Vor wenigen Wochen starteten die Schachspieler in die Saison 2024 zur Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft SMM. Mit dabei auch der Schachklub Köniz-Bubenberg. Aussergewöhnlich ist seit einigen Monaten ein Mitglied des Teams, nämlich der 56-jährige Igor Yarmonov aus der Ukraine, fünffacher Schachweltmeister unter Menschen mit eingeschränkter körperlicher Mobilität. Weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht mit anderen Kindern draussen spielen konnte, brachte ihm sein Vater Schach bei, wo Igor schnell zu einem begnadeten Spieler avancierte.
Zwei Kriege, kein Frieden
Die Umstände seines Aufenthaltes in Bümpliz sind für einen Schweizer unvorstellbar. Igor Yarmonov und seine Frau Galina Gurina lebten in Mariupol, einer der Städte in der Ukraine, die von den Russen in Trümmer geschossen werden, mit gezielten Brandbomben auf Wohnblöcke, deren Feuer sich nicht löschen lassen, weil die Wasserversorgung zuvor zerstört wurde. Was Galina Gurina uns über ihre Flucht erzählt und Fotos auf dem Handy zeigt, gleicht dem Trauma durch die Finsternis einer Apokalypse. Wir ersparen Ihnen Details.
Erster Zeitsprung. Ihre Reise endet dank der Unterstützung von Schachfreunden aus aller Welt nach einer Odyssee in Israel. Vorerst. An ein gemütliches neues Zuhause ist indes nicht zu denken. Igor Yarmonov und Galina Gurina haben beide Einschränkungen und verschiedene gesundheitliche Probleme, ganz abgesehen von den psychischen Belastungen, die auf die Erlebnisse in der Ukraine zurückzuführen sind. Israelische Freiwillige haben in einem Crowdfunding Geld für einen elektrischen Rollstuhl für Igor gesammelt. Die beiden Flüchtlinge werden schliesslich in einem Zimmer in einem Zen-trum für Menschen mit Einschränkungen in Ashdod untergebracht, 50 Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt. Es folgte der 7. Oktober 2023.
Der Grosse Bär als Glücksgefühl
Zweiter Zeitsprung. Igor Yarmonov und Galina Gurina flüchten ein weiteres Mal vor einem Krieg. Seit Ende Oktober 2023 sind sie dank der Unterstützung vieler Freiwilliger in der Schweiz. Von den Schweizer Behörden und allen im Asylwesen Engagierten fühlen sie sich gut unterstützt. Galina erzählt von einem seelischen Höhepunkt in der Schweiz: «In Oberhofen, wo wir zuerst waren, sahen wir in einer klaren Nacht die Sterne des Grossen Bären, in der gleichen Konstellation wie in der Ukraine.»
Im Mai konnten sie eine rollstuhlgängige Wohnung in Bümpliz beziehen. Anna Butan ist Übersetzerin und hilft in besonderen Situationen aus, so auch bei unserem Treffen in Bümpliz, da die beiden Flüchtlinge noch kein Deutsch sprechen. Ebenfalls anwesend: Michael Weber, Sportchef des Schachklubs Köniz-Bubenberg, der Igor und Galina bei den alltäglichsten Arbeiten unterstützt und sie auch zu den Turnieren fährt. Respekt.
Vom Alltag in der Schweiz
Durch glückliche Umstände und die Hilfe von vielen Mitgliedern des Schachklubs – und von Thomas Mäder, nicht Mitglied der aktiven Schachgilde – haben Galina Gurina und Igor Yarmonov eine rollstuhlgängige Wohnung in einem Wohnblock gefunden. Die Einrichtung ist schlicht, aus der nahe gelegenen Brocki der Heilsarmee. Nichts von Luxus.
Wie haben die beiden ihre ersten Wochen in Bümpliz erlebt? «Die Hausbewohner scheinen alle sehr freundlich», sagt Galina Gurina. Scheint? «Ja, wir grüssen einander freundlich, können uns aber noch nicht verständigen.» Überhaupt ist alles für sie neu, da sie jetzt auf sich selber gestellt sind, nicht mehr betreut wohnen. Allein schon das Trennen von Abfall ist eine Herausforderung der besonderen Art, vor allem für Menschen, deren Überleben in der Heimat alles andere als sicher ist. Aber Galina Gurina und Igor Yarmonov wollen sich so schnell wie möglich integrieren. Mehr noch: «Wir wollen so schnell wie möglich Deutsch lernen. Wir erachten es als unsere Pflicht, nützlich gegenüber jener Gesellschaft zu werden, die uns ein Leben in Frieden ermöglicht.»
Als wir uns verabschieden, schenken wir Igor Yarmonov die Doppel-CD «Chess», von Björn Ulvaeus sowie Benny Andersson komponiert, den beiden «B» von ABBA.