Gewinnerin Bertha-Medaille

Vom Wert des Miteinanders

Lukas Tschopp
Sarah Messerli, die zweite Gewinnerin der Bertha-Medaille.

Foto: zvg

Einfach erklärt

Sarah Messerli ist Präsidentin des Quartiervereins Bethlehemacker. Wie es mit dem Verein weitergeht, ist noch nicht klar. Es gibt nicht mehr viele Mitglieder und er ist im Moment obdachlos.

Sich im Wohnquartier fürs Sozialleben stark machen – für Sarah Messerli ein Selbstverständnis. Im Herbst hat sie neben Claudia Galasso, über die wir in der letzten Ausgabe diese Zeitung geschrieben haben, dafür die Königin Bertha Medaille erhalten. Trotzdem blickt sie als Präsidentin des Quartiervereins Bethlehemacker in eine ungewisse Zukunft.

Sarah Messerli weiss, wie es sich anfühlt, verschiedene Rollen unter einem Hut zu vereinen. «Zunächst bin ich ein echtes Bethlehemkind und im Gäbelbach als Tochter einer alleinerziehenden Mutter gross geworden», erzählt sie bei einem Kaffee im Gemeinschaftsraum an der Melchiorstrasse. «Dann bin ich in erster Linie Ehefrau eines Hauswartes, welcher sich bereits als Neunjähriger in ‹seinen› Block verliebt hatte.» Sein Block, das war einer der insgesamt fünf Wohnblocks, die bis Mitte Siebzigerjahre in der Wohnbausiedlung Bethlehemacker erbaut wurden.

Seit 12 Jahren

«Gemeinsam ziehen wir in diesem Quartier drei muntere Kinder zwischen 8 und 17 Jahren gross. Als Heilpädagogin arbeite ich 90 % in der Volksschule, wo ich Lehrpersonen in ihrer vielfältigen Arbeit unterstütze. Daneben amte ich seit fast 12 Jahren als Präsidentin des Quartiervereins Bethlehemacker.» Für dieses Engagement hat Sarah Messerli Ende Oktober die «Königin Bertha Medaille» erhalten. Diese Auszeichnung vom Verein westkreis6 wird alljährlich an Leute vergeben, die sich entweder als Quartier-Botschafterinnen und -botschafter nach aussen, oder aber als engagierte Anpackerinnen und Anpacker besonders ins Zeug gelegt haben.

Fehlende Aktivmitglieder

Gleich zu Beginn des Gesprächs macht Sarah Messerli klar, dass das freiwillige Engagement auf Quartiervereinsebene mit fehlenden primär jungen Aktivmitgliedern zu kämpfen hat. «Ich wünsche mir mehr aktive Mitglieder im Verein.» Dass man sich sozial engagiert, sich für Schwächere einsetzt und das eigene Wissen mit anderen teilt, ist für die Heilpädagogin eine Selbstverständlichkeit. Das hat sie selbst von Zuhause mitbekommen; und gibt es entsprechend an ihre eigenen Kinder weiter. «Als ich noch klein war, setzte sich meine Mutter für die Quartierkinder ein. Die Kinder machten bei uns Hausaufgaben, lasen Bücher, lernten Deutsch, zogen Kerzen, töpferten, backten, erholten sich von den Strapazen der Schule, konnten bei uns essen und schlafen. Heute helfe ich meiner Mutter im Schulgarten, der inzwischen zu einem grünen Tor zur Schule Bethlehemacker angewachsen ist.»

An Bedeutung verloren

2006 trat Sarah Messerlis Partner und Ehemann Nexhat Lokaj im Bethlehemacker seine Stelle als Hauswart an. Da wuchs ihr Interesse an einem Quartierverein – und machte Bekanntschaft mit einem traditionsreichen Verein, der bereits in den Siebzigerjahren gegründet wurde. «Früher wurde in diesem Verein viel gefeiert. Man organisierte gemeinsam den Alltag und das Leben im Quartier. Gartenbau, Spielabende, Turnstunden, Strick-Ateliers – das Angebot war äusserst vielfältig», erzählt die Preisträgerin. «Um die Jahrtausendwende eröffnete sich den Menschen im Quartier ständig schnelleren, einfacheren Zugang zu alternativen Betätigungen, beschleunigt durch den digitalen Wandel. Dadurch hat unser Verein mit den Jahren an Bedeutung verloren», relativiert Messerli ihre heutigen Möglichkeiten im Bethlehemacker.

Ungewisse Zukunft

Statt den Kopf in den Sand zu stecken, nahm Sarah Messerli den «digitalen Faden» auf und erstellte eine vereinseigene Website. 2012 übernahm sie das Vereinspräsidium. Zwei Jahre später feierte der Verein sein vierzigjähriges Bestehen. Für die dreifache Mutter die ideale Gelegenheit, um das bis dato verebbte Fussball-Grümpelturnier wieder ins Leben zu rufen. Mitunter dank der Organisation solcher Events fand der Quartierverein zu neuem Leben zurück. «Nächstes Jahr können wir bereits auf das fünfzigjährige Jubiläum anstossen. Jetzt bin ich mir am überlegen, wie und ob es für mich im Verein überhaupt weiter gehen soll», blickt Sarah Messerli in eine ungewisse Zukunft. Der Quartierverein zählt heuer rund 60 Mitglieder, wobei die Suche nach mehr engagierten, freiwilligen Helferinnen und Helfern momentan auf Eis gelegt ist. Grund: Der Quartierverein ist obdachlos. Trotzdem schöpft die Preisträgerin Hoffnung für die Zukunft des Vereins: nämlich dass sich die Berner Genossenschaft FamBau und die Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit (vbg) proaktiv mit dem Quartierverein Bethlehemacker auseinandersetzten. «Klar ist, dass ich mich auch in den kommenden Jahren in der einen oder anderen Weise aktiv einbringen werde im Quartier. Oft sind es die scheinbar kleinen Dinge, wie ein gemeinsames Essen, ein Spiel- oder Bastelnachmittag, der viel Gutes bewirken und den Zusammenhalt im Quartier stärken kann. Ich bin mir meinen Privilegien als weisse Schweizerin bewusst und gleichzeitig ein überaus dankbarer Mensch. So will ich den Menschen in meinem Umfeld auch künftig etwas zurückgeben. In welcher Form genau, bin ich mir am überlegen.»

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