Die Geschichte eines Syrers in der Schweiz

Ein stolzer Weg, trotz grosser Hürden

Peter Widmer
Siamend Khoder ist seit zehn Jahren in der Schweiz.

Foto: Fotos: PW

Einfach erklärt
Einfach erklärt: Siamend Khoder flüchtete 2013 vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Schweiz. Heute ist er Geschäftsführer im Coop Bern Brunnmatt und Vorgesetzter von 25 Mitarbeitenden. Er lernte rasch Deutsch und spricht heute gut Berndeutsch. Er möchte sich weiterbilden und eine eigene Familie in der Schweiz gründen.
Er wollte in Syrien Medizin studieren, stattdessen hätte er in den Krieg ziehen müssen. Das konnte Siamend Khoder mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. 2013 flüchtete er in die Schweiz. Heute ist er Geschäftsführer im Coop Bern Brunnmatt.

Er ist einer, der es geschafft hat: Der heute 29-jährige Siamend Khoder ist seit Oktober 2022 Geschäftsführer des Coop-Supermarktes Brunnmatt in Bern und Vorgesetzter von 25 Mitarbeitenden. Aber so einfach und «stromlinienförmig» verlief seine Berufskarriere nicht. Nach Abschluss des Gymnasiums 2013 wollte der damals 19-Jährige ein Medizinstudium in seinem Heimatland Syrien in Angriff nehmen. Daraus wurde aber nichts, der Staat verlangte von ihm Dienst in der Armee. Der Bürgerkrieg in Syrien wütete damals seit zwei Jahren. «Das bedeutete für mich: Krieg, entweder töte ich Menschen oder ich werde selbst getötet», erzählt Siamend Khoder. Er sah keine andere Möglichkeit als die Flucht nach Europa. 

Flucht dauerte drei Monate

Alles ging sehr schnell, Khoder und einige Bekannte traten Ende August 2013 die Flucht mit Hilfe von Schlepperorganisationen an. Im Gegensatz zu seinen Eltern, für die es ein Schock war und die um das Leben ihres Sohnes bangten, empfand Khoder die Flucht – in seiner jugendlichen Naivität – damals erst mal als Abenteuer. Heute ist ihm bewusst, wie gefährlich diese war. Viele Menschen, die mit ihm unterwegs waren, starben. Erste Station war das Nachbarland Türkei, wo er rund eineinhalb Monate blieb. Danach gings weiter nach Griechenland, «im Gummiboot übers Mittelmeer», erinnert er sich. Nach einem weiteren Monat wurde er in einem Lastwagen auf dem Landweg nach Italien gebracht und gelangte schliesslich Ende November 2013 in die Schweiz. Khoder trug lediglich seine Kleidung und seinen Pass auf sich. Da sein älterer Bruder seit 23 Jahren in Biel lebt und arbeitet, war die Schweiz für Khoder Zielland Nummer eins, obwohl er nicht viel wusste über seine neue Heimat. 

Nach behördlichem Verteilschlüssel wurde Khoder ins Asylaufnahmezentrum in den Kanton Glarus gebracht, wo er später mit fünf weiteren Geflüchteten in einer Wohnung lebte. An diese Zeit des Wartens erinnert sich Khoder heute nur ungern. Dann, nach eineinhalb Jahren, konnte er durch die Hilfe eines Anwalts zu seinen Eltern nach Herrenschwanden ziehen, die zwischenzeitlich – dank seines Bruders ganz legal – in die Schweiz einreisen durften. Die Odyssee von Siamend Khoder fand damit ein Ende.

Rasch Deutsch gelernt

Die ersten Wochen und Monate in der Schweiz waren schwierig, konnte sich Khoder doch nur auf Englisch verständigen. Es war ihm schnell klar, dass er möglichst rasch Deutsch lernen musste. So besuchte er unter anderem an der BFF Kompetenz Bildung Bern Intensivsprachkurse und schloss erfolgreich mit Deutsch, Stufe B1, ab. Kein Zweifel, Khoder ist sprachbegabt und hat eine rasche Auffassungsgabe, so dass er sich heute mühelos auf Hochdeutsch und in Dialekt verständigen kann, wenn es um (anspruchsvollere) alltägliche Dinge aus Arbeit, Schule, Gesellschaft und Freizeit geht. «Das Beherrschen der Sprache ist das A und O, um möglichst rasch Fuss fassen zu können in einem Gastland», ist Khoder überzeugt. 

Hat er sich auch überlegt, in der Schweiz das geplante Medizin-studium weiterzuverfolgen? «Davon habe ich bald abgesehen, weil syrische Diplome hier nicht anerkannt sind und die Sprachkenntnisse für dieses Studium nicht gereicht hätten. Da bin ich nicht blauäugig», antwortet er realistisch. Es war für ihn klar, dass er einen Beruf ergreifen wollte, wo er in regem Kontakt mit Menschen steht, «denn dadurch kann ich die Sprache am besten vervollständigen», sagt er weitsichtig. 

Ganz anders als in Syrien

Als Khoder in die Schweiz kam, war er überwältigt vom riesigen, schier unbegrenzten Warenangebot in den Grossverteilern, die ganz anders war, als er es sich von seiner Heimat gewohnt war. Denn dort besteht eine Vielzahl kleiner Läden, wo es jeweils eine Ware zum Verkauf hat. So kauft man an einem Ort Brot, beim anderen das Gemüse, und in einem weiteren Gewürze oder Milchprodukte. «Alles auf einer Verkaufsfläche zu finden, war für mich damals fremd», erklärt er. Durch die Vermittlung seines Bruders, der auch für Coop in Biel tätig ist, schnupperte er im Coop Bern Bethlehem, bewarb sich und erklärte gleich beim Vorstellungsgespräch, dass er dereinst Geschäftsführer werden möchte. Klare Ansage. Nach der Vorlehre absolvierte er erfolgreich die dreijährige Lehre als Detailhandelsfachmann. Und schon hat er ein nächstes klares Ziel: Die Weiterbildung zum Detailhandelsspezialisten mit eidgenössischem Fachausweis.

Seit kurzem besitzt Siamend Khoder die Niederlassungsbewilligung C, womit er sich unbegrenzt und ohne Einschränkungen in der Schweiz aufhalten kann. «Ich bin dankbar, dass ich hier eine berufliche und private Chance erhalten habe», fasst er zusammen. Khoder wusste, diese zu packen, und das hat viel zu seiner Integration beigetragen.

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