«Im ‹Belcanto Coffee & Brunch› steckt die Brunch-Liebe bereits im Namen. Mit mehr als 40 Prozent aller Stimmen wurde das Lokal an der Berner Bethlehemstrasse zur beliebtesten Brunch-Location des Landes gewählt.» (Anmerkung des Autors: Im «realen» Leben ist das Lokal mittlerweile nicht mehr in Bümpliz, sondern im Breitenrainquartier). So steht es in einem Gastronomiemagazin zu lesen. Mit Brunch verbindet man automatisch den Sonntag, so auch in diesem Fall. Noah (10), dem es zu Tisch ziemlich schnell langweilig wird, spaziert deshalb in der Umgebung herum und kommt nach einigen Minuten völlig aufgeregt zu seiner Familie ins Belcanto zurück. «Da hinten liegt ein Mann!», was die Anwesenden schmunzeln oder den Kopf schütteln lässt. Kindliche Fantasien, die sich aber schnell in Luft auflösen, als der Vater dem Bub zuliebe nachschaut. Keine Viertelstunde später sind die ersten Ermittler vor Ort, unterstützt durch Kolleginnen und Kollegen des örtlichen Polizeipostens. Nach und nach gesellen sich weitere Spezialisten dazu, so auch die Staatsanwaltschaft.
Merkwürdige Aufforderung
Rechtsmedizinerin Esther Hasler reagiert nach der obligaten Frage von Dezernatsleiter Viktor Kneubühl wie in den meisten Fällen: «Fige, Näheres nach der Obduktion. Was sich vermuten lässt: Der Mann dürfte keine 30 Jahre gelebt haben, ist seit ungefähr 24 Stunden tot, vermutlich Schädelhirntrauma nach einem Schlag mit einem stumpfen Gegenstand. Fundort kaum Tatort. Der KTD kann vielleicht mehr sagen.» Und tatsächlich: Urs Rütimann gibt dem Toten einen Namen, weil zur Fahndung ausgeschrieben: Sherdan Liechti, schweizerisch-albanischer Doppelbürger, gesucht wegen Drogendelikten.
Regula Bürki, Mitarbeiterin von Kneubühl im Dezernat Leib und Leben der Kantonspolizei Bern, bemerkt, dass die Avia-Tankstelle – durch einen Spar-Express-Laden ergänzt – mit Video überwacht wird. Nur… Wie das Leben manchmal so spielt: Seit gestern defekt, Wochenende, der Servicetechniker kommt morgen Montag. Immerhin: In der Zwischenzeit ist es den Ermittlern gelungen, einen möglichen Aufenthaltsort von Sherdan Liechti ausfindig zu machen, womit umgehend eine Polizeipatrouille an ein Hochhaus im Holenacker beordert wird, mit hörbaren Vorbehalten von Kneubühl. Zu Recht, denn wenn schon eine Adresse vorhanden ist, weshalb hat man dort nicht schon lange zuvor geklingelt? So konnte es nicht erstaunen, dass wenig später ausser einer bereits am Sonntagmorgen alkoholisierten und ungepflegten Frau niemand in der Wohnung vorgefunden wurde. Die Frau verabschiedete die Beamten mit Schimpf und Schande, weil «der Typ sich seit Monaten nicht mehr hier gezeigt hat, ich weiss nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt!»
Die Drehzahlanzeige strapaziert
Logisch, wurden auch die Ermittler im Drogendezernat kontaktiert. Zwei Beamte fuhren umgehend zum Fundort, dieser inzwischen mit Sperrband und Schutzzelt für Neugierige nicht einsehbar. Michel Zurbuchen benutzte die nächsten Minuten, um seine Kontakte in die Szene zu aktivieren. Mit einem ersten Erfolg. Liechti sollte sich am Samstag mit anderen Dealern getroffen haben. Traktandenliste unbekannt, ebenso Treffpunkt. Keine fünf Minuten später erhalten die Ermittler einen interessanten Hinweis. Eine Anruferin berichtet – noch in Unkenntnis davon, was sich in Bümpliz ereignet hatte – davon, dass sie gestern zu einem Waldhüttenfest in der Spilwaldhütte nahe Riedbach eingeladen war. Als sie gegen 23 Uhr in ihrem Auto auf dem Parkplatz am Waldrand einen Pulli holen wollte, seien dort «sechs, sieben Männer» lautstark im Streit gewesen, worauf sie mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube ohne Pullover wieder zur Waldhütte zurückgekehrt sei. Kurz danach sei «mindestens ein Auto» mit überdrehendem Motor wegge-fahren. Ein Nummernschild habe sie sich merken können, «weil man ja nie weiss, ob das von Nutzen sein könnte.» Einige Männer hätten dann auf dem Parkplatz nachgeschaut, da sei jedoch niemand mehr gewesen. Die Frau wollte das der Polizei nur mal mitteilen, man wisse ja nie.
Eine halbe Stunde später erhielt der wegen Drogendelikten vorbestrafte Noah Richard in einem Wohnhaus an der Fellerstrasse Besuch von der Polizei, der 32-Jährige offensichtlich aus dem Tiefschlaf gerissen, noch ahnungslos, wie ihm gleich geschehen würde. Blutflecken im Kofferraum seines verschmutzten BMW X4 M40i Steptronic liessen indes keine andere Möglichkeit offen, als ihn zumindest vorübergehend festzunehmen und morgen Montag dem Haftrichter vorzuführen. Tage später sollte Richard zugeben, Liechti im Streit erschlagen zu haben. Der Fundort sei «rein zufällig» gewählt worden.