Kurzkrimi

Was lange blonde Haare verraten können

Thomas Bornhauser
Fiktiver Tatort: das Westside in Bern

Foto: BO

Einfach erklärt
In dieser frei erfundenen Handlung muss die Kantonspolizei Bern einen Mord klären. Ein Toter wurde in einer Ecke der obersten Etage im Einkaufszen- trum Westside gefunden.
Meistens kommt es anders und zweitens als man denkt. Diese Feststellung, Wilhelm Busch zugeschrieben, galt kürzlich für die Ermittler des Dezernats Leib und Leben der Kantonspolizei Bern unter Leitung von Viktor «Fige» Kneubühl. Das Team sass bei einem Höck am späten Donnerstagnachmittag gemeinsam mit Esther Hasler vom Institut für Rechtsmedizin IRM und mit Urs Rütimann vom Kriminaltechnischen Dienst KTD zusammen, als Kriminalistin Regula Bürki plötzlich auf Goldschmuggel und Geldwäsche zu sprechen kam.

Worüber sich viele Leute nicht bewusst sind: Die Schweiz raffiniert in fünf Unternehmen fast die Hälfte des weltweit gewonnenen Goldes. Vor allem eine der Raffinerien – jene im Tessin, die anderen im Kanton Neuenburg – steht wiederholt in der Kritik, da sie das Gold über einen Zwischenhändler in Dubai kauft. Dabei bleibt unklar, woher genau das Edelmetall stammt. 

Die Runde war gerade daran,  Geldwäsche anzusprechen, als Kneubühl angerufen wurde. Sekretärin Miriam Stockl aus der TV-Serie «Die Rosenheimcops» würde in einer solchen Situation ihre Kollegen mit den Worten «Es gabat a Leich» informieren.

Zwielichtiger Autohändler

Ungläubiges Kopfschütteln indes im Ringhof Bern, Hauptsitz der Kantonspolizei, als der Fundort bekannt wurde (die neue Zentrale wird gegenwärtig in Niederwangen gebaut und 2027 bezogen): das Einkaufs- und Freizeitzentrum Westside. Der Tote lag versteckt in einer Ecke der obersten Etage. Umgehend wurde die Info des Zentrums, von wo aus der Anruf kam, gebeten, die unmittelbare Umgebung abzusperren und auf die Polizei zu warten. Die Staatsanwaltschaft und die Medienstelle wurden informiert, bevor sich die Truppe in verschiedenen Fahrzeugen und mit Blaulicht via Autobahn in den Westen von Bern aufmachte.

Keine 20 Minuten nach Eingang des Anrufs waren alle an der Arbeit und wussten aus jahrelanger Erfahrung, wie man zu funktionieren hat. Der Fund- und vermutete Tatort war weiträumig abgesperrt. Ausser Sichtweite des Adventure Doms und des Kinderlands stand Nils Stauffer, der den Toten als Mitglied des Sicherheitsdienstes gefunden hatte und jetzt von Viktor Kneubühl befragt wurde.

«Kennen Sie den Toten?»

«Ja, das ist Armin Müller.»

«Arbeitet er hier?»

«Nein.»

«Und weshalb wissen Sie, wer es ist?»

«Ihn müssten Sie auch kennen. Zwielichtiger Autohändler aus Bethlehem.»

«Stimmt, jetzt wo Sie es sagen. Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?»

Da dies nicht der Fall war, liess man Stauffer ziehen, nachdem er gefragt wurde, ob er professionelle Hilfe wünsche.  Dies lehnte er ab. Kneubühl wiederum erkundigte sich bei der Rechtsmedizinerin nach ersten Erkenntnissen. Esther Hasler wurde bereits erstaunlich konkret: Todeszeitpunkt plus/minus vor einer Stunde, Stich in die Halsschlagader mit einem spitzen Gegenstand, deshalb das viele Blut. Abwehrspuren, deutliche Hautpartikel unter mehreren Fingernägeln. Möglicherweise Drogen im Spiel, zwei auffallend lange blonde Haare am Pullover. Näheres «wie immer» nach der Autopsie. Sie lasse die Leiche ins IRM bringen.

Zusammenarbeit Freiburg und Bern

Eine Stunde nach ihrem Eintreffen im Westside sass die Apéro-Truppe wieder beisammen, dieses Mal jedoch in einem Besprechungszimmer des Zentrums. Kneubühl staunte nicht schlecht, was in dieser kurzen Zeit an Informationen durch Befragungen zusammengetragen und auf einen Flipchart notiert wurde. Müller. Autohändler in Bethlehem, aber das wusste Kneubühl bereits. Erste Adresse für Autoposer. In der Garage regelmässig noch Licht mitten in der Nacht. Wohnort Kerzers in einer neuen Überbauung. Anzeigen und Beschwerden von Nachbarn wegen Autoposern, Nachtruhestörung und vermuteter Edelprostitution in zwei Wohnungen. 

In Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei Freiburg konnten die Ermittler der Kapo Bern in den folgenden Tagen Mosaikstein um Mosaikstein zusammenfügen. Ausschlaggebend dabei der Obduktionsbericht des IRM und Erkenntnisse aus dem KTD. Dem Toten wurde eine hohe Dosis Kokain im Blut nachgewiesen, die blonden Haare liessen sich tatsächlich einer von Europol gesuchten Betrügerin zuordnen. Diese sagte nach ihrer Anhaltung erstaunlich schnell aus – wohl in der Hoffnung auf Straferleichterung – dass das Opfer sich mit einem verurteilten Straftäter vor dessen Flucht nach Frankreich im Westside getroffen hätte. Ein Streit um Drogen wäre eskaliert, mit bekanntem Resultat. Der Mörder konnte Tage später von der Police nationale in Lyon festgenommen werden.

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