Viktor Kneubühl, Leiter des Dezernats Leib und Leben bei der Kantonspolizei Bern, staunte. Und nicht nur er. Das ganze «Rösslispiel» war anwesend: Kriminaltechnik, Rechtsmedizin, Staatsanwaltschaft, Medienstelle. Mit ein Grund ihres Staunens: Obwohl Herbstferien, sass Schulleiter Markus Gerber in seinem Büro, weil er nach eigenen Angaben «das eine oder andere aufarbeiten» wollte.
Wortkarger Rolf Huber
Grund der ausserordentlichen Umstände: Rolf Huber*, Mitarbeiter des Strassenreinigungsdienstes des Tiefbauamtes, dessen Stützpunkt sich auf der Seite Gotenstrasse unter der Turnhalle befindet, war der Meinung, gestern etwas auf dem Areal vergessen zu haben, so dass er sich nach einem Kontakt mit einer der Baufirmen einen Schlüssel für den «ordentlichen» Zugang organisieren konnte. Nun ja, gefunden hat der Mann dann tatsächlich etwas, das jedoch nicht wirklich auf das Areal gehörte, schon gar nicht den von ihm gesuchten Kittel. Just im Moment, da er sich auf den Weg zum Schulabwart machen wollte, kam ihm Schulleiter Markus Gerber entgegen, so dass die beiden Herren einen ersten Augenschein vor Ort vornahmen, worauf Markus Gerber sofort die Polizei informierte.
Und in der Tat: Zwischen zwei riesigen Schuttmulden lag ein Toter. Der Beamte des Strassenreinigungsdienstes sass inzwischen in der Bibliothek und wurde von einer Mitarbeiterin des Care-Teams betreut, in Anwesenheit von Regula Bürki vom Team von Viktor Kneubühl. Nach Sprücheklopfen war Frohnatur Rolf Huber nicht. Im Gegenteil: Regula Bürki musste jede ihrer Fragen mehrmals stellen, derart verwirrt schien Rolf Huber. Erst nach ungefähr einer halben Stunde regten sich seine Lebensgeister wieder, so dass er sich erklären konnte, jedoch mit wenig brauchbaren Hinweisen für die Kriminalistin. Der vergessen geglaubte Kittel war nicht wirklich von Bedeutung.
Fundort nicht Tatort
Rechtsmedizinerin Esther Hasler fasste ihre ersten Erkenntnisse zusammen. Ungefähr 50-jährig, Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf, vermutetes Schädelhirntrauma, Hirnblutung, Exitus anhand der Totenstarre vor einem, höchstens zwei Tagen. «Näheres wie immer nach der Obduktion.» Urs Rütimann von der Kriminaltechnik wies auf Schleifspuren sowie die Totenstarre hin, «Fundort ist nicht Tatort», zumal in unmittelbarer Nähe Abschrankungen manipuliert wurden, um aufs Gelände zu gelangen. Reifenspuren Fehlanzeige. Eine komische Sache.
Der Staatsanwalt wollte von Kneubühl dessen Einschätzung wissen. «Herr Gnägi, totales Rätsel. Wer legt denn einen Toten zwei Tage nach einem Mord auf ein Schulgelände?» – «Herr Kneubühl, ein Ritualmord?» – «Das glaube ich nicht. Das Wichtigste ist jetzt die Identifikation des Toten.» Kneubühl begab sich danach in die Bibliothek, um selber mit Rolf Huber zu sprechen, ohne dass er dabei jedoch Neues herausgefunden hätte.
Die Identifikation ergab sich am Tag darauf, am Sonntag, weil die Freiburger Polizei eine Vermisstenmeldung veröffentlicht hatte. Der Gesuchte war identisch mit dem Toten in Bümpliz. Roger Riedo, 52 Jahre alt. Seine Strafakte umfasste so ziemlich alles, was das Herz eines Ermittlers nicht in Entzücken ausbrechen lässt. Von Nötigung, Urkundenfälschung bis hin zu schwerer Körperverletzung, Haftstrafen inbegriffen. Die merkwürdigen Umstände der Tat liessen Kneubühl vermuten, dass sich hier Kurzschlusshandlungen aneinanderreihten, zum Schluss mit einer Panikreaktion nach dem Motto «Und wohin jetzt mit der Leiche?». Aus den Augen, aus dem Sinn.
Panikorchester ohne Udo L.
Die nächsten Tage brachten Klarheit. Riedo hatte am Donnerstagabend einen Bekannten und dessen Bruder an der Keltenstrasse besucht, diese drei Herren alles andere als Chorknaben. Kurzversion: Es kam zum heftigen Streit mit Todesfolge, die Brüder von der Situation völlig überfordert. Erst in der Nacht von Freitag auf Samstag trugen sie die Leiche Riedos in einen Teppich eingewickelt aufs gegenüberliegende Schulareal, in der Hoffnung, dass…
(*Mit Ausnahme vom Markus Gerber sind alle Namen frei erfunden.)