Zum Gedenken an Irène Marti Anliker (SP) – einer Politikerin mit Herz

Dort, wo der Himmel noch genug Platz hat

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Irène Marti Anliker.

Foto: Foto: zvg

Einfach erklärt
Einfach erklärt: Im Alter von 65 Jahren ist Irène Marti Anliker nach schwerer Krankheit verstorben. Die ehemalige Co-Präsidentin der SP Kanton Bern hat vorgelebt, was sie in der Politik forderte. Vor allem Gleichstellung.
Es gibt Politikerinnen, die laut sind, Politiker, die viel reden, aber auch Politisierende, die viel bewegen. Eine davon war Irène Marti Anliker (SP). «Sie hat Politik gemacht, weil sie etwas verändern wollte», sagt ihr Ehemann «Pan» Anliker. Genau das wird den schmerzlichen Verlust der ehemaligen SP-Co-Kantonspräsidentin überdauern: Eine Vielzahl an heutigen Errungenschaften, denen ihr Engagement zu Grunde liegt.

Am 14. Juni gehen die Frauen auf die Strasse und kämpfen auch im Jahr 2023 noch immer für eine vollständige Gleichstellung. Viele davon kannte sie bestens. Doch genau an diesem feministischen Streiktag stirbt Irène Marti Anliker nach schwerer Krankheit im Alter von 65 Jahren. 

Die Feministin

Das hat Symbolcharakter, denn sie gilt als Vorreiterin für viele Frauenanliegen. Ohne ideologische Befangenheit, sondern ganz konkret. «Für sie war klar, dass sie immer selbstständig leben wollte und nicht als Anhängsel von jemandem», erzählt ihr Ehemann. In einer Zeit, in der Frauen bald einmal zu heiraten hatten, der Mann das Geld heimträgt und die Gattin gefälligst am Herd zu stehen hat, lebte sie bereits ein anderes Familienmodell vor. Nach 40 Jahren Partnerschaft und einer Familie darf man sagen: es hat funktioniert. Und Marti weiss wovon sie spricht, wenn sie mehr Frauenrechte einfordert. «Krankenschwester» lautete damals noch ihre Berufsbezeichnung. Für sie nie nur ein Job sondern vielmehr eine sinnstiftende Arbeit. Damals galt noch das Klischee, dass sich diese «Schwestern» einen Arzt angeln und später vom Berufsumfeld verschwinden. Heute nennt man diese wertvolle Aufgabe «Pflegefachfrau» (oder Pflegefachmann) und das Klischee erinnert höchstens noch an überskizzierte Fernsehserien aus dem angelsächsischen Raum. Auch hier hat Marti viel zum Wertewandel beigetragen und ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Selbst als sie Mutter wurde. «Es war immer klar, dass wir gemeinsam zu den Kindern schauen», ergänzt «Pan» Anliker. In einer Zeit ohne Mutterschaftsversicherung und KITA, «war die Agenda mit unseren unterschiedlichen Arbeitszeiten schon sehr wichtig», erinnert sich ihr Ehemann. Und es gelang. Egal in welchem Lebensabschnitt: Marti setzte sich dafür ein, dass Frauen nicht zurückstehen müssen und im Beruf bleiben. Und sie ging stets mit gutem Beispiel voran und lebte vor, wie es funktioniert. 

Die Strategin

Ohne gestresst zu wirken oder sich damit zu brüsten sondern so selbstverständlich wie die Band «Taxi» singt: «Nime no en Campari Soda». Ein Lieblingslied der Sozialdemokratin das aufzeigt, dass sie sich gerne auch einmal treiben liess. Zeit nehmen und Zeit geben, die Wichtigkeit des eigenen Wohlbefindens – auch das lebte sie vor. Meistens. Denn es kam auch schon mal vor, dass geplante Ferien, oft in Richtung Skandinavien, noch etwas warten mussten, wenn sich plötzlich politische Erdbeben ergaben. Eines davon fand statt, kurz vor der mehrwöchigen USA-Reise. Die damalige Co-Kantonspräsidentin erfuhr ein paar Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe, dass Bundesrat Moritz Leuenberger zurücktreten will. Im Hintergrund setzte sie sich ein, dass die Berner den SP-Sitz beanspruchen durften. Auf die Medienanfragen, wer denn in Frage kommt, blieb sie staatsfrauisch zurückhaltend, brachte aber dezent und immer wieder Simonetta Sommaruga ins Spiel. Mit Erfolg, die Bümplizerin Marti verhalf der Könizerin Sommaruga zur Kandidatur. «Ja, sie war gerne strategisch im Hintergrund unterwegs und hielt oft die Fäden zusammen», verrät Anliker. Als Kantonspräsidentin gefiel ihr genau diese Aufgabe: sie konnte gestalten und wirken.

Die Junggebliebene

Dieses Talent und ihre Selbstverständlichkeit traten schon viel früher in ihrer Politkarriere zu Tage. Die Bernerin begann in der JUSO und endete einige Jahre später als Co-Präsidentin der JUSO Schweiz. Als erste Frau notabene. Die Erfahrungen nahm sie mit ins Stadtparlament, dem sie im Alter von 32 Jahren beitrat; auch das zu ihrer Zeit sehr jung. Ihren Mann lernte sie bereits in jungen Jahren dank der SP kennen. 40 Jahre lang sollte die Liebe alle politischen Aktionen überdauern. «Als wir zusammengezogen sind, waren wir in unterschiedlichen SP-Sektionen der Stadt Bern. Doch schon bald konzentrierte ich mich mehr auf die Gewerkschaftsarbeit und sie auf die Politik. Dennoch waren wir uns in den grossen Fragen stets einig und konnten unsere Werte teilen. Wenn man das kann, ist das Zusammenleben schöner», weiss der Wittwer.

Nun endet für ihn diese Zeit des Zusammenlebens und der schmerzliche Abschied wird ihm etwas gemildert, in dem ihm die Partei eine breite Anteilnahme zukommen lässt. Ein kleiner Beitrag dazu sollen auch diese Zeilen sein. Sie sollen dazu beitragen, dass Irène Marti Anliker unvergessen bleibt. Als Fridu Widmer den Text eines schwedischen Liedes übersetzte, stand da: «Dort wo der Himmel noch genug Platz hat.» Ein Satz, den Irène Marti Anliker oft zitierte. Er fasst zusammen, wofür sie einstand: Gleichstellung, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit. «Dort wo der Himmel noch genug Platz hat», dort soll der Ort sein, an dem sie für immer weiterlebt. 

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