Der Regierungsrat setzt Schwerpunkte entlang einer grossen Vision

Erstaunliches statt beschauliches Bern

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Sitzend: Christine Häsler, Philippe Müller. Stehend v. l. n. r.: Christoph Neuhaus, Pierre Alain Schnegg, Astrid Bärtschi, Evi Allemann, Christoph Auer, Christoph Ammann.

Foto: Foto: zvg

Einfach erklärt
Einfach erklärt: Die Regierung vom Kanton Bern hat eine Vision. Sie will in der Medizin weltweit zu den Besten gehören. Und sie will in der Umwelt schweizweit der beste Kanton werden. Bern soll in der Schweiz immer wichtiger werden.
Weltweit führend in der Medizinaltechnik, schweizweiter Spitzenreiter in der nachhaltigen Entwicklung. Der Kanton Bern hegt grosse Pläne. Und das nicht erst seit gestern. Über die Legislaturen hinweg verfolgt die Regierung eine Vision mit dem Namen «Engagement 2030». Von 2023 bis 2026 präsentiert der Regierungsrat nun fünf Schwerpunkte.

Zürich: Grossstadt, Wirtschaftsmotor, Bankenplatz. Genf: internationaler Begegnungsort für Weltverbände, Friedensgespräche und Sinnbild der Neutralität. Basel: Hochburg der Pharmakonzerne. Und Bern? Mit etwas Glück weiss das Gegenüber aus fernen Gefilden, dass hier das Bundeshaus steht, die Landesregierung, das politische Zentrum der Schweiz. Aber fast im gleichen Atemzug beginnen bereits die lieblichen Äusserungen zur Schweizer Hauptstadt: beschaulich, gemütlich oder wie es der Zürcher Sänger Dodo besingt: «Es bitzli Feriä, es fühlt sich a wie Feriä. Ich bin en Zürimaa in Bern. Sie sind Lehrer oder schaffed bim Bund. Und irgendwie macht jede bitz Kunst. Du ghörsch es rede, ganz langsam und gmüetli; chum ich dreiä durä.»

Geeint in der Vision

Bern nimmt man im Konzert der grossen Städte nie wirklich ernst, dafür ist es ganz einfach zu sympathisch. Was aber, wenn der Regierungsrat mit seinen Leitplanken Voraussetzungen schafft, dass zwischen den Grossräumen Genf und Zürich der bernische Grossraum emporsteigt? Eine Vision, an die der Regierungsrat glaubt und die er mit verschiedenen Schwerpunkten verfolgt. Selbst wenn daran bereits seit der Legislatur 2019 bis 2022 gearbeitet wird, die Medien zeigen sich nach wie vor kritisch, wie die Pressekonferenz anfangs Jahr gezeigt hat. Der gesamte Regierungsrat trat vor die Medien und zeigte sich von der Kritik wenig beeindruckt. «Der Regierungsrat räumt dieser Entwicklung hohe Priorität ein, trotz Krisen. Für die neue Legislatur wird an diesem Konzept festgehalten. «Es zeichnet uns aus, dass wir in unseren Geschäften sachorientiert und lösungsorientiert zusammengearbeitet haben. Wir sind wortwörtlich kollegial unterwegs. Unterschiedliche Ansichten und Meinungen gibt es, aber wir haben so lange diskutiert, bis wir uns gefunden haben. Das hat die Richtlinien geprägt.» Die Präsidentin des Regierungsrats, Christine Häsler (Grüne), findet klare Worte und erntet von ihren Kolleginnen und Kollegen ein deutliches Nicken. Eine Einheit, an der die kritischen Fragen der Medien abperlen wie der Regen auf dem Fell der Bären.

Fünf Schwerpunkte

Die Vision steht, aber sie erhält in der Legislatur 2023 bis 2026 neue Richtlinien. «Fünf Schwerpunkte, basierend auf aktuellen Erkenntnissen, aber offen formuliert, um auf Veränderungen zu reagieren, also als rollende Planung gedacht», erklärt Regierungsrat Philippe Müller (FDP) eingangs und präsentiert die Entwicklungsschwerpunkte: «Der Kanton Bern steigert seine Attraktivität als Innovations- und Investitionsstandort», lautet der erste Punkt. Hin zu einer weltweiten Führungsposition in der Medizin; in enger Zusammenarbeit mit Hochschulen und Universität sowie als Innovationstreiber. «Der Kanton will die Pionierrolle ausbauen», sagt Regierungsrat Pier-re-Alain Schnegg bestimmt. «Der Kanton Bern nutzt die digitale Transformation, um wirkungsvolle, qualitativ hochstehende und effiziente Dienstleistungen zu erbringen», lautet der zweite Schwerpunkt. Ein Bereich, in dem auch dem Fachkräftemangel entgegengewirkt wird, ist sich die Regierung sicher. «Der Kanton Bern schafft Rahmenbedingungen für eine wirkungsvolle nachhaltige Entwicklung», klingt ein weiterer Schwerpunkt wiederum etwas beschaulich, ja fast schon scheu. Auf Nachfrage aber zeigt dieser Schwerpunkt ein klares Bekenntnis auf: «Wir wollen schweizweit eine führende Rolle einnehmen», betont Regierungsrat Christoph Amann (SP). Grosse Wasserbauprojekte sind lanciert, am HAFL entsteht das erste Bodenkompetenzzentrum und im Bauwesen werden die Weichen gestellt, damit der straffe Zeitplan hin zur Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden kann. «Der Kanton Bern pflegt seine Vielfalt und nutzt das Potenzial der Zweisprachigkeit», klingt dann der vierte Schwerpunkt schon fast ein wenig nebensächlich. Vielmehr ist er aber ein Bekenntnis zur Sprachminderheit der 10% Französischsprachigen. Der Regierungsrat will die Brücken zwischen der Romandie und der Deutschschweiz schlagen und die Zweisprachigkeit fördern.

Sympathisch und erfolgreich

Dass man das bernisch Beschauliche, das sympathisch Entspannte nicht vor lauter ambitionierter Ziele in die Aare wirft, das verdeutlicht der fünfte Schwerpunkt: «Der Kanton Bern fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die öffentliche Sicherheit und die Integration.» Die Vision, die Schwerpunkte, das alles klingt gut und lässt sich zustimmend verkaufen. Dass es der Regierung ernst ist, daran zweifeln nur noch wenige. Erstmals in der langen Geschichte der Berner Regierung gibt es nämlich eine Vision, die über die Legislaturen hinweg verfolgt wird. Und nun folgt der Beweis, denn trotz Krisen verfolgt er das «Engagment 2030» eisern weiter. Ein Grossraum Bern zwischen den anderen in der Schweiz wird schliesslich nicht in ein paar Jahren erbaut.

Und es gibt Schützenhilfe von der Freiburger Seite. «Um gegen Zürich und Co. zu bestehen, müssen wir zusammenarbeiten. Wir müssen die Kantonsgrenzen vergessen, denn eine starke Region Bern ist mit nationalem Blick wichtig», sagte unlängst der Freiburger Grossrat Nicolas Bürgisser (FDP) in einer Rede im Gantrischgebiet. Grossräume sind auch in Genf oder in Zürich kantonsübergreifend; in Bern stehen die Zeichen gut, dass dies ebenfalls gelingen kann. Da dürfte der Brückenbauerfunktion über den Sensegraben hinweg eine weitere wichtige Bedeutung zukommen. «Engagement 2030» ist also nicht mehr und nicht weniger als der Weg hin zu einem Grossraum Bern, der noch mehr bietet als das politische Aufgabenfeld. Vom beschaulichen zum erstaunlichen Bern.

 

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