«Ich möchte Ihnen seit Jahren etwas auf meinem Handy zeigen.» Mir fällt schier der Kiefer auf die Tischplatte. Es handelt sich um drei Fotos eines Modell-Sattelschleppers aus der Migros. Das Fahrzeug ist aber nicht 08/15. Mein ehemaliger Boss in der Migros Bern, Peter Everts, hat ihn seinerzeit, als er noch Marketingleiter bei der Migros Aargau/Solothurn war, verschönern lassen. Auf der einen Seite sieht man eine Frau auf dem Rücken liegen. Text dazu: «Anita denkt an Albert»: Auf der anderen Seite sieht man Albert liegen. Text: «Albert denkt an Anita.» Aus der Vogelperspektive ist auf dem Dach «Albert liebt Anita», beziehungsweise «Anita liebt Albert» zu lesen. Zu Beginn der 80er-Jahre muss der Sattelschlepper ein echter Skandal gewesen sein, den es zu übermalen galt.
Mit dem VW-Käfer nach Gstaad
So ungewöhnlich diese Begegnung, so ungewöhnlich auch, wie sich Ursula und Francis an Silvester 1969 kennengelernt haben. Sie wohnt in Erlinsbach, er in Bümpliz. Francis verbringt Weihnachten und Neujahr «seit jeher» in Saanen, zusammen mit einem Freund. Ursula wiederum möchte an jenem Silvester einmal etwas Aussergewöhnliches erleben, weshalb sie mit einer Freundin beschliesst, für einige Tage nach Gstaad zu fahren, die beiden Frauen sind mit einem klapprigen VW-Käfer unterwegs.
Für den Silvesterabend haben sie sich etwas vorgenommen. Will in ihrem Fall heissen: Minijupes und Stögelischueh montieren, und das im Winter in Gstaad… Nur eben: Manchmal geht die Rechnung nicht auf. Das Olden und das Cheserey sind fully booked, seit längerem schon. Noblesse oblige schliesslich. Mehr Glück haben sie dann im Hotel Victoria, wo ihnen erklärt wird, dass es «hinten» ein Dancing hat, den «Club 53», wo der Frauenanteil im Moment noch unterdurchschnittlich sei. Rein also ins Vergnügen.
Parallelen zum Gigi vo Arosa?
Im Dancing sind auch zwei Herren zu sehen, Francis dabei ein bekennender Tänzer. Ursula und Francis lernen sich näher kennen, ihre Begleitungen auch. Nehmen wir es vorweg: Francis und Ursula heiraten im September 1972, die beiden anderen aus dem «Club 53» vier Monate vorher. Zurück jetzt aber zum Neujahrstag 1970. Francis gelingt es, Ursula zum Skifahren zu überreden, denn «nie hat es so wenig Leute auf den Pisten wie am 1. Januar». Gesagt, getan, wobei die harmonische Optik der Tanzfläche sich auf dem Schnee nicht ganz wiederholt. Ursula ist im Stemmbogen unterwegs, Francis hingegen elegant auf seinen Kneissl White Star (auf denen sogar einmal Brigitte Bardot mit ihren Après-Skischuhen Abdrücke hinterlässt). Zwei Gemeinsamkeiten verbinden Ursula und Francis dennoch: die Schmetterlinge im Bauch und die Liebe zum Saanenland. Wer hätte das gedacht? Nach der Hochzeit ziehen sie in den Stöckacker, wo sie bis 1977 bleiben, bevor Ursula und Francis nach Hinterkappelen ziehen. Heisst: Vor 48 Jahren.
Naherholungsgebiet Hinterkappelen
Ursula arbeitet im Dorf als Dentalassistentin, ein «gefühltes halbes Jahrhundert lang». Während zehn Jahren ist sie in Hinterkappelen («das wir als Naherholungsgebiet schätzen, ebenso die Anbindung an den öV») auch Schulzahnpflegerin, bis die Gemeinde die Aufgabe aus finanziellen Überlegungen streicht. «Ein Fehler», wie sie uns sagt. Ihr Mann ist lange im Aussendienst im Bereich Papeterie tätig und sammelt heute noch Modell- und Blechspielzeuge. 2005 kann das Ehepaar die Mietwohnung kaufen, fühlt sich sehr wohl darin, auch ihre inzwischen vier Enkelkinder.
Und noch etwas erinnert immer wieder an Silvester 1969. Francis liebt es noch heute, zu Musik von damals – auf Kassetten aufgenommen – zu tanzen. Einfach so.