Mit dem Coup, dass die GLP mit der SVP zusammenspannt, droht Rot-Grün ein Sitzverlust. Und plötzlich beginnt der Wahlkampf. Denn im Gemeinderat stellen sich nur Stadtpräsident Alec von Graffenried (Grüne) und Marieke Kruit (SP) zur Wiederwahl. Die anderen drei Sitze gilt es angesichts der Abgänge von Franziska Teuscher (Grüne), Michael Aebersold (SP) und Reto Nause (Mitte) zu ersetzen. Eilig müssen geeignete Kandidierende in Position gebracht werden – oder überhaupt erst gefunden werden. Wie reagieren die Linken auf die breite bürgerliche Listenverbindung?
Die SP ist gefordert
Bis 2016 gab es kein Vorbeikommen an den Sozialdemokraten. Erst von Graffenried gelang es, die Vormachtstellung zu durchbrechen und zum «Stapi» gewählt zu werden. Ob Kruit nun den Angriff aufs Präsidium wagt oder sich einfach «nur» zur Wiederwahl stellt, ist noch nicht ganz sicher. Viel wahrscheinlicher ist es hingegen, dass Nationalrat Matthias Aebischer (SP) für einen Sitz im Gemeinderat antreten wird. Der gebürtige Schwarzenburger wird wegen Amtszeitbeschränkung nach der aktuellen Legislatur im Nationalrat nicht mehr antreten dürfen. Ob er lediglich für die Exekutive kandidiert oder von der Parteispitze gar ermutigt wird, gleich für das Präsidium anzutreten? Die Generalversammlung vom 25. März wird Licht ins rote Kandidierendenkarussell bringen. Klar ist, einige gewichtige Absagen gab es schon. Die SP ist gefordert.
Anderegg für Teuscher
Die Grünen sind ebenfalls in den Fokus der Medien geraten. Nathalie Imboden, Aline Trede; grosse Namen kursierten rund um ihre Nominationen. Doch es kam anders. Nominiert wird Ursina Anderegg (Grüne). Die 43-jährige Stadträtin ist keine zweite Wahl hinter den grossen Namen. Im Gegenteil. Sie hat sich in den vergangenen Jahren als dossiersichere und pointierte Politikerin einen Namen gemacht. Sie soll für das Grüne Bündnis den Sitz im Gemeinderat halten können. Ob SP oder Grüne, die Linken können mit einem klaren Mehrheitsverhältnis von 4:1 regieren. Doch so gross das Gefälle oft beschrieben wird, ist es eben gar nicht. Egal ob man von Frauenkappelen oder der Stadt Bern schreibt: Der Gemeinderat ist eine Exekutive und von Natur aus wie ein Bundesrat auf das Kollegialitätsprinzip angewiesen.
Wer GLP wählt, wählt SVP?
Einzig Reto Nause weiss, ob das Kollegialitätsprinzip trotz oder gerade wegen der linken Vormachtstellung in den vergangenen Jahren gut funktioniert hat. Doch für die Bürgerlichen ist klar: Es gibt einige Punkte, die in der vergangenen Legislatur zu kurz kamen, insbesondere die Wirtschaft, die Sorgfalt gegenüber den KMUs oder aber der Abbau des Schuldenbergs. Wobei genau solche Fomulierungen bei Anderegg nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Sie verweist auf die zahlreichen Jahresgewinne der letzten Jahre und auf die gut gefüllten Töpfe der Spezialfinanzierungen, die Bürgerlichen hingegen zeigen auf die Schuldenlast, die mit den anstehenden Investitionen noch ansteigen wird. Beide Themen, welche die Bürgerlichen wieder vermehrt in die Regierung bringen wollen, sind auch der GLP auf den Leib geschneidert. Ist das also der Grund, weshalb sich die Grünliberalen auf eine Liste mit der SVP setzen lassen? Nicht nur. Schaut man auf das Wahlergebnis im letzten Herbst, sicherte sich die Partei 13,8 % der Stimmen. Sie wäre damit nach den Linken die stärkste Partei. Ein Bündnis mit rechts räumt der GLP eine grosse Chance auf einen Gemeinderatssitz ein. Ein cleverer Schachzug also? Die Grünliberalen waren schon immer gut im Rechnen. Aber aus der Basis wird auch Kritik laut und eilig werden andere Rechenbeispiele gezückt. Doch an der Mitgliederversammlung Ende Januar setzte sich das «Zweckbündnis» als Argument dann doch durch. «Wer GLP wählt, wählt SVP» provozierte unlängst SP-Co-Präsidentin Lena Allensbach auf X (ehemals Twitter). Die Antwort der GLP kommt im März vermutlich mit einer schwergewichtigen Nomination für den Gemeinderat: Nationalrätin Melanie Mettler und Grossrätin Marianne Schild sollen antreten.
Das Alter als Richterspruch?
Fast würde man bei diesen gros-sen Diskussionen die Mitte, die FDP sowie die EVP und ihre Nominationen ein wenig vergessen. Die FDP hat unlängst bekannt gegeben, dass Stadträtin Florence Pärli Schmid antreten soll. Die Nomination blieb in den Medien nicht unkommentiert. Sie sei zu unerfahren und mit 33 Jahren zu jung, monieren diese. Auch Janosch Weyermann (SVP) bekam dies mit seinen 29 Jahren zu spüren. Das ist dann doch ein wenig fahl. Beide sind bestens vernetzt und haben sich in den vergangenen Jahren als aufstrebende Politiker mehr als nur einen guten Namen gemacht. Beide dürften in Zukunft noch viel von sich hören lassen. Ob jemand zu alt, zu jung oder zu idealaltrig ist, mag doch eher nebensächlich sein, angesichts dessen, dass es darum geht, die Hauptstadt der Schweiz mitzuregieren. Da sind – mit Verlaub – Qualitäten gefragt, die wenig mit dem Alter zu tun haben. Vielmehr ist es ein Zeichen von Talent und Können, wenn eine Partei junge Kandidierende portiert.
Die Wahlen vom 24. November dürften also das ganze Jahr über ein wichtiges Thema werden. Denn die Ausgangslage gestaltet sich spannend und für alle Parteien herausfordernd. Für die Bevölkerung sind das gute Vorzeichen. Sie darf beurteilen, wie gut die letzte Legislatur war und sich viel Zeit nehmen, um herauszufinden, wer zukünftig die Stadt Bern regieren soll. Für die Kandidierenden heisst das: Früh übt sich, wer gewählt werden will.