Zufällig getroffen

«Kennen Sie eine Ferienablösung für mich?»

Thomas Bornhauser
Im Reich von Dragan Marinkovic auf nur wenig Quadratmetern Fläche.

Foto: BO

Einfach erklärt
Dragan Marinkovic stammt ursprünglich aus Serbien. In der Schweiz arbeitete er zuerst im Service. Seit vielen Jahren führt er den Mister Minit im Westside.
Jahrelang bin ich bei Mister Minit im ersten Stock des Einkaufszentrums Westside vorbeigelaufen. Was mir auffiel: Immer war dieser Schuh- und Schlüsselmacher gutgelaunt, eine echte Frohnatur, wie es mir schien. Zeit also, endlich mit ihm zu reden. Dragan Marinkovic gab wenig überraschend bereitwillig Auskunft.

Dragan Marinkovic. Stellen Sie sich gerne kurz vor. Wer sind Sie?
Ich bin in Smederevo geboren und dort auch zur Schule gegangen. Smederevo ist eine serbische Stadt, knapp 50 Kilometer von Belgrad entfernt. Sie ist die Hauptstadt des Bezirks und hat etwas mehr als 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die älteste bekannte Erwähnung Smederevos stammt aus dem Jahr 1019, in der Urkunde eines byzantinischen Kaisers. Die Stadt gehörte in den folgenden Jahrhunderten zu Byzanz, Bulgarien und anschliessend zu Serbien. Dies ein Crashkurs für Sie zur Stadt.

Was haben Sie nach der Schule gemacht?
Jetzt werden Sie staunen. Ich war… Journalist, besser gesagt, Sportjournalist, vor allem im Bereich Fussball.

Lieblingsverein?
Raten Sie, aber nur einmal…

Roter Stern Belgrad.
(Resolut) So muss es sein! Allerdings… Ich mag YB, auch wenn es bei ihnen nicht immer rundläuft. Und auch Bayern München.

Wann sind Sie in die Schweiz gekommen?
Am 8. Oktober 1988 nach Bern. Zuerst habe ich im Service gearbeitet, überall im Kanton Bern «es bitzli». Thunersee, Saanenland.

Wie sind Sie zum Mister Minit im Westside geworden?
Ich bin handwerklich nicht gerade der Ungeschickteste, wollte mich ohnehin verändern, also habe ich mich um den Job beworben. Eine mehrjährige Ausbildung musste ich deshalb nicht machen. Ich habe mir die Fähigkeiten schnell angeeignet, für die Arbeit braucht es keinen Hochschulabschluss. Und so bin ich seit Jahren – mit einem Unterbruch – im Westside tätig.

Sind Sie bei Mister Minit angestellt?
Nein, ich bin selbständig. Das passt mir, auch wenn das nicht immer einfach ist. Weil Personal auch auf meinem Gebiet Mangelware ist, habe ich bisher vergeblich versucht, einen Stellvertreter zu finden. Wobei der Ausdruck Stellvertreter falsch ist, es ist eher eine fähige Aushilfe. Seit Monaten arbeite ich sechs Tage in der Woche, Montag bis Samstag. Ich würde gerne wieder einmal nach Smederevo fahren. Kennen Sie per Zufall eine geeignete Ferienablösung für mich? 

(Zwischenbemerkung des Schreibenden: Unser Gespräch wird regelmässig von Kundinnen und Kunden unterbrochen, deren Wünsche von Dragan Marinkovic in Windeseile umgesetzt werden. Eine Frau will ihre Schuhe abholen. Er, mit einem Lachen: «Oups, die habe ich vorhin verkauft…»)

Kann ich jeden Schlüssel bei Ihnen nachmachen lassen? Ich staune ja: Sie brauchen dazu keine Minute…
Ja, im Prinzip schon. Nur braucht es bei Sicherheitsschlüsseln ein Zertifikat, das es Ihnen erlaubt, einen bestimmten Schlüssel – die Nummer ist auf dem Dokument vermerkt – anfertigen zu lassen. Ohne geht gar nichts, auch nicht unter der Hand. Und auch nicht bei mir selber, nur die Zentrale ist dazu befugt.

Es sind viele Schuhe bei Ihnen zu sehen. Vor allem von älteren Leuten?
Nein, es sind nicht bloss ältere Menschen, auch jüngere Leute wissen um die Qualität ihrer Schuhe, weshalb sie sie vor allem neu besohlen lassen. Bei den Frauen kommen natürlich auch abgebrochene Absätze hinzu.

Vorhin haben Sie eine Frau bei einer Gravur beraten. Im Preis inbegriffen?
Logisch! Sie hatte eine feine Handkette dabei, wollte wohl den vollständigen Namen ihres Freundes eingravieren lassen. Ich habe ihr gesagt, dass die Schrift dann kaum mehr leserlich sein würde, sie solle es doch beim Vornamen bewenden lassen. Das hat sie überzeugt.

Was auffällt: Bei Ihnen ist nur Barzahlung möglich. Kein Problem im bargeldlosen Zeitalter?
Für mich nicht, für einige Kunden schon. Praktisch ausnahmslos gehen sie aber zum Geldautomaten hier im Westside. Ich komme gleich Ihrer nächsten Frage zuvor.

Ich bitte darum.
Um bargeldlos einzukassieren, bräuchte ich ein entsprechendes Terminal. Das kostet aber mehrere Tausend Franken und wäre bei einem Umsatz von 150’000 Franken im Jahr ok. Davon bin ich aber weit entfernt, das liegt für mich nicht drin.

(Ein Kunde will die Batterie seiner Uhr wechseln, ein anderer Schuheinlagen kaufen, eine Kundin einen Ledergürtel, so dass wir das Interview beenden. Ich will Dragan Marinkovic ja nicht den ganzen Vormittag von der Arbeit abhalten.)

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