Die Cabane B ist ein kleiner Kunstraum mitten im Stadtteil VI der Stadt. Sie wurde ursprünglich vom Pariser Architekten Jean Nouvel als Stahlkonstruktion für die Expo02 geschaffen. Der «Rost-Cubus», wie die Cabane B auch genannt wird, dient heute der Kunsthochschule Bern unter anderem für interaktive Kunstprojekte, welche die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kunstformen provozieren. Aber eben: Über Kunst lässt sich bekanntlich (nicht) streiten. Unschwer zu erraten, dass die Nachtruhestörung nicht von Kunstschaffenden als Essay oder Happening inszeniert wurde.
Das Fahrzeug der Kantonspolizei hatte gerade den Kreisel Bümpliz-
strasse/Schwabstrasse in Richtung Mühledorfstrasse zum Bahnhof Bümpliz-Nord passiert, als ihnen ein grosser Mercedes mit ausländischem Kennzeichen entgegenkam, und das mit stark überhöhter Geschwindigkeit. Geistesgegenwärtig notierte sich der Streifenpolizist auf dem Beifahrersitz das Kennzeichen und bat die Einsatzzentrale umgehend, nach diesem Fahrzeug aus Rumänien zu fahnden. Da sei etwas «faul».
Keine Minute später stellten sich die beiden Polizisten den sechs jungen Herren vor, mit der Aufforderung, die Musik abzustellen. Obwohl alle stark alkoholisiert, hatte einer unter ihnen den Befehl der Spur nach verstanden. Es vergingen jedoch einige Augenblicke, bis Stille herrschte. Nicht Freude. Gleichzeitig erloschen in vielen Zimmern der unmittelbaren Nachbarschaft die Lichter. «Ändleche isch d’Schmier da, isch lang gnueg gange!» rief einer lautstark mit wenig wohlwollender Zurückhaltung.
«Isch daas aus… gsi?», lallte einer, nicht mehr ganz lippensynchron. Die Beamten erklärten sich, worauf ein Copain des Lallenden sich erkundigte, was denn mit «däm Merz vo vori» los gewesen sei? Die Beamten konnten im Moment mit der Frage wenig anfangen, was sie mit einer Nachfrage zu klären versuchten. «Wo mir hei wölle cho tschille, sy zwöi von dene us däm Roschthuufe hie use cho, hei öppis uf Usländisch gfluechet. D’Tür isch uufbroche, d’Schiibe verschlage..». Und tatsächlich: Scheibe und Schloss kaputt. Die sechs Herren schworen bei allem, was ihnen heilig war – vermutlich Johnny Walker & Grey Goose – «dass das» die beiden Unbekannten waren, die zum Auto rannten.
Die Beamten wagten einen Blick ins Innere. Weil dunkel, nahmen sie die Taschenlampen zu Hilfe. Im Raum war nichts zu sehen, sieht man von einem zusammengerollten Papier ab, das sich beim Entrollen als Leinwand herausstellte. «Scheint ein Clown zu sein», stellte einer der Polizisten fest. «Aber deswegen so einen Aufstand machen? Komisch.» Wie auch immer: Die beiden Uniformierten beschlagnahmten den Clown und baten die Herren, von denen drei inzwischen in Tiefschlag versunken waren, nach Hause zu gehen. «Deren Schädel möchte ich morgen nicht haben», witzelte ein Hüter des Gesetzes zu seinem Kompagnon beim Einsteigen ins Auto.
Als ihr Dienst am Sonntagmorgen zu Ende war, übergaben sie das Stück Leintuch dem Portier in der Einsatzzentrale. Jener, ein Kulturinteressierter, liess den Clown vor Ehrfurcht schier fallen, seine Gesichtsfarbe wechselte ins Bleiche. «Ist dir nicht gut?» – «Wisst ihr, was ihr da gefunden habt?» Seine Kollegen, die sich aufs Kopfkissen freuten, verneinten, wurden aber nach einigen Worten hellwach. «Das ist vermutlich ein gestohlener Picasso, Tête d’Arlequin, nach dem die Kunstwelt nach einem Raub 2012 in der Kunsthalle Rotterdam sucht. Zwar wurde dieser Arlequin gefunden und die Täter aus Rumänien verhaftet, das Werk erwies sich allerdings als Kopie. Das Original ist nach wie vor verschwunden.»
In den Köpfen der Beamten begann es zu rauchen. Rumänien? Da war letzte Nacht doch was. Stunden später sollten sie erfahren, dass der Mercedes nach einer wilden Verfolgungsfahrt auf der A1 gestoppt werden konnte. Im Kofferraum befanden sich weitere Werke von Monet, Matisse und Gaugin aus dem Kunstraub 2012. Zur Herkunft der Bilder schwiegen sich die Rumänen aus, ebenso zum Umstand, was der Picasso in der Cabane B zu suchen hatte. Gab es einen möglichen Käufer aus Bern, den man in der Dunkelheit übersehen hatte?
Am Montag sahen sich die beiden Streifenpolizisten in allen Zeitungen vor der Cabane B abgebildet. Noch am gleichen Tag erkundigte sich einer der sechs Nachtruhestörer bei der Polizei, ob sie mit einer Belohnung rechnen könnten, schliesslich seien sie Ursprung des Funds.