Feuilleton

Kennen Sie Pelvic Tool? Smart Air? SportBlast?

Thomas Bornhauser
Dank Gips Einblicke in die tiefen Sphären der TV-Werbung…

Foto: BO

Einfach erklärt
Der Autor musste während zwei Monaten einen Gips tragen. Währenddessen schaute er viel Fernsehen. Er amüsierte sich über die vielen Dauerwerbesendungen.
Während fast zwei Monaten war ich wegen einer Fussoperation mehr oder weniger immobil, mit Gips am Fuss und Krücken. Während dieser Phase hatte ich genügend Zeit, um zu lesen, zu schreiben und um TV zu schauen. Köstlich habe ich mich über die sogenannten Infomercials amüsiert, wo den Leuten «ganz aus-sergewöhnliche» Geräte oder «sensationelle» Schönheits- und Schlankheitsgütterli schmackhaft gemacht werden, selbstverständlich zu «unschlagbaren» Preisen.

Während Stunden fand ich mich in meiner Jugend wieder, mit «Schirm, Charme und Melone», «Columbo» (wo sogar Steven Spielberg zum Teil Regie geführt hat) oder «Laurel & Hardy». Ungeniessbar hingegen Sendungen wie «Meine Leben mit 300kg», «Dr. Pimple Popper» oder «Mein schlimmstes Sexerlebnis». Aber auch «Reeperbahn privat» oder «Jung, pleite, verzweifelt» mussten auf meine längere Aufmerksamkeit verzichten, fünf Sekunden reichten dafür aus.
Köstlich hingegen sind die Dauerwerbesendungen, in dem meisten Fällen von Stimmen der Moderatorinnen und Moderatoren mit einer Begeisterung begleitet, als ob YB auswärts schon in der ersten Halbzeit auf dem Weg zum vierten Treffer gegen Real Madrid wäre, meistens mit «Aber Halt! Das ist noch nicht alles!» unterbrochen. Die Breite der Angebote ist schier unendlich: Edler Schmuck und E-Bikes, Diätpillen und Gartenschaufeln.

Nehmen wir zum Beispiel jenes Gerät, welches die Beckenbodenmuskulatur für nur unglaubliche 595 Franken aufzeichnet. Es ist eine Art Zauberstab, auf den man sich bequem setzen kann, um dann in einer Handy-App die Ausschläge des Beckenbodens zu verfolgen. Swiss Made. Akku inbegriffen. Mit entsprechender Bedienungsanleitung tut man seinem Beckenboden Gutes. Spannen. Entspannen. «Höchstform» garantiert. Die Kurvengraphik in der App steigt steil an, um unmittelbar danach in sich zusammenzufallen, vermutlich ähnlich dem Inhalt eines Portemonnaies.
Die Apfel- und Essig-Brausetabletten zur Fettverbrennung versprechen Wundersames, sie werden als «Revolution» gepriesen, die 2-Monatspackung für 65 Franken. «Aber Halt!»: Wer sofort bestellt, kann das für 50 Stutz bewerkstelligen. Die Moderatorin ist begeistert, denn in nur einem Monat hat man allein in der Schweiz Tabletten für «80 Millionen Liter» des Gebräus verkauft. «Was für ein «Vertrauensbeweis!», wie sie vorschwärmt.
Ein kluges Kerlchen scheint der SmartAir zu sein. Das Gerät stellt man einfach auf einen Heizkörper. Weil warme Luft bekanntlich steigt (haben Sie das gewusst?), ist es bei normalen Radiatoren so, dass es im unteren Drittel eines Zimmers eher kühl bleibt oder sich die Luft unter dem Fenstersims staunt. Genau das verhindert der SmartAir: Er nimmt die Wärme direkt auf und verteilt es einem Ventilator gleich im ganzen Zimmer. Eine unglaubliche «Effizienzsteigerung», womit man Hunderte von Franken im Jahr sparen kann.

Der Spotblast für die Beseitigung von Flecken oder Tierhaaren auf Fauteuils oder Teppichen (auch gegen Schmutz- und Grasflecken auf Kleidern) wiederum funktioniert nach dem Prinzip «Sprühen. Bürsten. Saugen.». Heisst: Mit Wasser, das zuerst auf die zu behandelnde Fläche gesprüht und zum Schluss eingesaugt wird. Der mitzuführende Wasserbehälter erinnert an die Anfänge der Videokameras, als das schwere Aufnahmegerät mit einem Schulterriemen mitgeführt wurde. Oder an die ersten tragbaren Natel-Kisten. Logisch, der Sportblast schafft alles easy, der Dyson-Wash-G2 wundert sich nur noch. Staunen ebenfalls bei den Bread-, Potatoe- und Garlic-Behältern von… Tupperware und deren zehn Jahre-Garantie. Denn: Haben die ehemaligen Party-Veranstalter nicht gerade Konkurs angemeldet?

Mein unbestrittener Liebling, weil handwerklich total unbegabt: Die Rayzer Shovel von Hammersmith, ein Universal-Gartengerät, bei dem man sogar mit einem SUV drüberfahren kann, ohne dass es kaputtgeht. Mit der All-in-One-Rayzer-Schaufel aus Karbonstahl kann man sich glatt eine Handvoll handelsüblicher Gartengeräte ersparen. Es wird im Spot auch ein dummer Profi-Gärtner gezeigt, der mit mehreren Utensilien in seinem Garten herumhantiert, im Unwissen, dass es dafür die Rayzer Shovel gibt. Der Clou: Die Schaufel ist zu beiden Seiten mit Zacken bestückt, mit denen man easy Äste wegschneiden oder – mit Anlauf – – eine Wassermelone halbieren kann. Zack! Jeder Scharfrichter im Mittelalter wäre ob der Rayzer Shovel in Entzücken ausgebrochen. Die Schaufel kostet nur 80 Franken. «Aber Halt!» Sofort für 50 Franken zu bestellen. Das Magazin «Haus und Garten» beurteilt die Rayzer Shovel im Test als «sehr gut». Die detaillierten Testresultate habe ich allerdings vergeblich gesucht, was wiederum explizit nicht heisst, dass das nicht stimmt.

Zum Schluss: Was wären Infomercials ohne Bling-Bling-Uhren oder -Schmuck? Gilt auch für einen Fingerring mit mindestens 1,47g 925er-Sterling Silber und 24 Peridots aus China. Ursprünglich 407, jetzt nur noch 49 Franken! Im Internet gelesen: «Stell dir vor, du stehst vor einer leuchtend grünen Tür. Sie ist ein Portal zu den Energien des Universums und sie trägt den Namen Peridot. Je mehr du dich mit diesem erstaunlichen Edelstein beschäftigst und ihn zu deinem treuen Gefährten machst, desto tiefer wird deine Verbindung zur Natur und zum dauerhaften Zyklus des Lebens.» Sy no Frage?

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