Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) nimmt die Sorgen des Stadteils VI ernst

Über verkehrten Verkehr und mystische Mythen

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Berner Gemeinderat Matthias Aebischer (SP), Direktionsvorsteher Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün sowie Nationalrat Lars Guggisberg.

Foto: zvg

Einfach erklärt
Bümpliz wählt anders als der Resten von Bern. Ein Zeichen von Unzufriedenheit? Ja und nein, wie Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) und Nationalrat Lars Guggisberg (SVP) feststellen.
«Das Gewerbe fühlt sich in der Stadt nicht mehr willkommen», sagt der Direktor des KMU Kanton Bern und Nationalrat Lars Guggisberg (SVP). Im KMU Bern West findet er für diese Aussage viel Zustimmung. Für die Solidarität zwischen den Stadtteilen ist das wenig förderlich, wie das stark abweichende Wahlverhalten der Bümplizer gegenüber den anderen Stadtteilen zeigt. Direktionsvorsteher für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün, Gemeinderat Matthias Aebischer (SP), differenziert und entschärft.

Bümpliz ist nicht Bern. Und ist es doch. Der Stadtteil VI ist multikulturell, lebensfroh, gewerbefreundlich. Letzteres unterscheidet ihn deutlich von anderen Stadtteilen. Klammert man die überproportional vielen Verwaltungsjobs in Bern aus, avanciert Bümpliz/Bethlehem zu jenem Ortsteil, der die meisten Lehrberufe Berns anbietet. Gleichzeitig wächst der Stadtteil VI stärker als alle anderen Stadtgebiete. Eine erstarkte Minderheit, in der sich viele dennoch an den Rand gedrängt fühlen. Bagatellisiert von einem übermächtigen Restbern.

«Ich kenne das»

Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) wischt dieses Gefühl nicht etwa vom Tisch. Im Gegenteil: «Wenn etwas gefühlt wird, muss man es ernst nehmen.» Die Bereitschaft, hinzuhören und hinzusehen, kommt bei ihm nicht von ungefähr. «Als gebürtiger Schwarzenburger kenne ich dieses Gefühl, dass die Städter mir nicht auf Augenhöhe begegnen.» Mittlerweile dürfte sich das gewaltig verändert haben. Aebischer ist selbst Stadtberner und fühlt sich wohl. Auch in Bümpliz. Er streicht den Bümpliz Märit heraus. Offen für alle, ein Treffpunkt für einen ganzen Stadtteil, organisiert vom KMU Bern West. «Ich rede mit allen und ziehe alle Meinungen mit ein», ergänzt er. Doch nicht jedes Gefühl, nicht jede Meinung ist mit genügend Fakten untermauert, deshalb «muss ich herausfinden, ob einfach gemotzt wird oder ob es sich um ein konkretes Anliegen handelt.»  

Wirtschaft ist nicht gleich Wirtschaft

Was die Probleme der Gewerbetreibenden angeht, so dürften diese ziemlich konkret sein. «Die Stadt wird verbarrikadiert, Parkplätze verschwinden, Gewerbler kommen kaum noch in die Stadt. Wer es sich leisten kann, verzichtet auf Aufträge in der Stadt. Soweit ist es schon gekommen. Weg von Bern zu gehen ist für viele eine prüfenswerte Alternative geworden», schlägt Nationalrat Guggisberg Alarm. Im Stadtteil VI fordern städteplanerische Vorhaben, dass alteingesessenes Gewerbe verschwinden muss. Steuerzahler, Ausbildende, Arbeitsplätze, sie drohen aus der Stadt zu fliehen. Klar, die neuen Überbauungen sehen erneut Gewerbeflächen vor. Doch gemeint sind Dienstleister für die Bewohnenden, das eigentliche Gewerbe ist nicht mehr erwünscht. Aebischer zeigt erneut viel Verständnis. «Ich bin gewerbefreundlich und stehe mit den Wirtschaftsverbänden in einem guten Kontakt.» Das Beispiel folgt auf dem Fusse, denn im Stadtberner Gewerbeverkehr tut sich was. Ein Pilotprojekt, bei dem der Wirtschaftsverkehr Buslinien nutzt, die Monbijoubrücke passieren oder zwischen der Reithalle und dem Kunstmuseum links abbiegen darf. «Wirtschaftsverkehr soll bevorzugt behandelt werden», fasst er zusammen, warnt aber auch gleichzeitig: «Wirtschaftsverkehr ist nicht gleich Wirtschaftsverkehr. Wenn jemand mit seinem Offroader in die Stadt fährt, um ein Glas Wein zu trinken, dann zähle ich das nicht dazu.» Es geht um die Handwerker im Einsatz. Dem Präsidenten des KMU Stadt Bern, Peter Steck, ist dies bewusst. Er hat die Pilotprojekte an den Versammlungen bereits vorgestellt und eindringlich vor dem Missbrauch gewarnt, damit man diese Chance als Gewerbe verantwortungsvoll nutzt und nicht missbraucht. Aebischer erwähnt eine weitere Verbesserung, die für den Wirtschaftsverkehr angedacht ist. Anwohnende in der Innenstadt parkieren zukünftig ihre Fahrzeuge im Rathaus-Parking. Das sorgt für mehr Platz, wenn Gewerbetreibende in die Innenstadt müssen. Noch ist es nicht so weit, es sind einige Beschwerden hängig.

Was alle wieder vereint

Guggisberg freut sich, dass Aebischer ein offenes Ohr hat und die Probleme in die Hand nimmt. Der Gemeinderat selbst meint: «Mit den bürgerlichen Politikern habe ich ein gutes Verhältnis.» Janosch Weyermann oder Thomas Fuchs als Bümplizer Spitzenpolitiker erwähnt er dabei explizit. Wobei der Stadtteil VI im Stadtrat durchaus untervertreten ist. Nur 6 von 80 Personen sind aus dem Westen von Bern. Für ungelöste Probleme, wie etwa die Anzahl Parkplätze, die einem Betrieb zustehen, fehlt schlicht die Durchschlagskraft auf politischer Ebene. «Und wenn man immer unterliegt, wird man irgendwann müde, resigniert oder zieht weg», so Guggisberg. Eine Lösung könnte der Grossraum Bern sein. Gemeindegrenzen werden unwichtiger, Projekte sind oft überkommunal zu bewältigen. Das weiss Aebischer nur zu gut. «Als Verkehrsdirektion wissen wir, dass jeder Veloweg, jede Strasse, das Fusswegnetz, alles muss über die Gemeindegrenzen hinweg führen und zusammenspielen.» Gemeindeübergreifend achtet die Regionalkonferenz Bern Mittelland darauf, Lösungen in verschiedenen Bereichen zu erarbeiten. «Bern und Köniz haben zusammen so viele Stimmen, dass die anderen Gemeinden untergehen und nicht dagegen ankommen können», stört sich Guggisberg aber an diesem System. Aebischer sieht das anders. «Es gibt 223 Stimmen, 46 davon hält Bern inne, Köniz deren 16. Das sind zirka ein Viertel der Stimmen.» Die Zusammenarbeit erachtet er als gut und konstruktiv. Recht haben vermutlich beide. Der Grossraum Bern hat Möglichkeiten, zusammenzuarbeiten, positive Projekte, wie etwa den Wärmeverbund Bern-Wabern, gibt es zahlreiche. Anderseits greift Guggisberg seine Aussagen nicht aus der Luft. Die Gemeinde Oberbalm zum Beispiel ist ländlich, schlecht angeschlossen, muss aber aufgrund ihrer Luftliniennähe zu Bern als Prämienregion 1 gelten und bezahlt genau gleichviel wie Bern oder Köniz für seine Einwohnenden. 600 Franken pro Person, mehr als die unmittelbar benachbarten ländlichen Gemeinden. Hilfe für das 862 Menschen zählende Dörflein? Fehlanzeige. «Ich glaube, der partnerschaftliche Austausch, von dem mein Vater als Gemeindepräsident von Kirchlindach noch erzählte, ist trotz Regionalkonferenz kleiner geworden», sagt Guggisberg. Dennoch ist das alles vereinfachende Element genau dieser Grossraum Bern. Ob Köniz, Oberbalm, Bern oder explizit Bethlehem, sie alle verbindet die Zugehörigkeit zum Grossraum Bern. Dazu zählen auch einige der Senslergemeinden wie Flamatt, Bösingen oder Schmitten. «Um das Herz und den Geist einer ganzen Region zu fördern, müssen wir Kantonsgrenzen, Gemeindegrenzen, Rösti-Sensegraben – all das vergessen. Eine starke Region Bern ist mit nationaler Sicht wichtig», betont der Freiburger Grossrat Nicolas Bürgisser (FDP). Und genau hier treffen sich Gemeinderat Matthias Aebischer und Nationalrat Lars Guggisberg. «Die Stadt Bern kann nicht alleine wirken, sie braucht all die anderen Gemeinden und der Austausch mit ihnen ist mir sehr wichtig», betont Aebischer zum Schluss. Ganz ähnlich klingt es bei Lars Guggisberg: «Wir müssen uns alle auf Augenhöhe begegnen können. Ich setze in den neuen Berner Gemeinderat grosse Hoffnungen, dass er die Probleme anpackt und löst.»

Der Stadtteil VI offenbart also keine Sonderfälle, sondern Probleme, die ein Grossraum immer hat. Speziell an Bümpliz ist einfach, dass sie hier das Wachstum, die Wirtschaft und der Verkehr zusammenkommen. Doch der Stadtteil VI darf auch zufrieden feststellen, dass sich Matthias Aebischer der Probleme annimmt und der KMU Direktor Lars Guggisberg genau hinschaut, ob das Gewerbe so bestehen kann. Politik ist mit solchen Politikern eben ein offener Dialog. In diesem Fall über verkehrten Verkehr und mystische Mythen.

GEKENNZEICHNET:
Teile diesen Artikel

Neue Beiträge

Lieber gelungener Einstieg als unerreichter Traum

Was ist mein Traumberuf? Vielleicht ist diese Frage gar nicht so wichtig. Jugendliche sollen anhand ihrer Stärken und Inte-ressen vor allem einen guten Einstieg ins Erwerbsleben finden, rät eine Berufs-…

Von Salome Guida 1 Min. zum Lesen

Erhalten und geben: Die Vertrauensmacherin

Ihr Lachen ist ansteckend, ihr Blick fokussiert und ihre Worte wohlgewählt. Die…

Von Sacha Jacqueroud 4 Min. zum Lesen

Mit Schere und Herz zur eigenen Berufung

Für viele junge Berufssuchende ist der Beruf Coiffeur/Coiffeuse nicht die erste Wahl.…

Von Christine Vogt 5 Min. zum Lesen

Zuhause in Bümpliz – mit einer Stimme für Afrika

Issa Abdullahi, gebürtiger Nigerianer und wohnhaft im Schwab-gut, Bümpliz, setzt sich seit…

Von Tabea Kryemadhi 5 Min. zum Lesen

Lust und Leidenschaft für Landschaftsbau

Er leitet die Böhlen Landschaftsbau GmbH. Er hat vor wenigen Wochen die…

Von Sacha Jacqueroud 5 Min. zum Lesen