Im Liebefeld aufgewachsen, bewegt sich Doris Keller schon seit rund 30 Jahren in der Welt des Sports, 25 Jahre davon im Fussball. «Ich habe sehr selten in der Schweiz gearbeitet», erzählt sie. Vor ihrer Ernennung zur Direktorin der UEFA Women’s EURO 2025 war sie bereits seit vielen Jahren für die UEFA und für die FIFA tätig. Sie organisierte Turniere und Spiele, zum Beispiel die U-20-Frauen-WM oder Champions League-Finalspiele.
Ausverkaufte Stadien?
Die Austragung der diesjährigen Frauen-Euro konnte die UEFA erst im April 2023 vergeben; es gab Verzögerungen, auch weil die Austragung 2022 in England wegen Covid-19 ein Jahr verspätet stattgefunden hatte. Mitte Juni 2023 fing für Keller die Arbeit an. «Zwei Jahre für die Organisation einer Europameisterschaft sind relativ sportlich», sagt sie trocken. Immerhin hätten nicht noch neue Stadien gebaut werden müssen. Dieses Mal ist die Nutzung der bestehenden Infrastruktur noch möglich, doch schon ab der nächsten Austragung wären die Schweizer Stadien zu klein. Denn das Interesse am Fussball der Frauen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die EM 2017 war noch ein Jugendturnier. 2022 besuchten bereits mehr als eine halbe Million Zuschauende die EM in England – durchschnittlich 18’544 pro Spiel. «Wir erwarten doppelt so viele Einnahmen und Ausgaben wie in England», veranschaulicht Keller die Erwartungen für diesen Sommer. Es soll die erste ausverkaufte Frauen-Europameisterschaft werden. Von den total 680’000 Tickets sind bis jetzt schon 455’000 verkauft; die Kontingente für die Spiele der Schweizer Nati sowie das Finalspiel waren jeweils innert Minuten vergriffen. Rund ein Drittel der Tickets werden ins Ausland verkauft, die meisten davon nach Deutschland und England.
Suche nach Trainingsplätzen
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Organisation eines solchen Grossevents? Das seien die «Basecamps» der Nationalmannschaften, erzählt die Hauptverantwortliche. Die Hotelinfrastruktur sei zwar gut, wenn auch oft schon ausgebucht. Aber in der Nähe brauche es einen qualitativ ausreichenden Trainingsplatz. «Oft entsprechen die Standardgrössen der Fussballplätze bei uns nicht den FIFA-Massen.» Auf Super League-Plätze könne nicht zurückgegriffen werden, weil die Saisonvorbereitung der Clubs dann schon laufe. «Wir arbeiten deshalb an der Qualität der Plätze aus dem Amateurbereich.»
Eine weitere Herausforderung sind die dezentralen Austragungsorte in verschiedenen Landesteilen. Keller erklärt, was das für ihr Team bedeutet: «Für die Sicherheit zum Beispiel gibt es keine nationale Behörde, was einen grossen Koordinationsaufwand nach sich zieht.» Das Team wächst stetig: Bis im Sommer werden mehrere hundert Personen dazugehören, dazu kommen die Freiwilligen an den Austragungsorten. Vom UEFA-Hauptsitz in Nyon aus organisieren sie die Spiele und vieles, was darum herum dazugehört: Extrazüge für die Fans, die Sicherheit, die Unterkünfte und Logistik für die Spielerinnen und den Staff, das Sponsoring und vieles mehr.
Fans: Frauen und Familien
Was ist an diesem Turnier anders als gewohnt? Die Verantwortlichen erwarten an einer Frauen-Endrunde überdurchschnittlich viele Frauen und Familien in den Zuschauerrängen. Man gehe im Gegensatz zu Männerspielen nicht davon aus, die Fans der verschiedenen Nationalmannschaften auseinanderhalten zu müssen. Auch deshalb war es Doris Keller von Anfang an wichtig, den Anlass familienfreundlich zu gestalten: «Es ist uns gelungen, dass eine vierköpfige Familie für unter hundert Franken ein Spiel besuchen kann.» Gross sind zudem die Anstrengungen der Gastgeberstädte, die Euro-Wochen auch ausserhalb der Stadien zu einer besonderen Zeit für die Bevölkerung zu machen. «Wir wünschen uns, dass viele Leute in den Sommerferien bewusst zuhause bleiben.» Es werde vielfältige Angebote um die Stadien und in den Stadtzentren geben, aber auch in den Quartieren und ausserhalb der Städte. «Es soll ein Sommerfest für die ganze Gesellschaft werden.»
«Alle wollten die Euro»
In der Zeit der letzten hundert Tage geht es vor allem noch um Feinabstimmung. «Ich glaube, wir haben bereits mehr erreicht, als man uns am Anfang zugetraut hat», sagt Keller mit spürbarer Freude. Dass der Grossanlass stattfinde, war anfänglich nur Insidern bekannt, inzwischen sei es dem Grossteil der Bevölkerung bewusst. Dies sei auch der guten Zusammenarbeit zu verdanken – was übrigens auch ein Hauptgrund für die Vergabe in die Schweiz sei. «Die Host Cities, die Verbände: Alle wollten die Euro hier haben.» Es gehe nämlich um mehr als nur ein Turnier. Alle hätten den Willen, den Frauenfussball weiterzubringen und auch ausserhalb dieser Sportart mehr Mädchen zum Sporttreiben zu animieren. Sie fasst zusammen: «Das Turnier ist ein Meilenstein einer ganzen Bewegung.» Es wird erwartet, dass die Euro den Schweizer Mädchen- und Frauenfussball rund zehn Jahre in die Zukunft katapultiert. Um den erwarteten Massen an interessierten Mädchen und Frauen gerecht zu werden, investieren Kantone, Städte und Verbände in «Legacy»-Massnahmen.
Und wie geht es für Doris Keller nach dem Turnier weiter? «Das weiss ich noch nicht. Ich lasse es auf mich zukommen. Aktuell ist die Arbeitslast noch hoch. Aber ein Turnier im eigenen Land zu organisieren ist eine einmalige Chance – und eine grosse Ehre.»