Feuilleton

Eine Flugzeuglandung gilt dann als geglückt, wenn…

Thomas Bornhauser
Die berühmte Karlsbrücke in Prag.

Foto: BO

Einfach erklärt
Thomas Bornhauser erzählt von einem aussergewöhnlichen Flugerlebnis. Dabei wird er unfreiwillig zum Flugexperten. Zumindest sieht das sein Sitznachbar so. Dieser hat ziemlich viel Angst.
«Mir scheint, wir fliegen viel zu tief», bekommt mein Nachbar am Fenster nach dem Abflug in Prag zu hören. «Wie wollen Sie das wissen?» – «Wissen tue ich es natürlich nicht, es scheint mir einfach so, nach zehn Minuten Flug.» – «Wenn Sie es schon nicht wissen, dann hören Sie bitte auf, anderen Leuten womöglich Angst zu machen. Halten Sie doch einfach den Mund!» Also shute ich up.

Ungefähr 30 Sekunden später meldet sich der Flugkapitän: «Meine Damen und Herren, wir haben ein technisches Problem, das vermutlich unsere Umkehr nach Prag notwendig machen wird. Wir gehen im Cockpit die Checkliste durch, melden uns wieder. Wir wissen aber bereits jetzt, dass es nichts Gravierendes sein kann.» 

Ein Provo

Vermutlich muss ich einen leicht triumphierenden Ausdruck auf dem Gesicht haben, wie ich meinen Nachbarn anschaue und ihm, ganz Agent provocateur, der ich sein kann, das bekannte «V»-Zeichen mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zeige. Und der will natürlich vom Fachmann wissen, wo der technische Defekt zu suchen ist. Wie soll ich das wissen? «Weshalb Ihre Vermutung, dass wir zu tief fliegen?» «Mir fiel auf, dass der Pilot den Steigflug sehr früh abgebrochen hat und dann das Flugzeug in der Horizontalem hat weiterfliegen lassen.»

Der Nachbar, ein Endfünfziger aus Tschechien, scheint verunsichert, leicht nervös. Ich kann ihn beruhigen: «Alles ist in modernen Flugzeugen doppelt und dreifach gesichert. Sobald eine Lampe aufleuchtet, gibt es Vorschriften zum Sicherheitscheck, deshalb musste das Cockpit vermutlich sofort den Steigflug abbrechen.» Es sind gute Fragen, die mein Nachbar umgehend stellt, womit ich zu einer Art Vertrauensperson mutiere, und das nur Minuten nach seinem blöden Misstrauensvotum. Ich erkläre ihm, dass, sollten wir die Maschine wechseln müssen, dieses auf der Heimbasis für die Airline einfacher ist als im Ausland. «Sollte sich der Defekt nicht schnell beheben lassen, können wir womöglich in eine Ersatzmaschine gleichen Typs und Platzangebots umsteigen, ohne dass wir wegen einer anderen Sitzordnung neu einchecken müssen.»

Das ganze Rösslispiel

Einige Minuten danach spricht der Pilot zu seinen Schäfchen, es ist mucksmäuschenstill. In der Zwischenzeit wäre mir auch nicht aufgefallen, dass jemand das Vaterunser gebetet hätte. Etwas klemmt bei den Landeklappen. Die Technik zwingt zur Umkehr. Mein Nachbar schaut ängstlich zu mir rüber. «Easy, die Kiste landet auch so, einfach nicht ganz so langsam und so gemütlich wie üblich.» Das bestätigt Kollega Captain Augenblicke später. Wir werden mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit aufsetzen und vermutlich die ganze Länge der Landebahn beanspruchen. «Und keine Panik, wenn Sie plötzlich Feuerwehr, Löschfahrzeuge und Krankenwagen sehen, das ist Routine. Standard, sozusagen grosser Zapfenstreich, wenn es eine unvorhergesehene Landung gibt. Das bringt mehr als eine normale Übung, deshalb das ganze Rösslispiel.» Die Zusätze «Leichenwagen» und «Crash» bei der Landung verklemme ich mir. Übrigens: Alle Leute geben sich weiterhin bemerkenswert cool, nirgends scheint Panik (es folgt eine wunderbare Wortspielerei) im Anflug, einzig dumme Witze sind zu hören.

Minuten später setzt das Flugi mit einem Affenzahn auf der Landebahn auf. Kaum haben die Räder den Boden berührt, beginnt eine Art Schnellbremsung des Flugzeugs, welche die Passagiere anständig in ihre Gurten nach vorne drückt. Als die Maschine zum Stillstand kommt, ungefähr 100 Meter vor Ende der Piste, gibt es spontanen Szenenapplaus aus dem Publikum, nur die Gurte verhindern eine Standing Ovation, mir kommt dabei die folgende Feststellung in den Sinn: «Eine Flugzeuglandung gilt dann als geglückt, wenn noch sämtliche Flugzeugteile, Koffer und Passagiere noch innerhalb der Flughafenumzäunung zu finden sind.»

Murphy’s Law

Einige Minuten später sind wir an der Andockstation. Der Pilot meldet sich, erklärt den weiteren Verlauf und meldet, dass jetzt auch noch der Andocktunnel defekt ist und das Jetty nicht ans Flugzeug angefahren werden kann, weshalb die Passagiere die Maschine hinten durch den Notausstieg verlassen müssen (nicht mit der Notrutsche zu verwechseln). Aber auch das dauert seine Zeit, weil «im Moment nicht genügend Bodenpersonal anwesend ist, um uns Passagiere zum Gate zu begleiten.» 

Dann aber geht es echt ruckzuck, keine Stunde später sitzen wir in einer Ersatzmaschine gleichen Typs, bereit für den Rückflug nach Zürich. Das Flugzeug wird zurückgestossen, in Richtung Morast neben der Piste… Ob das Cockpit wohl einen Rückspiegel hat? Hat es offenbar – oder der Pilot ein gutes Gespür. Wenige Minuten später sind wir wieder in der Luft.

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