Zehn Wochen lang war ich mit einem Gips am Fuss nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Als ich von diesem Ding endlich befreit wurde, konnte ich sofort ganz normal laufen. Was für mich auch hiess: Am nächsten Tag ab ins Wallis, nach Vercorin. Die Krux: Für den nächsten Tag waren starke Schneefälle angesagt, zumindest im Jura und der Nordostschweiz, nix Wallis, emu nid usdrücklech. Meine Familie fand mein Vorhaben keine so wirklich gute Idee. Gegen Mittag begann die Fahrt in Richtung Fribourg-Vevey-Martigny-Sierre. Bis Fribourg nasse Autobahn, anschliessend legte sich die Autobahn ein weisses Kleid zu.
Blindflug
Es ging nach den Tunnels bei der Raststätte Gruyères im gleichen Stil weiter, nach einer halben Stunde runter an den Genfersee. Im Gegenverkehr waren einige Autos auf dem Pannenstreifen zu sehen, welche den Aufstieg nicht schafften, die Sommerreifen-Fraktion unter sich. Was für Löli! Il neige. Nach den beiden Tunnels Höhe St. Maurice war definitiv fertig lustig. Vollsperrung der Autobahn, es ging auf Kantonsstras-sen Richtung Martinach weiter, wie die Ortschaft im Deutschwallis genannt wird.
Nach Martigny eine Art Blindflug nach Sion und anschliessend zur Autobahnausfahrt Sierre-Ouest. Diese Ausfahrt nach Vercorin schien blockiert, gar nichts bewegte sich. Nach ungefähr fünf Minuten schloss ich mich jenen an, die aus dem Pannenstreifen ausscherten und durch den Tunnel nach Sierre-Est fuhren, um beim grossen Kreisel auf der anderen Seite zurückzukehren. Der Grund des vorherigen Stillstands war zu sehen: Ein Sattelschlepper stand quer. Nach ungefähr 25 Minuten Umweg fuhr ich in Chalais ein, wo es 10 Kilometer rauf nach Vercorin geht. Die Strecke kenne ich blindlings, ein Vorteil bei solchem Wetter. Es ging denn auch alles bestens, bis zur allerletzten Haarnadelkurve, 800 Meter vom Dorf entfernt. Der Motor starb ab, die Karre liess sich nicht mehr bewegen, die Räder drehten durch. Ich auch. Was jetzt? Nach einer halben Stunde des vergeblichen Versuchens rief ich bei der Ford-Assistance an.
«Willkommen bei der Ford Assistance. Bienvenue chez Ford Assistance, Welcome to Ford Assistance, Benvenuto…» Sie wissen schon. «Für Deutsch drücken Sie sie die Eins», etcetera. Weitere Details erspare ich Ihnen und mir. Fazit: Ich musste einen Ford-Partner in der Region anrufen. Der konnte aber auch nicht helfen, alle Abschleppfahrzeuge seien unterwegs. Immerhin der Tipp, ich solle die Karre am Rand ab- und das Pannendreieck aufstellen. Morgen könne man sicher helfen. Merci beaucoup.
Gérard und Justin als Retter
Gérard, den ich kenne, fuhr mit seinem kleinen Suzuki in Richtung Chalais an mir vorbei, hinter ihm Landschaftsgärtner Amacker, von dem in Vercorin niemand den Vornamen zu kennen scheint. Einfach Amackär. Er in einem grossen SUV mit Ladefläche. Auch er hielt an. Sie wollten es mit Abschleppen versuchen.
«Ist das ein 4×4?»
«Nein, hat aber Vorderradantrieb…»
«Hast du Ketten?», wollte Gérard wissen.
«Nein, bis heute habe ich noch nie welche gebraucht, auch auf Schnee nicht. Es sind Winterreifen.»
«Einmal ist das erste Mal… Ein Abschleppseil?»
«Abschleppseil? Nein, habe ich auch noch nie gebraucht.»
«Amackär hat eines. Wo ist dein Abschlepphaken?»
«Abschlepphaken?»
«Schau mal bei den Werkzeugen für das Reserverad nach.»
Und siehe da, dort lag das Kerlchen. Der zu langen Nachrede kurzer Sinn. Amacker zog mich bis zum Wohnhaus hoch, obwohl auch seine Karre Mühe hatte, die Spur zu halten. Kunststück. Ich lud die beiden Herren – Gérard war uns gefolgt – sofort zum Apéro im White Shop ein, samt einem «Abschleppgeld». Item: Fünf Stunden brauchte ich für die Strecke Wohlen-Vercorin, sonst überlicherweise 1 Stunde und 50 Minuten. Und Amacker heisst übrigens Justin mit Vornamen.