Pausenplatz-Vorfall an der Schule Bethlehemacker

«Es ist wichtig, die Situation zu beruhigen»

Salome Guida
Von Salome Guida - Redaktorin
Schulleiter Sebastian Teuscher vor der Schule Bethlehemacker.

Foto: SG

Einfach erklärt
Am 13. Dezember gab es an der Schule Bethlehemacker eine schwierige Situation. Schulleiter Sebastian Teuscher erzählt, wie die Schule damit umgeht. Wichtig ist die starke Beziehung zu den Kindern. 
Mitte Dezember macht ein Vorfall auf dem Pausenplatz der Schule Bethlehemacker nationale Schlagzeilen. Schülerinnen und Schüler hatten eine Lehrerin umzingelt und mit dem Ausruf «Allahu Akbar» bedrängt.

«Allahu Akbar» bedeutet «Gott ist gross» und ist ein zentraler islamischer Ausspruch. Er ruft heute bei manchen Assoziationen zu Terrorattacken wach. In der nachfolgenden medialen Berichterstattung wird aber schnell klar, dass der Vorfall eher etwas mit Gruppendynamik als mit Terror zu tun hatte trotzdem nimmt ihn die Schulleitung ernst. 

Lektion fürs Leben

«Wir haben das Geschehene mit den zwei betroffenen Klassen und der Klasse, die im gleichen Schulhaus zuhause ist, intensiv besprochen und deren Eltern miteinbezogen», erzählt Sebastian Teuscher, Schulleiter der Schule Bethlehemacker. Die anderen Klassen hätten die Situation ebenfalls als «Learning» angeschaut. Zudem ging eine Info zum Vorgehen an die Eltern aller Schulkinder des Schulhauses. «In diesen Situationen ist es wichtig, den nötigen Schutz zu gewährleisten und mit Präsenz und allfälligen Massnahmen die Situation zu beruhigen», erläutert er. Ebenso wichtig sei die Prävention. Die Schule arbeitet dafür schon seit zwei Jahren mit den Strategien des SEE-Learning: «Damit lernen Menschen, sich in herausfordernden Situationen selbst zu regulieren.» Das SEE-Learning bzw. das soziale, emotionale und ethische Lernen stellt die Entwicklung von Mitgefühl ins Zentrum bei der eigenen Person, mit den Mitmenschen und mit der Gesellschaft. 

Autorität wiederherstellen

Es passt gut zum Schulentwicklungsprojekt «miteinander stark», das die betroffene Schule zu Beginn des Schuljahres 2022/23 lancierte. Schon in der Einleitung steht nämlich: «Wir wollen, dass es allen gut geht an der Schule Bethlehemacker.» Im Fokus stehen die Werte Gewaltfreiheit, Respekt («Einander ansehen»), Mut, Selbstkontrolle und Wiedergutmachung. Handlungsbedarf sahen die Verantwortlichen unter anderem darin, dass Lehrpersonen immer weniger als Autoritätspersonen akzeptiert worden waren. Die erzieherische Autorität «wollen wir auf eine neue Art wiederherstellen». 

Beziehung statt Macht

Für diese neue Art von Autorität orientiert sich die Schule am Konzept des Psychologen Haim Omer. Autorität solle nicht mehr durch Macht durchgesetzt werden, sondern durch Beziehungsarbeit wachsen. Diese «Neue Autorität» verbinde die jeweils guten Erfahrungen aus der traditionellen sowie der antiautoritären Erziehung: klare Werte und Massstäbe, Sicherheit und Geborgenheit auf der einen Seite, freie Entfaltung sowie Eigenverantwortung auf der anderen. «Präsenz und Vernetzung sind zwei bewährte Grundsätze der Neuen Autorität», heisst es im Konzept. Und genau diese Präsenz zeigten Schulleitung und Lehrkräfte nach dem 13. Dezember, indem sie, anstatt die involvierten Kinder zu rügen oder zu bestrafen, sich Zeit für sie nahmen. 

«Wie kann ich das Geschehene wiedergutmachen?»

Das bedeutet nicht, dass nur noch geplaudert und gespielt wird: «Die Lehrerschaft und die Schulleitung sind ermächtigt, gegenüber fehlbaren Schülerinnen und Schülern diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die zur Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebes nötig sind», heisst  es etwa im Volksschulgesetz. Die Schule Bethlehemacker will ihre Verantwortung mit einem Gleichgewicht von Beziehung und Entschiedenheit erreichen. Nach einer Konfliktsituation, bei der die Schule eingreift, muss das betroffene Kind zum Beispiel eine «Erklärung zum Vorfall» ausfüllen und aufschreiben, was warum passiert ist und wie es sich dabei gefühlt hat. Auch soll es sich überlegen, wie sich wohl die andere Partei dabei gefühlt haben könnte, und wie es das Geschehene wiedergutmachen könne. 

Stärkerer Zusammenhalt

Seit sieben Jahren beschäftigt sich die Schule Bethlehemacker mit dem Konzept der Neuen Autorität, seit zwei Jahren ergänzt SEE-Learning die präventive Ausrichtung von «miteinander stark». Immer wieder finden vertiefende Weiterbildungen und Workshops dazu statt. Lohnt sich das? Für Teuscher auf jeden Fall: «Es ist eine Veränderung sichtbar. Vor allem im Zusammenhalt des Teams sowie im Hinblick auf erhöhte psychologische Sicherheit.» Zudem hätten alle Involvierten von der Schulleitung über die Lehrerinnen und Lehrer bis zur Schulsozialarbeit eine gemeinsame Sprache und strukturierte Vorgehensweisen. «Diese positiven Effekte übertragen sich im Idealfall auch auf die Kinder und Eltern unserer Schule», bilanziert der Schulleiter. 

Ähnlich sieht es sein Kollege Markus Gerber, Schulleiter der Schule Schwabgut auch sie hat das Konzept der Neuen Autorität aufgenommen: «Ein Vorteil ist die Stärkung der inneren Haltung unserer Lehr- und Betreuungspersonen und des ganzen Teams.» 

Miteinander trotz Differenzen

Die Schule Bethlehemacker besuchen auch Kinder mit Migrationserfahrung aus Konfliktgebieten. «Die dabei erlebten Trauma-Erfahrungen sind schlimm und nehmen im Leben von Kindern viel Raum ein», weiss Teuscher. Lehrpersonen und die Schulsozialarbeit leisten hier niederschwellige Begleitung. «Daneben braucht es oft auch eine gezielte Arbeit mit Fachpersonen wie Psychologen.» Ist ein Ausspruch wie «Allahu Akbar» also besonders brisant? Der Schulleiter relativiert: «Die Herkunft wie auch die Religion der Kinder und Familien in unserer Schule sind sehr vielfältig. Dementsprechend gibt es mal die eine oder andere Diskussion zu alltäglichen Fragen.» Er betont: «Wir schätzen den Vorfall vom 13. Dezember als Grenzüberschreitung, aber jugendliche Provokation ein. Es gibt keinen Hinweis auf eine Radikalisierung der Kinder.» Zum Abschluss sagt er hoffnungsvoll: «In der gemeinsame Erfahrungswelt Schule und Quartier ist das Miteinander jedoch deutlich spürbar und prägt unseren Alltag weit stärker als die allfälligen Differenzen.»

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