«Endlich muss ich nicht mehr immer ins Stadtzentrum, um gute Kunst zu sehen», rief eine Besucherin an der Vernissage aus. Ende Mai eröffnete an der Bümplizstrasse 112 in der Fussgängerzone, wo vorher die Trouvaille eingemietet war, der neue Kunstraum Bern Bümpliz.
Nachlassstiftung
Die Adresse ist zugleich Geschäftsstelle der ART-Nachlassstiftung, die hinter dem Projekt steht. Seit 13 Jahren betreut diese bedeutende Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern aus der Region Bern. «Die Idee ist, dass diese Werke nicht in einem Depot verstauben oder gar in einer Mulde enden, sondern wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden», beschreibt es die langjährige Geschäftsführerin Nadja Zeller. Bisher geschah dies jeweils über eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Galerien, neu können die Kuratoren und Kuratorinnen der Stiftung auch den eigenen, neuen Kunstraum nutzen.
Ankunft – von Tschumi bis Volpe
An der aktuellen Eröffnungsausstellung sind zum Beispiel Werke von Otto Tschumi zu sehen. Er gilt als einer der bedeutendsten Exponenten des Schweizer Surrealismus. In den Jahren vor dem 2. Weltkrieg lebte er in Paris, was seine Kunst nachhaltig prägte. Zurück in der Schweiz schaffte ein Gefühl des «Nieangekommenseins» den Rahmen für seine Arbeit, wie Kurator Sebastian Winkler erklärt. So passen seine Werke gut zum Rahmen von «Arrival» (Ankunft), dem Thema der Ausstellung. Auch Max von Mühlenen kehrte zu Kriegsbeginn aus Paris zurück nach Bern, auch seine Bilder sind teilweise im Eigentum der ART-Nachlassstiftung und aktuell im Kunstraum zu sehen. Dritter «Nachlass»-Aussteller ist Mario Volpe. Der Kolumbianer siedelte 1972 nach Bern über, wo er 2013 starb. Seine Berner Kunst unterscheidet sich im Stil stark von der Zeit vor seinem Umzug.
Auch zeitgenössische Kunst
Die Verantwortlichen um Stiftungspräsident Günther Ketterer, der seit vielen Jahren ein Bümplizer ist, um die bisherige sowie die neue Geschäftsführerin Nadja Zeller bzw. Danièle Héritier, um Dominik Tomasik, wissenschaftlicher Mitarbeiter, und Kurator Sebastian Winkler geben auch der zeitgenössischen Kunst eine Plattform. Auch diese Ausstellenden hätten die Erfahrung des Aufbruchs und anschliessenden Ankommens an einem neuen Ort gemacht, was sich auf ihre Kunst auswirkte. Aktuell sind Werke von Nadja Karpinskaya und Sibel Kocakaya ausgestellt. Karpinskaya studierte Malerei in Moskau, später zog sie nach Bern, wo sie begann, vermehrt textilbasierte Kunst zu schaffen. Kocakaya stammt aus Istanbul und beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Körper und Raum. Etwa bei einer Foto-Serie, die im Rahmen eines Kunstprojektes in Bümpliz entstand. Drei weitere Kunstschaffende sind ebenfalls Teil von «Arrival». Ernestyna Orlowska wird sich mit der Performance «The Broken Tongues» mit ihrer Muttersprache Polnisch auseinandersetzen (siehe Hinweis auf S.42). Die diesjährige Finalistin der Swiss Art Awards (die Preisverleihung findet erst nach dem Druck dieser Ausgabe statt) wuchs in Nidau auf, lebt und wirkt seit längerem in Bern. Sarah Hugentobler und Franziska Megert zeigen – wie übrigens auch Sibel Kocakaya – Videokunst im Untergeschoss. Dieser Programmpunkt gehört zur Plattform videokunst.ch, deren Geschäftsstelle ebenfalls an dieser Adresse ist. Das gleiche Programm, das im Showroom im PROGR läuft, ist übrigens auch im Videofenster im Bienzgut zu sehen.
Raum zum Mitgestalten
Dem neuen Kunstraum fehlen im Logo einzelne Buchstaben. «Das steht sinnbildlich für die Leerstellen, die wir zu füllen helfen wollen», so Zeller. So können etwa externe Kuratierende die Räumlichkeiten nutzen. «Der Raum soll ein lebendiger Kulturort sein», sagt Günther Ketterer zur Eröffnung. «Es ist ein Raum, den man mitgestalten kann», betont auch Héritier. Möglich wird dies auch durch die enge Zusammenarbeit mit dem neu entstandenen Förderverein. Hier engagieren sich Menschen mit verschiedenen Hintergründen mit ihrer Zeit, ihrem Wissen und ihren Ideen. «Wir heissen neue Mitglieder herzlich willkommen und möchten dieses Netzwerk in Zukunft stark miteinbeziehen», so die Geschäftsführerin.
Dank der Stiftung und dem neuen Kunstraum kommen Nachlässe von bedeutenden verstorbenen Kunstschaffenden an einen Ort, an dem gelebt und gewirkt wird. An dem Werke, die sonst eher in den grossen Kunsthäusern hängen, niederschwellig zugänglich sind.