Vergleicht man nämlich die Berner Stadtteile, so ist Bern West am ausgewogensten. Wo andernorts Rot-Grün stark dominiert, erhalten die anderen Parteien in Bümpliz für gewöhnlich mehr Stimmen. Überraschend ist das nicht. Historisch gesehen ist der Stadtteil VI eng mit der Industrie und dem Gewerbe verbunden. Bis heute geniesst das Gewerbe in Bümpliz und Umgebung einen starken Rückhalt sowie grosse Sympathie und sorgt für Vielfalt. Traditionsbetriebe, Start-ups, Automeile, Industrie und Kleingewerbe, alles da. Mehr noch: In den kommenden Jahren wollen sich noch mehr Firmen ansiedeln. Da stossen politische Ideen aus Bern, wonach das Gewerbe aus der Stadt verbannt werden soll, auf wenig Verständnis. Wenn dann sogar Traditionsbetriebe weichen müssen, schlägt das in Ärger um.
Auf der anderen Seite hat die SP nirgens so viel geschichtsträchtige Spuren hinterlassen wie im Stadtteil VI. Genauso historisch begründbar. Wo Arbeiter sind, braucht es auch faire Arbeitsbedingungen und für die sind die Sozialdemokraten von Anbeginn im Westen eingestanden. Und nicht zu vergessen: Bei den Aufständen, damit endlich das Frauenstimmrecht eingeführt wird, standen die Bümplizerinnen an vorderster Front.
Und nun das. Wie die Bevölkerung seit diesem Frühjahr weiss, spannen die SVP, die FDP, die Mitte, die EVP und die GLP zusammen, um die bürgerlichen Anliegen wieder vermehrt in der Regierung vertreten zu wissen. «Meh Farb für Bärn, statt rot-grüner Einheitsbrei», so lautet die Kampagne der fünf Parteien. «Die Stadt Bern lebt nämlich deutlich über ihren finanziellen Verhältnissen», gibt Stadträtin und Gemeinderatskandidatin Florence Pärli (FDP) zu bedenken. «Ein gemeinsames Ziel von uns allen ist es, die drohende Steuer und Gebührenerhöhung abzuwenden», ergänzt Stadtrat und Stapi-Kandidat Janosch Weyermann (SVP).
Auf der linken Seite reagiert man auf diese Argumente mit wenig Verständnis. Ursina Anderegg kandidiert für das Grüne Bündnis um einen Sitz im Gemeinderat. In einem Interview bei «Die Hauptstadt» wird sie gefragt: «Der Stadtberner Finanzdirektor Michael Aebersold hat für die kommenden Jahre eine Serie von roten Budgets angekündigt. Das Grüne Bündnis (GB) sieht aber keinen Grund zum Sparen. Ziemlich realitätsfern, oder?» Und sie antwortet: «Im Gegenteil. Für realitätsfern halte ich die Diskus-
sion über angeblich tiefrote Stadtfinanzen. In den letzten 10 bis 15 Jahren erzielte die Stadt mit wenigen Ausnahmen Überschüsse. Die Töpfe für Spezialfinanzierungen für Schulraum und Sportanlagen sind gefüllt, und die Stadt verfügt über Reserven von 95 Millionen Franken.»
Parteikollege und Stapi Alec von Graffenried musste in den vergangenen Monaten immer wieder harsche Kritik einstecken. Seine Kandidatur zum Stapi wird nun prompt nicht nur von Weyermann (SVP) angegriffen, sondern gar aus dem eigenen linken politischen Lager. Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) stellt sich der Wahl. Von Graffenried nimmt’s gelassen. Die Wahl werde dadurch spannender, sagt er. Dieser Angriff aus den eigenen Reihen ärgert aber die Grünen. So könne man nicht geeint auftreten.
Und schon wittern die Bürgerlichen ihre Chance. In der Stadt Bern erhöhen sich die Wahlchancen bei einer Blockbildung. Das mussten die Mitte-Rechts-Kandidierenden in den vergangenen Jahren schmerzlich erkennen. Die Liste «Meh Farb für Bern» könnte nun von den Differenzen auf der linken Seite profitieren. Nicht zuletzt könnte der Stadtteil VI zum Lieferanten der benötigten Stimmen werden. Für GLP-Kandidatin und Nationalrätin Melanie Metter ist klar, dass nur diese Listenform «die Rahmenbedingungen schafft, damit dringend notwendiger Ideenwettbewerb und konstruktiver Widerspruch in der Regierung wieder Einzug hält.»
Im Ist-Zustand ist davon wahrlich wenig spürbar. Reto Nause (die Mitte) kämpft allein auf weiter Flur für bürgerliche oder eben auch gewerbliche Anliegen. Die übrigen Gemeinderatsmitglieder Alec von Graffenried (Grüne), Marieke Kruit (SP), Franziska Teuscher (Grüne) und Michael Aebersold (SP) bilden die deutliche rot-grüne Mehrheit. «Die Missstände in der Stadt Bern müssen wir klar und deutlich adressieren», sagt der Bümplizer SVP-Präsident Thomas Fuchs. Die rot-grüne Machtpolitik habe sich in der letzten Legislatur noch rücksichtsloser manifestiert, halten die Bürgerlichen in einer Medienmitteilung fest.
«Meh Farb für Bärn» heisst aber nicht, kein Grün und kein Rot mehr. Schliesslich sind das auch Farben. Es fehlt aber etwas Gelb, Blau, Orange oder Grün-Blau, glauben die Kandidierenden dieser Liste.
Man kann es wie einen Regenbogen sehen. Er bildet eine Brücke mit verschiedenen Farben. Hinter den Farben stecken Werte, die es eben in deren Fülle zu berücksichtigen gilt. Nur so wird die Bevölkerung abgebildet. Ein Regenbogen zeigt meist auch nach einem Regenschauer die ersten Sonnenstrahlen an. Und die erhellen eben alle Farben, bürgerliche wie linke. Die Wahl 2024 ist also definitiv nichts für Farbenblinde.