fehlten, heisst es meist als Begründung, wenn eine Zeitung in die Knie gezwungen wird. Das stimmt nur bedingt. Längst haben die Firmen und Institutionen wieder erkannt, dass Werbung in Zeitungen besser gesehen wird als im Universum der digitalen Angebotswelten. Längst haben die Werbekunden erkannt, dass die Glaubwürdigkeit der Zeitung auch ihrer Werbung hilft. Nein, Zeitungen gehen zusehends in die Knie, weil sie sich die Postbeförderung nicht mehr leisten können und keine Alternativen haben. Wieso nicht? Weil die meisten anderen Beförderungsbetriebe von der Post aufgekauft werden und der freie Markt für die Verlage eher eine theoretische Sache bleibt. Praktisch fehlen die Alternativen.

Man muss kein Medienexperte sein, um zu erahnen, dass unser Medienverhalten individuell unterschiedlich ist. Doch auch das braucht Medienvielfalt. Um diese in Bern zu erhalten, ist es zusehends wichtig, dass die kleinen Verlage, die den hohen Wellengang von Pandemie, steigenden Papierpreisen und Beförderungswucher der Post überlebt haben, geschätzt und geschützt werden. Längst sind es die Gratiszeitungen, die oft als Einzige und Letzte noch an jene Veranstaltungen kommen, an denen man auch mal etwas Positives berichten kann. Haarspalterei und Motzerei sind die Hobbys jener Journalisten, die vergessen haben, dass es in einem Bericht nie um die eigene Zurschaustellung von Wissen geht, sondern weitaus demütiger um das Aufbereiten einer Information, damit die Leserschaft damit etwas anfangen kann. Schutzlos und im Schatten der Grossverlage: Gratiszeitungen übernehmen gratis mehr Verantwortung.

Bümplizer
Medientipp

Eines der Rezepte, wie Sie im Stadtteil VI gut informiert bleiben: Lesen Sie monatlich gratis die BümplizWochen, hören Sie ab und an die lokalen Radiosender und bleiben Sie national mit SRF auf dem Laufenden.

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