Arealentwicklung Weyermannshaus West: Wohnungsbau versus Wirtschaftsraum

Wie der wirtschaftliche Westen gezähmt wird

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
So sieht das Areal im Moment noch aus.

Foto: zvg

Einfach erklärt

Das Areal Weyermannshaus West soll entwickelt werden. Mit bis zu 1200 Wohnungen. Die momentan ortsansässigen Gewerbetreibenden müssen weichen. Dennoch winkt der Stadtrat das Projekt durch. Nun regt sich Widerstand.

Die Stadt Bern ist auf den Stadtteil VI angewiesen, um ihre Wohnungsprobleme lösen zu können. Es fehlt an Wohnungen und die städtebaulichen Entwicklungen stottern; man denke nur an das Viererfeld. Nun soll es die Arealentwicklung Weyermannshaus West richten; mit bis zu 1200 neuen Wohnungen. Der Stadtrat winkt einmal kräftig durch. Ohne Rücksicht auf Verluste.

«Es ist eine Chance für Bern, nutzen wir sie», sagte Stadtpräsidentin Marieke Kruit (SP). Sie betont im Stadtrat, wie wichtig diese Arealentwicklung sei, eine der wichtigsten überhaupt, als Schlüsselelement des Entwicklungsschwerpunkts Ausserholligen. Schon klar, irgendwo müssen die dringend benötigten Wohnungen herkommen und entwickelt hat die Stadt Bern in der jüngeren Vergangenheit wenig erfolgreich. Deshalb fällt der ganze Druck nun wie ein Presslufthammer auf Weyermannshaus West nieder. Die Stadt Bern sowie die Grundeigentümer Post und Burgergemeinde schmücken mit schönen Lettern die Informationswebseite. Da steht: «Die gesamte Arealentwicklung von Weyermannshaus West ist ein Vorzeigeprojekt in moderner Stadtplanung, die viele Interessen berücksichtigt: Vielfältiger Wohnraum, zentrumsnah, Platz für Gewerbe, Bewegungsmöglichkeiten, Vielfalt und Urbanität. Das Projekt leistet einen wichtigen Beitrag an den dringend benötigten Wohnraum in der Stadt Bern.» Die Verlierer sind die dort ansässigen Gewerbebetriebe. Für Lehrberufe, Handwerk und jahrzehntealte KMU hat es fortan keinen Platz mehr.

Es klingt nur gleich

«Stopp, Halt, stimmt so nicht», intervenieren die Durchwinker und verweisen darauf, dass im Projekt sehr wohl Gewerbe vorgesehen sei. «Zukünftig soll das Areal für tausende Menschen dringend benötigten Wohnraum bieten, für Gewerbetreibende und Dienstleister ein Arbeitsort sein und die Räume, die jetzt nicht zugänglich sind, für die Bevölkerung öffnen», heisst es auf der Webseite des Projekts weiter. Doch SVP-Stadtrat Janosch Weyermann erklärt: «Sie verkaufen es gut. Aber die Definition von Gewerbe ist eine andere. Gemeint sind stilles Gewerbe, Praxen usw., nicht aber das produzierende Gewerbe.» Podologie statt Carrosserie und PC statt LKW. Der SVP-Politiker wehrt sich im Stadtrat und zeigt auf, dass es sich hier um eine der letzten Industrie- und Gewerbezonen der Stadt Bern handelt. Erst noch in jenem Stadtteil, der die Industriegeschichte der Stadt Bern massgeblich geprägt hat. Die FDP dagegen macht eine Güterabwägung zwischen Vorwärtskommen und Kritik am Projekt. Sie entscheidet sich zugunsten von mehr Wohnraum, wie eine Mehrheit des Stadtrats.

Ein Verdrängungskampf

«Wohnungen zu bauen ist schon gut, aber andernorts werden Chancen vertan, währenddem hier zugebaut wird», gibt Weyermann weiter zu bedenken. Unweit von Weyermannshaus West errichtet die Stadt tiefe Hochhäuser, umgeben von höheren. «Hier wäre viel Potenzial», sagt nicht nur die SVP, sondern auch die SP Bümpliz Bethlehem. «Sie verhindern Wohnungen, wo man bauen könnte, und an anderen Orten wird verbaut. Die Logik habe ich noch nicht erkannt», betont der Einheimische. Nicht jede Studie, die man für teures Geld in Auftrag gibt, ist in der Lage, die Örtlichkeiten ursächlich zu verstehen und die Vernetzungen zu deuten. Das Resultat sind dann halt gutgemeinte Ideen der Theoretiker, jedoch ohne jegliche Praxistauglichkeit. Ein Beispiel: In der Überbauungsordnung Brünnen sind Gemeinschaftsräume für jedes Gebäude angedacht worden. So gross wie eine 5-Zimmer-Wohnung. Nur: Niemand will diese. Längst könnte man hier einfach zusätzliche Wohnungen bauen. Aber: Umnützen darf man nicht mehr. Der Westen von Bern sieht Möglichkeiten, um die stadtbernische Wohnungsnot zu lindern. Er bietet sogar Hand. Doch Studien gehen immer das Risiko ein, dass sie einen schweren Stand haben, wenn die Bevölkerung erst danach mit Informationsanlässen abgeholt wird.

Die Güterabwägung

Dass Gewerbe nicht gleich Gewerbe ist, vermag das Beispiel einer Bäckerei zu verdeutlichen. Verkaufen darf sie, fürs Backen muss sie aber aus der Stadt, weil sie Immissionen verursacht. Diese Haltung der Stadt Bern vertreibt das produzierende Gewerbe aus den Stadttoren. Hineinkommen, um zu liefern oder zu arbeiten ist dann aber auch schwierig, wenn immer mehr Bereiche autofrei werden – so wie es im Areal Weyermannshaus West auch grösstenteils vorgesehen ist. Das stört die SVP Bümpliz. «Es entstehen alle möglichen Zonen, nur Gewerbe- und Industriezonen nicht mehr», sagt Weyermann und schüttelt den Kopf. Die letzte Industriezone Berns dürfte nun das Galgenried sein. Der ehemalige Industriestandort Bümpliz verliert ein Herzstück. Derweilen wappnen sich die Gemeinden ausserhalb. Mühleberg zum Beispiel hat extra Land eingezont und will Hand bieten. Bern selbst hingegen sorgt nicht für Alternativen. Auch das könnte man anders angehen. Die Gemeinden Köniz und Schwarzenburg haben unlängst einem Gewerbetreibenden eine Alternativfläche angeboten, um das Eishallenprojekt Schwarzwasser vorantreiben zu können. Wenn man denn wollte, man könnte gemeinsame Lösungen finden. Der gesamte Grossraum Bern braucht Wohnraum, inklusive Agglomerationsgürtel. Aber es darf zumindest angezweifelt werden, ob es richtig ist, das produzierende Gewerbe hierfür aus der Stadt zu jagen. Jedes Brötchen, jede Rohrzange, die den Wasserschaden behebt, und jede Holzlatte, um das Treppengeländer zu reparieren, kommt dann von ausserhalb. Zumindest, wenn es die Zufahrtsmöglichkeiten erlauben.

Doch zurück zum Areal Weyermannshaus West. Der Stadtrat sagt «Ja», nun entscheidet das Volk über die Zonenplanänderung, damit das Projekt realisiert werden kann. Am 30. November kommt die Vorlage vors Volk. Derweilen diskutieren QBB und Gewerbe-Gruppierungen ihre Positionen. Von der Gewerbeseite her ist eine Einsprache angekündigt. Die Gretchenfrage dürfte lauten: Darf man Gewerbe vertreiben, um dringend nötigen Wohnraum zu schaffen? Hier wie anderswo im Stadtteil VI wird aber langsam deutlich, dass die Stadt den wirtschaftlichen Westen zähmen will. Möge trotz all der Sinnhaftigkeit von Entwicklungen nie vergessen gehen, wofür der Westen steht und woher er historisch kommt.

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