Acht WOchen Ferien für Lernende – Luxus oder fällige Notwendigkeit?

Ungleichgewicht – Berufslehre in der Krise?

Tabea Kryemadhi
Lernende fordern mehr Ferien (Symbolbild).

Foto: zvg/EE

Einfach erklärt
 
Jugendliche haben einen offenen Brief an den Bundesrat geschrieben. Die Forderung: acht Wochen Ferien für Lernende. Bis jetzt haben über 168'000 diesen Brief online unterzeichnet.

Es ist eigentlich ein Erfolgsmodell und Export-Schlager der Schweiz: das duale Bildungssystem. Erst kürzlich konnte Bundesrätin Karin Keller-Sutter in den USA damit punkten, indem sie Hilfe bei der Einführung eines solchen Systems in den Staaten anbot – im Gegenzug zu tieferen Zöllen. Doch eine Umfrage der UNIA ergab im Jahr 2024, dass mehr als die Hälfte der befragten Lernenden gestresst und erschöpft ist und jede vierte Lehre abgebrochen wird. Die Berufslehre steckt in der Krise. Um sie zu stärken, hat sich eine Allianz formiert, zu der unter anderem die Jugendkommission des Schweizerischen Gewerkschaftbundes (SGB), die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) sowie namhafte Bildungsexpertinnen und Lehrpersonen, wie etwa Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, gehören. Gemeinsam fordern sie acht Wochen Ferien für Lernende.

Die Lehre muss attraktiver werden

Es werde zu wenig in die Lernenden und in substanzielle Verbesserungen der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen investiert, so das Statement der Allianz. Öffentliche Mittel für die berufliche Grundbildung stagnieren, dafür wird viel in Hochschulen investiert. Deshalb soll die Berufslehre mit acht Wochen Ferien wieder an Attraktivität gewinnen, damit sie im Vergleich zu einer gymnasialen Ausbildung, bei der 13 Wochen Ferien Standard sind, besser mithalten kann. Denn in der UNIA-Umfrage gaben zwei Drittel der Jugendlichen, die in einer Berufslehre  sind, lange Arbeitszeiten und weniger Ferien als eine ihrer Top-3-Sorgen. Sie hätten deshalb Mühe, sich zu motivieren. Acht Wochen Ferien würden also helfen, Krankschreibungen zu verringern und die Lernmotivation und psychische Gesundheit zu stärken.

Mehr Freiheit für Arbeitgeber

Gegen diese Forderungen hat sich der Schweizerische Arbeitgeberverband gestellt. «Nicht thematisiert wird von Seite der Initiantinnen und Initianten erstens, dass zwar mehr Ferien gefordert werden, die Lernziele aber dieselben bleiben. Die Konsequenz wäre mehr Stress für die Lernenden während der Ausbildung, oder, dass die Ausbildungszeit verlängert werden müsste. Zudem würden zweitens die Kosten für die Betriebe steigen, da es sich im Gegensatz zu den Gymnasien um bezahlte Ferien handelt, schreibt Nicole Meier, Ressortleiterin Bildung, in einem Statement auf der Webseite des Arbeitgeberverbands. Sie plädiert darum mehr auf Freiwilligkeit: Arbeitgebende dürfen ihren Lernenden jederzeit mehr Ferien gewähren, der im Obligationenrecht geregelte Ferienanspruch ist ein Mindestwert.

Sind acht Wochen zu viel?

Es ist Sonntagmittag an einem Familientisch im Gürbetal. Der Brief ist auch hier Thema. «Oh, mehr Ferien würde ich sofort nehmen», sagt die mittlere Tochter gleich begeistert. Sie hat vor zwei Jahren eine Lehre als Fachfrau Gesundheit abgeschlossen und liebt es, zu reisen. Acht Wochen während der Lehre hätte sie demnach sehr sympathisch gefunden. Die Jüngste im Bunde, die gerade ihre Lehre als Fachfrau Betreuung abgeschlossen hat, ist da nicht gleicher Meinung. «Obwohl ich die Ausbildung anstrengend fand und manchmal gerne mehr Erholung gehabt hätte, finde ich, dass acht Wochen zu viel sind. Sechs oder sieben wären besser.» Die Betriebe seien auf die Lernenden angewiesen und hätten Mühe, wenn sie ihnen so viel Ferien geben müssten. Das findet auch der ältere Bruder der beiden. Er hat eine Lehre als Heizungsmonteur und eine zweite als Sanitärinstallateur absolviert. «Besonders kleine Betriebe sind auf die Arbeitskraft der Lernenden angewiesen. Acht Wochen ist für einen kleinen Betrieb sehr viel zum Entbehren.»

 Es hapert an anderen Stellen

Gewisse Detailhändler wie Coop oder Migros bieten bereits freiwillig sechs Wochen Ferien für ihre Lernenden an, um an Attraktivität zu gewinnen. «Wir versuchen stets, den Lernenden genügend Zeit zu geben, damit sie Schule und Arbeit unter einen Hut bekommen, indem wir ihnen nebst den sechs Wochen Ferien auch genügend Samstage frei geben», so eine stellvertretende Filialleiterin eines führenden Detailhändlers in Bern. Die acht Wochen Ferien wären auch kein Problem zum Einplanen, sagt sie. Aber die Lehre im Detailhandel sei trotzdem nicht attraktiver, da immer noch an Samstagen gearbeitet werden müsse und lange Arbeitstage die Norm seien. Ob sich acht Wochen also positiv auswirken würden, ist fraglich. «Aber gönnen würde ich es ihnen schon», so die Detailhändlerin.

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