Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest bleibt den Bernern der Königstitel verwehrt

Über Pechvögel und Höhenflieger

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Fabian Staudenmann bodigt Domenic Schneider im 7. Gang und wird nur mit 9.75 «belohnt».

Foto: zvg

Einfach erklärt
Am Eidgenössischen Schwinger- und Älplerfest gewinnen die Berner soviele Kränze wie kein anderer Verband. Schwingerkönig wird dennoch ein Nordostschweizer. Unvermögen der Kampfrichter erschwerte die Berner Mission.
Nervenaufreibend war es speziell für den mittelländischen Schwingverband. Je länger das Fest dauerte, desto klarer war, dass es die grossen Ostschweizer Festspiele werden sollten. Trotz einer sonntäglichen Aufholjagd vom in Bern wohnhaften Fabian Staudenmann.

Nach einem gestellten 1. Gang gegen Mit­favorit Samuel Giger, sieht es für den Kronfavoriten Staudenmann nach zwei darauffolgenden Siegen Gängen noch gut aus. Dann aber breitet der Kampfrichter im 4. Gang wenige Sekunden vor Schluss seine Arme aus und beschliesst, dass der Ostschweizer Werner Schlegel gewonnen hat. Aus Berner Sicht zumindest kein allzu klarer Entscheid. Staudenmann rutscht nach dem ersten Tag in der Tabelle etwas nach hinten, Schlegel im Gegenzug an die Spitze. 

Umstrittene Kampfrichterentscheide sollten auch den Sonntag prägen. Erneut gehört Staudenmann zu jenen, die nicht gerade vorteilhaft davonkommen. Nach zwei Siegen am Sonntagmorgen gewinnt Staudenmann auch gegen den 150-Kilogramm-Brocken Domenic Schneider. Die Bestnote ist gefordert, um noch Chancen auf den Schlussgang zu erhalten. Ein schier unglaublicher Kraftakt. Staudenmann hebt den Koloss auf und donnert ihn zu Boden. 9.75 statt 10.0, befinden die Kampfrichter. Aus der Traum vom Schlussgang. Das ist dann zu viel des Guten mit den Fehlentscheidungen, befinden die Berner und legen Rekurs ein. Ohne dass dieser Wirkung zeigte. Aber Diskussionen: «Es hat viele Fehlentscheide gegeben, es war noch selten so offensichtlich wie an diesem ESAF», sagt Matthias Sempach. «Ich bin auch dieser Meinung», schliesst sich Christian Stucki an. 

Schlussendlich belegt Staudenmann Rang 2. Dieser um­strittene Viertel aus dem Kampf gegen Schneider sorgt dafür, dass Staudenmann nicht in den Schlussgang darf. Angesichts der unglücklichen Bewertung müsste man eigens für ihn glatt den Vizeschwingerkönigstitel erfinden. Die anderen Berner Favoriten Michael Moser, Curdin Orlik, Martin Walther, Michael Ledermann und Matthias Aeschbacher holen allesamt Spitzenplätze (Ränge 3,4 und 5). Doch die Nordostschweizer verkeilen und beis-sen sich an der Spitze regelrecht fest. Mit allen Mitteln, da schubst Damian Ott auch mal eine Kamera auf die Seite und Werner Schlegel gestikuliert wortreich vor den Kampfrichtern. Wenig Kampfrichterglück bekundet zudem Titelverteidiger Joel Wicki. Rang 9b für den Innerschweizer. Neuer Schwingerkönig darf sich Armon Orlik nennen. Im rein nordostschweizerischen Duell zwischen Samuel Giger und Werner Schlegel gibt es nach 16 Minuten keinen Sieger. Orlik erbt dank eines Sieges über Pirmin Reichmuth.

Für Aufsehen sorgt der 31-jährige Emmentaler Landwirt Fritz Ramseyer. Es brauchte schon fünf Eidgenossen und zwei Topfavoriten auf seinem Notenblatt, um den zähen Emmentaler zurückzubinden. Eidgenosse wird er trotzdem. Eine weitere Berner Erfolgsgeschichte, neben Fabian Staudenmann, schreibt Michael Ledermann. Nach langer Verletzungspause fehlten dem Schwarzenburger eigentlich etliche Wettkämpfe. Davon war wenig zu spüren. Nach drei Gestellten und einem Sieg am Samstag kam er immer besser im Wettkampf an. Am Sonntag gewann Ledermann sämtliche vier Gänge und bodigte unter anderem die Eidgenossen Samir Leuppi und Martin Roth. Rang 4b bedeutet nach dieser Saison eine ausser­ordentliche Spitzenleistung. Bemerkenswert auch die Leistung von Lukas Tschumi, der Knall auf Fall Eidgenossen wird. Neukranzer werden zudem Adrian Klossner und Etienne Burger. «Die Werte vom Schwingsport sollten ausserhalb vermehrt wieder Einzug finden. Werte sind Grundlagen für das Zusammenleben im Land», sagte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter an ihrer Festrede. Was für eine schöne Brücke aus dem gelungenen Fest in Mollis Richtung des Lebens aller Schweizerinnen und Schweizer. Auch dort gibt es Pechvögel und Höhenflieger. Doch bekanntlich haben nicht immer dieselben Pech und jeder Höhenflug muss auch einmal enden. Das nächste ESAF in drei Jahren in Thun kommt. Mit neuen Pechvögeln und Höhenfliegern. Und das soll auch für die Kampfrichter gelten, die dann hoffentlich zu Höhenflügen ansetzen, statt jene gewisser Schwinger zu vereiteln.

GEKENNZEICHNET:
Teile diesen Artikel

Neue Beiträge

Back to the Future

Wer bei der Buchbinderei Gschwend AG an der Freiburgstrasse 251 eintritt, befindet sich in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der rechten Seite findet und hört man die…

Von Thomas Bornhauser 3 Min. zum Lesen

Wenn aus Hochhäusern Wolkenkratzer werden

Zwischen dem Freibad Weyermannshaus und dem Europaplatz ist das Schlüsselareal im Entwicklungsschwerpunkt…

Von Sacha Jacqueroud 1 Min. zum Lesen

Dunkle Schatten über der Dorfstrasse

Fast möchte man meinen, ein Hinterkappeler wäre unlängst Schwingerkönig geworden. Viele Transparente…

Von Sacha Jacqueroud 1 Min. zum Lesen

«Hätte ich helfen können?» – Hilfe für Hinterbliebene

Partnerinnen, Freunde, Kinder, Eltern, Lokführer oder Mitarbeitende von Blaulichtorganisationen: Ein Suizid betrifft…

Von Salome Guida 1 Min. zum Lesen

Wie der wirtschaftliche Westen gezähmt wird

Die Stadt Bern ist auf den Stadtteil VI angewiesen, um ihre Wohnungsprobleme…

Von Sacha Jacqueroud 6 Min. zum Lesen