Nationales Leistungszentrum macht international auf sich aufmerksam

Von Bümpliz aufs Podest: Lebensschule Kickboxing

Salome Guida
Von Salome Guida - Redaktorin
Das Schweizer Nationalteam in Budapest.

Foto: zvg

Einfach erklärt
In Bümpliz ist das nationale Leistungszentrum für Kickboxing. Hier trainieren auch 40 Leistungssportler. Viele davon Jugendliche. Am Weltcup in Budapest gewannen sie viele Medaillen.
Zwischen Autobahn A12, Bahnlinie und Sportplatz Bodenweid, im hinteren Teil eines grossen Industriegebäudes an der Freiburgstrasse, ist das Nationale Leistungszentrum für Kickboxen angesiedelt. Seit zweieinhalb Jahren trainieren Stefan Waldner und Alen Kolic dort rund 40 Personen aus dem Leistungssportbereich sowie viele weitere Kampfsportlerinnen und Kampf-sportler aus dem Breitensport. Ihr Trainingssystem führte Mitte Juni zu beeindruckenen Resultaten: Am grössten Kickboxing World Cup der Welt errang das Schweizer Team mit zwölf Starts ganze neun Podestplätze.

Beim Gedanken an Kickboxen schwingt oft das Bild von blutunterlaufenen Augen, Gehirnerschütterungen oder aggressiven Athlehen mit. Dabei ist die aus dem Karate stammende Kampfsportart hierzulande längst Teil von Swiss Olympics und hat, wenn man genauer hinschaut, mehr mit Disziplin und Respekt zu tun als manch bekanntere Sportart.

Respekt, Demut, Resilienz

«Kickboxen bringt dir grosses persönliches und athlethisches Wachstum. In einem guten Umfeld kann man sich wie eine Blume entfalten», schwärmt Coach und Co-Nationaltrainer Alen Kolic. «Viele Jugendliche wollen sofort Resultate sehen. Aber im Kampfsport ist es eher so, dass man die ersten zwei, drei Jahre vor allem verliert. Wenn dies dann plötzlich dreht, lernt man: ‹Wenn ich verliere, sagt das nichts über mich aus. Ich kann aufstehen und nachsetzen.› Es ist eine wahre Lebenslektion für unseren Nachwuchs.» Co-Nationaltrainer Stefan Waldner ergänzt: «Im Kampfsport sind Werte wie Kontrolle und Respekt elementar. Man lernt, seine Coaches, aber auch die Gegner zu respektieren. Denn sie haben denselben Weg hinter sich und ohne sie gäbe es keinen Kampf. Man lernt, ohne Wut zu sein oder sie zu steuern. Man lernt, mit Angst umzugehen, lernt Demut und Resilienz. Das gibt einem viel Selbstvertrauen und macht einen meist auch sonst im Leben erfolgreich.» Zudem, schwärmt er, fasziniere ihn die grosse Bandbreite der Emotionen: von tiefsten Tiefs bis zu höchsten Hochs.

Vom Nischen- zum Profisport

Solche Hochs erlebten die beiden Trainer mit ihren Schützlingen Mitte Juni in Budapest. Das Schweizer Ringsport-Team des Swiss Team Kickboxing erbrachte eine bis dahin in der Schweiz noch nicht gesehene Leistung. «Meist sind die Podestplätze mit Kämpfern aus Ländern wie Serbien und der Ukraine besetzt», erzählt Waldner. Deshalb hatten sich die beiden Coaches vor über zwei Jahren ein Hauptziel gesetzt: die Schweiz als ernstzunehmende Gegnerin und als Favoritin für die vorderen Ränge zu etablieren. Gemeinsam analysierten sie über Monate hinweg Kämpfe von Titelgewinnern, sezierten deren Abläufe, Schläge und Reaktionen in ihre kleinsten Bestandteile und wendeten die gewonnenen Erkenntnisse anschliessend in den Trainings an. Kolic, in den Niederlanden aufgewachsen und ausgebildet, brachte viele taktische Akzente hinein, die man vorher in der Schweiz noch nicht kannte. Er sei ein «Kickboxing Mastermind», wie ihn Waldner nennt. Waldner hingegen, gibt Kolic ein Lob zurück, habe im Hintergrund die Strukturen professionalisiert. Bundesamt für Sport, Swiss Olympics, J&S und mehr: Zu einem
grossen Teil dank ihm habe das Kickboxing in den Schweizer Leistungssportstrukturen Fuss gefasst. So ist es heute etwa möglich, als Kickbox-Athletin oder -Athlet eine Sportlerlehre oder das Sportgymnasium zu absolvieren. 

Im Gym für Prüfung lernen

In der von ihnen mitgegründeten Fusion Sport Academy trainieren fast 900 Leute. Im Leistungssportbereich sind es etwa 40, darunter zwei junge Profisportler, 19 und 22 Jahre alt. Im Nachwuchs absolvieren mehrere eine Sportlehre oder das Sportgymnasium. Die Spitzensportathleten trainieren von Montag bis Samstag täglich in Bümpliz, die beiden Profis gar 14 bis 16 Einheiten pro Woche. Hinzu kommen Stützpunkttrainings von Teams, die wochenweise aus weiter entfernten Kantonen anreisen. Die Jugendlichen liegen ihnen besonders am Herzen. «Leider wissen nicht alle Eltern, wie man Struktur schafft», weiss Kolic. Dadurch, dass beide pädagogisch ausgebildet sind, schauen sie nicht nur auf die sportlichen Aspekte ihrer Schützlinge. Wer kurz vor Prüfungen Trainings ausfallen lässt, um zu lernen, wird fortan zwei Stunden vor dem Trainingsbeginn ins Gym zitiert, um Hausaufgaben zu erledigen und früher mit dem Lernen zu beginnen, damit es nicht wieder ein Last-Minute-Lernen vor den nächsten Tests braucht. Coach Kolic betont: «Wer bei uns trainiert, hängt nicht auf der Strasse herum, sondern macht etwas Sinnvolles mit seinem Leben.»

Zur Person:
Stefan Waldner, Jg. 1990, ursprünglich Informatiker, Berufstrainer Leistungssport. Grösste Erfolge als Kampfsportler: Nationalmannschaft, Weltcupsieg (Kickboxen), Europameister (Brazilian Jiu Jitsu).
Alen Kolic, Jg. 1988, Sportpädagoge, NLP-Coach. Wegen Unfällen keine eigenen Titel. Als Coach Begleitung mehrerer Welttitel.
Nächste Wettkämpfe:
7. – 17. August: World Games, China
12. – 21. September: Youth EM, Italien
19. Oktober: Berner Cup, Wankdorfhalle (Publikum willkommen)
24. November: Elite WM, Abu Dhabi

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